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Dutzende Milizen: Wer kämpft gegen wen?

Naser Schruf1. September 2014

Die Kämpfe in Libyen dauern mit unverminderter Härte an. Welche politischen Kräfte und welche Ziele stecken hinter den zahlreichen Milizen?

Libyen, Tripolis: Kämpfe unter Milizen (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Das Regime von Muammar Al-Gaddafi in Libyen wurde 2011 gewaltsam durch NATO-Bomben und bewaffnete aufständische Milizen unterschiedlicher Ideologie gestürzt. Doch das mündete nicht, wie erhofft, in eine bessere Entwicklung und Demokratie, sondern stürzte das Land in einen Bürgerkrieg. Es herrschen Chaos und Gewalt - und zwei Parlamente streiten darüber, wer rechtmäßig im Auftrag des Volkes regieren darf. In Libyen gibt es mehr als 200 Stämme, die wiederum aus verschiedenen Clans bestehen. Das größte Problem ist jedoch die unübersichtliche Menge der Milizen, die angesichts fehlender staatlicher Strukturen um die Macht kämpfen. Dies führt dazu, dass selbst viele Libyer heute nicht mehr genau wissen, wer gerade gegen wen kämpft und mit welchen Zielen. Ein Überblick über die wichtigsten militärischen Gruppen:

Die libysche Armee

Die reguläre libysche Armee wurde nach dem Aufstand 2011 von der damaligen Übergangsregierung mit Zustimmung des Parlaments umgebaut. Die Truppenstärke dieser Armee war nie offiziell bekannt gegeben worden, es wird jedoch von etwa 35.000 Soldaten ausgegangen. Rechnet man Kämpfer dazu, die auch in anderen Milizen dienen, fällt die Zahl noch größer aus. Zum Kern der Truppe zählen vor allem jene Kader, die Anfang 2011 aus Al-Gaddafis regulären Streitkräften auf die Seite der Revolutionäre gewechselt waren. Viele andere wurden ausgemustert. Die Armee konnte sich bisher im Kampf der rivalisierenden Milizen nicht behaupten, sondern erscheint eher wie eine Miliz unter vielen. Sie ist schlecht ausgerüstet und ihr fehlen Befehlshaber mit Autorität: Der jüngste Verteidigungsminister und gleichzeitig bisherige Regierungschef, Abdullah Al-Thinni, hat erst Ende August sein Amt niedergelegt.

Mangelnde Autorität: Al-Thinni als RegierungschefBild: AFP/Getty Images

Libysche Nationalarmee

Die sogenannte "Libysche Nationalarmee" hat der abtrünnige Ex-General Khalifa Hafter im Mai 2014 gegründet. Der Ex-General startete von der Stadt Bengasi aus einen Privatfeldzug gegen die unterschiedlichen Islamisten im Lande. Er betrachtet es als seine Mission, das Land von den islamistischen Gruppierungen zu "säubern". "Operation Würde" nennt er das und erhält dafür offensichtlich Unterstützung aus Algerien, Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten, auch wenn diese eine direkte Verwicklung dementieren. Hafter erlitt im August einen herben militärischen Rückschlag, als mehrere islamistische Milizen gemeinsam den strategisch wichtigen Flughafen von Tripolis unter ihre Kontrolle brachten.

Streitkräfte der Al-Saika

Die Al-Saika sind eine paramilitärische Spezialeinheit von etwa 5.000 Mann. Im Prinzip unterstehen sie dem Verteidigungsministerium - tatsächlich aber kämpfen sie derzeit ohne Regierungsauftrag unter dem Befehl von Ex-General Hafter im Osten des Landes, vor allem in der Stadt Bengasi, gegen radikalislamische Milizen. Der abtrünnige Truppenverband hat sich selbst zu einem Teil von Hafters "Libyscher Nationalarmee" ernannt.

Milizen der "Libyschen Morgendämmerung" haben den Flughafen von der Koalition um Ex-General Hafter erobertBild: Mahmud Turkia/AFP/Getty Images

Revolutionsbrigaden aus Al-Sintan

Eine mächtige Miliz kommt aus der Stadt Al-Sintan im Nordwesten des Landes, etwa 160 Kilometer südwestlich von Tripolis. Der Kampfverband vereint mehrere Stammesmilizen wie die Al-Kakaa-Brigade (etwa 18.000 Kämpfer) und die Al-Sawaig (rund 2000 Kämpfer). Einer ihrer Führer, Osama Al-Juwali, war Libyens erster Verteidigungsminister nach dem Sturz von Al-Gaddafi. International bekannt wurden die "Revolutionsbrigaden aus Al-Sintan" vor allem durch die Festnahme des Gaddafi-Sohnes Saif Al-Islam. Sie gelten als nationalistisch und haben sich ebenfalls an die Seite von Ex-General Hafter gestellt.

Misrata-Brigaden

Die sogenannten "Misrata-Brigaden" werden laut Beobachtern von Katar unterstützt und stehen politisch den Muslimbrüdern nah. Schätzungen zufolge besteht die Miliz aus 10.000 bis 12.000 Kämpfern, andere Quellen sprechen sogar von bis zu 40.000 Milizionären. Die Stadt Misrata liegt an der Mittelmeerküste, etwa 210 Kilometer östlich von Tripolis. Während der Revolution spielten diese Brigaden eine wichtige Rolle beim Sturm auf Al-Gaddafis Residenz in Bab Al-Azizia. Sie gehören zu den Gegnern von Ex-General Hafter und waren - gemeinsam mit der Miliz "Libyens Schutzschild" - maßgeblich daran beteiligt, im August 2014 den Flughafen Tripolis zu erobern.

Libyens Schutzschild

Auch diese Miliz gilt als Ableger der Muslimbruderschaft und ist eine der stärksten im Lande, verbreitet in beinahe allen Landesteilen. In der Vergangenheit hat sie zeitweise mit dem Verteidigungsministerium zusammengearbeitet. Zu "Libyens Schutzschild" zählen etwa 12.000 Milizionäre, von denen es in arabischen Medien heißt, sie seien gut ausgebildet und ausgerüstet. Durch humanitäres Engagement und Seelsorge sind sie in Teilen der Bevölkerung beliebter als viele andere Milizen. Zusammen mit den Misrata-Brigaden starteten sie im August die Operation "Morgendämmerung" und entrissen Hafters Truppen und den Al-Sintan-Brigaden die Kontrolle über den Flughafen von Tripolis.

Die Menschen haben den Krieg satt: Proteste in der Hauptstadt Tripolis im Juli 2014

Ansar Al-Sharia

Ansar Al-Sharia gelten als Ableger von Al-Kaida im Libyen, ihr Ziel ist die Errichtung eines islamischen "Gottesstaates". Diese Gruppierung gilt als radikalste Miliz in Libyen und soll hinter dem Terroranschlag auf das US-Konsulat in Bengasi gesteckt haben, bei dem 2012 Botschafter Christopher Stevens starb. Ansar Al-Sharia ist in Bengasi stationiert und kämpft gegen die Truppen von Ex-General Khalifa Haftar. Verlässliche Angaben über die Zahl ihrer Mitglieder gibt es nicht. Manche Beobachter sprechen von einigen hundert, andere von 5000 Kämpfern, die teilweise noch über große Kampferfahrung aus früheren Einsätzen in Afghanistan verfügen sollen.

Die Märtyrer des 17. Februar

Diese Islamistenmiliz gilt als stärkste und am besten ausgerüstete Gruppierung in Ost-Libyen. Sie soll bis zu 3500 Kämpfer umfassen, andere Quellen sprechen von mehr als 12.000 Milizionären. "Die Märtyer des 17. Juni" sollen unter anderem für den Mord an dem ehemaligen Verteidigungsminister Abdelfatah Younis im Juli 2011 verantwortlich gewesen sein, nachdem dieser sich von Al-Gaddafi losgesagt hatte und Generalstabschef der Revolution geworden war.

Weitere Milizen

In Libyen gibt es zahlreiche weitere Milizen wie die "Wächter der Erdöl-Einrichtungen", die "Omar-Al-Mokhtar-Brigaden" oder das "Operationszentrum der Revolutionäre in Libyen". Ob es je gelingen wird, alle diese Gruppen in staatliche Ordnungsstrukturen wie Militär und Polizei zu integrieren, scheint derzeit mehr als ungewiss. Zu befürchten steht, dass dem Land weitere militärische Auseinandersetzungen bevorstehen, die Libyen endgültig zu einem gescheiterten Staat werden lassen könnten.