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PolitikEuropa

Duma-Wahl: Putins Partei gewinnt geschwächt

19. September 2021

Ein Sieg von "Geeintes Russland" bei den Parlamentswahlen galt als sicher, unklar war, ob die Partei die absolute Mehrheit behält. Die braucht Wladimir Putin, um nach 2024 Präsident zu bleiben. Aus Moskau Juri Rescheto.

Region Rostow: Eine Frau wirft ihren Wahlzettel in eine transparende Urne
Rund 110 Millionen Menschen waren in Russland aufgerufen, eine neue Duma zu wählenBild: Erik Romanenko/TASS/imago images

So einfach war es in Russland selten, ein Auto oder eine Wohnung zu gewinnen. Hundert neue PKW und zwanzig neue Einraumwohnungen hat die Moskauer Stadtverwaltung am Wochenende unter den Wählern verlost. Einzige Teilnahmebedingung: eine Stimme für eine der vierzehn zugelassenen Parteien der künftigen Duma online abgeben.

Mit Lotterie gegen Apathie

"Eine Million Preise" hieß das Programm, es sollte möglichst viele Moskauer an die Wahlurnen locken. Auch der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nahm daran teil und gewann medienwirksam 10.000 Rubel, umgerechnet 115 Euro. Die darf er jetzt in ausgewählten Moskauer Supermärkten für die Waren des täglichen Bedarfs ausgeben.

Ob dies wirklich zu einer regeren Wahlbeteiligung geführt hat? Immerhin lag sie - trotz wachsender Politikverdrossenheit - mit mehr als 45 Prozent auf dem Niveau der letzten Duma-Wahl vor sechs Jahren.

Teilweise suchten die Mitarbeiter der Wahlkommission Wähler daheim auf, um sie abstimmen zu lassenBild: AP/picture alliance

Neben der großzügigen Tombola ließ sich die Zentrale Wahlkommission ein paar weitere Neuregelungen einfallen: Abstimmen konnte man dieses Mal an drei Tagen - und eben auch online. Dies war nach dem plötzlichen Temperatursturz in Moskau für viele wohl hilfreich. Auch Dmitri Peskows Vorgesetzter, der russische Präsident Wladimir Putin, der sich zurzeit wegen des Corona-Ausbruchs im Kreml in Selbstisolation befindet, gab seine Stimme online ab.

Putin wohl wieder mit absoluter Mehrheit

Nach Auszählung von mehr als 95 Prozent der Stimmen am Montagmittag ist Putins Regierungspartei "Geeintes Russland" - wenig überraschend - einmal mehr als stärkste der vierzehn zugelassenen Parteien aus der Wahl hervorgegangen. Mit derzeit 49,6 Prozent liegt die Zustimmung allerdings rund vier Prozent unter dem Ergebnis von 2016. Hinzu kommen aber noch Direktmandate aus den Wahlkreisen, die Putin erneut eine absolute Mehrheit im russischen Unterhaus sichern. So erklärte der Generalsekretärs von "Geeintes Russland", Andrej Turtschak, bereits, seine Partei habe mindestens 315 der 450 Sitze gewonnen. Sie holte demnach 195 der insgesamt 225 zur Wahl stehenden Direktmandate sowie 120 Sitze über die Parteiliste.

Wladimir Putin braucht einen großen Rückhalt im Parlament, um seine Macht zu sichernBild: Mikhail Voskresensky/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa/picture alliance

Die absolute Mehrheit im Unterhaus sei für Putin sehr wichtig, sagte Politik-Experte Ilya Graschenkow. Die Rolle der neuen Duma liege darin, Wladimir Putin bis zur nächsten Präsidentschaftswahl im Jahr 2024 zu unterstützen. Bis dahin wird sich Putin entscheiden müssen, ob er nach insgesamt 22 Jahren als Präsident, nur unterbrochen von vier Jahren als Ministerpräsident, selbst weitermacht oder einen Nachfolger ins Amt hieven will: "Damit die Duma Putins Wunschnachfolger zustimmt, muss sie maximal loyal sein, keine Konflikte mit dem jetzigen Präsidenten haben und auch keine eigenen Kandidaten stellen."

Den Protesten fehlt die Führungsfigur

Nach Graschenkows Auffassung herrschte eine starke Proteststimmung unter den Wählern. Viele Russinnen und Russen seien nach den coronabedingten Kürzungen und Einschnitten wirtschaftlich geschwächt und reagierten deshalb auf jegliche Politik-Entscheidungen gereizt. Neue Massenproteste wie etwa nach der Duma-Wahl 2011 erwartet er allerdings nicht - und das, obwohl Putins Partei dem Wahlergebnis und Umfragen nach heute deutlich unpopulärer ist als 2011: "Es ist einfach niemand mehr da, der die Massen hinter sich bringt und führt."

Ohne den inhaftierten Alexej Nawalny fehlt der Opposition die FührungsfigurBild: Federico Gambarini/dpa/picture alliance

Gemeint ist vor allem der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, der zurzeit im Gefängnis sitzt. Weder er noch seine Mitstreiter konnten für die Duma-Wahl 2021 kandidieren. Nawalnys Organisation "FBK" wurde für extremistisch erklärt, Männer und Frauen aus seiner nächsten Umgebung flohen ins Ausland. Was blieb, war Nawalnys Strategie des so genannten "schlauen Wählens". Dabei sollten die Wähler für die aussichtsreichsten Oppositionskandidaten stimmen, um "Geeintes Russland" zu schwächen.

"Unfairste Wahlen des vergangenen Jahrzehnts"

Wie fair und frei die Wahl tatsächlich lief, konnte dieses Mal kaum ein unabhängiger westlicher Wahlbeobachter überprüfen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte entschieden, gar keine Beobachter zu entsenden, nachdem die Moskauer Behörden die Mission deutlich reduziert hatten - angeblich wegen der Corona-Pandemie. Einheimische Wahlbeobachter wie die unabhängige Organisation "Golos" berichteten von mehr als 4900 Fällen von Wahlfälschung.

Im Gespräch mit der Deutschen Welle kritisierte "Golos"-Vorstandsmitglied Witali Awerin: "Diese Wahlen kann man weder demokratisch noch frei nennen. Das waren die unfairsten Wahlen des vergangenen Jahrzehnts." Awerin hob hervor, dass die größte Wahlmanipulation bereits im Vorfeld geschehen sei: Keiner der wirklich oppositionellen und unabhängigen Kandidaten sei zur Wahl zugelassen worden.

Wahlkommission kennt die Tricks

Unregelmäßigkeiten bei der Duma-Wahl 2021 registrierte auch die Zentrale Wahlkommission ZIK. Von einer allgemeinen Tendenz will ZIK-Chefin Ella Pamfilowa jedoch nichts wissen, der Wahlvorgang sei so transparent wie nie zuvor gewesen: "Man kann auf uns schimpfen wie man will, aber die Bemühungen meiner Kollegen der letzten sechs Jahre haben dazu geführt, dass alle heimlichen Tricks bekannt wurden."

Tausende Fälle von Unregelmäßigkeiten wurden bei der Duma-Wahl berichtetBild: Pavel Lisitsyn/Sputnik/dpa/picture alliance

Einer davon ist das so genannten "Wbrosy", auf das Wahlbeobachter der Oppositionspartei "Jabloko" aufmerksam gemacht hatten. Dabei wirft eine Person gleich mehrere ausgefüllte Wahlzettel in die Urne. Auch der DW-Korrespondent in Sankt Petersburg wurde Zeuge der Praktik.

"Vereinzelte Vorfälle beeinflussen das Ergebnis nicht"

Manche Russen stellten im Wahllokal aber auch überraschend fest, dass jemand bereits in ihrem Namen abgestimmt hatte. Eine Frau aus Sankt Petersburg, berichtet das unabhängige Internetportal Meduza, sah in der Wählerliste den Namen ihrer Tochter. Die aber lebe in China. In Tscheljabinsk beschwerte sich eine sechsköpfige Familie, dass jemand anders für sie abgestimmte hatte, einschließlich eines verstorbenen Familienmitglieds. Und im Netz machten Videos von Wahlurnen die Runde, die man sowohl vorne als auch hinten öffnen konnte.

Die Zentrale Wahlkommission ZIK verspricht, alle Vorfälle zu untersuchen. Für das Endergebnis würden die aber keine Rolle spielen, versicherte der DW aber bereits ZIK-Mitglied Igor Borisow, schließlich handele es sich um "vereinzelte Vorfälle, sie beeinflussen keinesfalls die Ergebnisse der Willensbekundung unserer Wähler".

Chabarowsk, Zentrum russischen Protests

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