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Im Bazar der Geschlechter

Jochen Kürten26. Juni 2012

Für ein paar Stunden oder für Jahrzehnte zusammen sein: Im Iran können Männer und Frauen auf Zeit heiraten. Abgesegnet von den Mullahs. Ein Dokumentarfilm zeigt, was genau dahinter steckt. Kontrovers und freizügig.

Szene aus Im Bazar der Geschlechter (Foto: W-Film)
Bild: W-film

Der Mullah sei aber plötzlich sehr freundlich, heißt es in einer Szene des Films. Wahrscheinlich sei das so, weil gerade die Kamera laufe, mutmaßt ein Beteiligter: Es sind genau diese kleinen Dialoge am Rande, die dem Film "Im Bazar der Geschlechter - Die sexuelle Revolution unter dem Schleier" eine zusätzliche Brisanz verleihen. Durch sie wird hinterfragt, was tatsächlich "real" und "dokumentarisch" ist. Und was vielleicht durch die Präsenz der Regisseurin und ihrer Kamera verfälscht wird oder sich zumindest nicht ganz so wie in der Wirklichkeit verhält. Ein Dokumentarfilm aus dem modernen Iran muss sich solche Fragen wohl immer stellen.

Eine schiitische Tradition

Iranisches Paar bei der ZeithochzeitBild: W-film

Dabei ist das, was die österreichisch-iranische Regisseurin Sudabeh Mortezai erzählt, hochinteressant. Von einer "Zeitheirat" dürften die meisten Menschen im Westen bisher wenig gehört haben. Es handelt sich um ein offizielles Instrument des Staates, was im Iran auch immer heißt: der religiösen Führung. Die Zeitheirat geht auf eine alte schiitische Tradition zurück, die eine zeitlich begrenzte Ehe beschreibt. Von den Sunniten wird die Zeitheirat nicht anerkannt. Theoretisch kann diese temporäre Heirat nur eine halbe Stunde dauern, aber auch mehrere Jahrzehnte. Der Frau wird eine Art Honorar gezahlt. Ein Mann kann mehrere Zeitehen gleichzeitig führen - auch neben einer offiziellen Ehe. Eingeführt wurde die Zeitheirat, um sexuelle Kontakte, außerhalb, aber auch vor einer Ehe, zu legalisieren und zu kontrollieren.

Mortezai nähert sich dem Phänomen in ihrem Film an, indem sie mit Männern und Frauen spricht, die schon einmal temporär verheiratet waren oder in irgendeiner Funktion damit zu tun haben, aber auch mit Mullahs. Es ist ein höchst komplexes Bild, das dem Zuschauer geboten wird. Im Gespräch mit den Beteiligten wird die Zeitheirat sowohl kritisch als auch wohlwollend beurteilt. Wahrscheinlich sagt aber auch die Tatsache, dass für das Filmprojekt Frauen als Gesprächspartner wesentlich schwerer aufzutreiben waren als Männer, viel über die tatsächlichen Abläufe einer Zeitheirat aus.

Frauenrechtlerin klären über die Nachteile der Zeitehe aufBild: W-film

Legalisierte Prostitution?

Ein Mittel zur Bekämpfung von Prostitution ist die Ehe auf Zeit für die einen. Nichts weiter als legalisierte Prostitution durch staatliche Stellen hingegen für andere. Wirtschaftliche Gründe sind der eine Antrieb, der hinter solch einer Heirat steht: Wer sich eine Ehe finanziell nicht leisten kann, greift zu diesem Mittel. Es geht aber auch ganz pragmatisch um die Befriedigung sexueller Gelüste. Es gibt auch Frauen, die sich positiv über die Zeitehe äußern. Für Manche ist sie eine Möglichkeit finanziell zu überleben. Oder sich - während eines späteren Lebensabschnitts, nach offizieller Heirat und Scheidung - sexuell auszuprobieren.

Männer profitieren allerdings eindeutig eher von dieser Art der Ehe. Letztendlich ist sie auch ein Symbol geistlicher Doppelmoral und Zeichen für männlichen Chauvinismus. Und sie ist der Ausdruck eines Gottesstaates, der sich in das Privat- und sogar Intimleben seiner Bürger einmischt: Ehebruch wird im Iran noch immer mit drakonischen Strafen verfolgt. Ein "offiziell legitimierter Ehebruch" ist so auf der anderen Seite auch ein pragmatischer Weg allzu viele Todesurteile zu verhindern.

Alte Männer bestimmen über die Rechte der FrauenBild: W-film

Freizügiges Reden über Sexualität

Verblüffend ist für westlich Zuschauer vor allem, wie offen und ausgiebig im Film über Sexualität geredet wird - auch von geistlicher Seite. Hat man je einen katholischen Priester mit einem süffisanten Grinsen darüber reden hören, welche sexuellen Praktiken erlaubt sind? Immer wieder scheint in dem Film auch durch, wie es unter der Oberfläche der modernen iranischen Gesellschaft brodelt, wie weit entfernt die religiösen Führer sich mit ihren repressiven Gedanken und ihrem Handeln von den meisten Menschen entfernt haben. So trägt der Film viele Bilder und Gespräche zusammen, stellt Frauen und Männer vor, die sich nicht in ein plumpes Schwarz-Weiß-Schema einordnen lassen.

"Im Bazar der Geschlechter" wurde 2008 in Teheran, Qom und Esfahan gedreht. Im Iran durfte der Film nicht gezeigt werden, unter anderem auch deshalb, weil die Frauen im Film unverschleiert auftreten. Im Sommer 2009 brach dann im Iran die "Grüne Revolution" aus, doch die Demonstrationen für mehr Demokratie und einen politischen Wechsel wurden brutal abgewürgt, die Präsidentenwahlen wurden manipuliert.

Unverschleiert - und offenherzigBild: W-film

2010 lief "Im Bazar der Geschlechter" weltweit auf vielen Festival, nun ist er auf DVD zu sehen. Inwieweit sich die Dinge, die im Film behandelt werden, inzwischen verändert haben, ist im Detail schwierig zu beurteilen. Fest steht wohl: Nach der Niederschlagung der Grünen Revolution hat sich das gesellschaftliche Klima kaum in Richtung Liberalität entwickelt. "Im Bazar der Geschlechter" ist somit in vielfacher Hinsicht eine Momentaufnahme. Ein Dokument, das einen Blick auf Iran wirft, der heute wohl schon wieder anders ausfallen dürfte.

Sudabeh Mortezai: "Im Bazar der Geschlechter - Die sexuelle Revolution unter dem Schleier", Dokumentarfilm, Österreich/Deutschland 2009, 84 Minuten, DVD-Anbieter: W-Film.

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