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PolitikAfrika

DW auf heikler Mission in Namibia

18. März 2022

Als Deutsche Welle mit Nachfahren über deutsche Kolonialverbrechen zu sprechen - keine leichte Aufgabe. Das Jugendformat The 77 Percent hat es bei den Herero in Namibia gewagt - und damit offenbar Eis gebrochen.

Namibia The 77 Percent“-Debatte in Okakarara
Bild: Claus Stäcker/DW

Die grellen Farben der schlichten Einheitshäuser können die Kargheit von Okakarara nicht übertünchen. Die zentrale Stadt der Herero 300 Kilometer nördlich von Namibias Hauptstadt Windhuk hat gut 4000 Einwohner, ein Berufsbildungszentrum und zwei Ampeln. Zur letzten Landwirtschaftsmesse kamen 12.000 Besucher, sogar aus dem Ausland. Aber der Löwe steppt hier nicht.

Die Street Debate des Jugendformats "The 77 Percent" mit ihren Aufstellern, Kameras und Lautsprechern platzt wie ein Raumschiff in den Alltag der Kreisstadt. Als zur Anmoderation von Edith Kimani brummend die Drohne aufsteigt, folgen die Kinder fasziniert jeder Bewegung.

Die angesehene Zeitung The Namibian ist angereist und das deutschsprachige Hitradio aus der Hauptstadt packt ebenfalls seine Mikros aus. Das älteste Blatt des Landes, die deutschsprachige Allgemeine Zeitung, ist nicht dabei, bringt die "Debatte über Genozid" aber trotzdem als Aufmacher.

Die deutschsprachige Allgemeine Zeitung bringt die Debatte als AufmacherBild: DW

Der deutsche Auslandssender DW ist auf heikler Mission: Es geht darum, mit der jungen Herero-Generation und deutschnamibischen Profiteuren über die deutschen Kolonialverbrechen an Herero und Nama zu reden, die als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts einen unrühmlichen Platz in den Geschichtsbüchern gefunden haben. Der Umgang mit diesem Erbe spaltet Namibia bis heute. 

Zahlt Reparationen, sofort!

"Warum tut sich Deutschland so schwer mit einer Entschuldigung?" fragt die Nachwuchsjournalistin Charmaine Ngatjiheue. "Warum heißt es immer nur, dass es 'aus heutiger Perspektive' ein Völkermord war? Ich weiß, dass Deutschland Angst hat vor weiteren Reparationsforderungen aus anderen Ländern. Aber ein Genozid bleibt ein Genozid und dafür müssen Entschädigungen gezahlt werden. Solange sich Deutschland dafür nicht in aller Form entschuldigt, wird eine Versöhnung mit den Herero und Nama unmöglich sein."

Diese Meinung ist Konsens bei der Street Debate. Geld allein werde keine Lösung bringen - auch darüber ist man sich einig. Vor knapp einem Jahr hatten sich die noch von Angela Merkel geführte Bundesregierung und die namibische Regierung nach sechs Jahren zäher Verhandlungen auf ein Entschädigungspaket geeinigt, das so nicht genannt werden soll. 1,1 Milliarden Euro sollen über 30 Jahre aus Deutschland nach Namibia fließen, als "Wiederaufbau- und Entwicklungsleistung" - zusätzlich zur regulären Entwicklungshilfe, die pro Einwohner gerechnet die höchste in Afrika ist. Eigentlich sollten Außenminister und Bundespräsident längst in Namibia gewesen sein, um mit dem Milliardenpaket auch die überfällige Völkermord-Entschuldigung zu überbringen.

Doch in Namibia kam das Verhandlungsergebnis nicht gut an. Eine Parlamentsdebatte endete im Chaos. Vertreter der betroffenen Herero und Nama beklagten, dass sie bei den Verhandlungen nicht am Tisch saßen. Einig waren sie sich aber nur darin, dass die versprochene Summe viel zu wenig sei. Manche wollten das Geld lieber gleich in bar. Zu allem Überfluss starben seither auch noch die zwei wichtigsten Herero-Repräsentanten und Verhandlungspartner an Corona. Seither gibt es in Deutschland eine neue Regierung und in Namibia in der Sache wenig Bewegung.

Das Land um den Waterberg, Ausgangspunkt des Völkermordes, ist heute mehrheitlich im Besitz weißer FarmerBild: Claus Stäcker/DW

Das DW-Team wird trotzdem herzlich aufgenommen. In Okakarara wird vor allem anerkannt, dass die Debatte direkt auf Herero-Boden stattfindet, nicht im fernen Windhuk. Der berühmte Waterberg, an dem 1904 der antikoloniale Herero-Aufstand blutig niedergeschlagen wurde, liegt nur einen Steinwurf entfernt. Das fruchtbarste Land drumherum ist meist in weißer Hand. Die 18-jährige Jura-Studentin Vaaruka Kaaronda meint, fast ihre ganze Gemeinde sei arm und arbeite unter weißer Aufsicht: "Es fühlt sich an, als wären wir Gäste im eigenen Land."

"Kein Siedler stahl das Land"

Einer der bekanntesten Farmer in der Umgebung trägt den berühmten Berg sogar im Namen: Harry Schneider-Waterberg. Seine tausende Hektar umfassende Farm gehört ihm in dritter Generation, betont er und sorgt mit einer Äußerung für eine Provokation: "Keiner der Leute, die damals herkamen, hat Land gestohlen. Sie haben es regulär gekauft nach dem unter der damaligen Regierung geltenden Recht und Gesetz." Die Zuschauer im Hintergrund lachen höhnisch auf, einer schwingt seinen Stock.

Der Herero-Jugendaktivist Ileni Henguva vom National Youth Council, einer einflussreichen Jugendorganisation, schüttelt entrüstet den Kopf: "Die Gesetze waren damals doch eigens für die Siedler geschaffen worden. Die betroffenen Gemeinden wurden gar nicht gefragt, sondern vertrieben oder getötet - und unsere Verfassung schützt diese Eigentümer bis heute."

In Windhuk verkaufen sich Andenken an die deutschen Großmachtfantasien offenbar immer noch gutBild: Claus Stäcker/DW

Die Zeitungskollegin vom Namibian macht sich hektisch Notizen. Ihren Beitrag wird sie später mit dem zugespitzten Zitat des deutschnamibischen Farmers aufmachen: "Deutsche Siedler stahlen niemals Land".

Die DW hat also eine Debatte angestoßen, so viel steht fest. Im Namibian entschuldigt sich Schneider-Waterberg später für seine missverständliche Äußerung, sofern sie jemanden beleidigt habe. Zugleich kritisiert er die Reporterin, sein Argument aus dem Zusammenhang gerissen zu haben und damit 'spalterischen Journalismus' zu betreiben. Das sei wenig hilfreich.

Das Zitat löste teils heftige Reaktionen aus, eine Petition wurde eingebracht, einige verlangten gar Zwangsenteignungen wie in Simbabwe.

Dabei hatten in der Street Debate alle für eine namibische Lösung plädiert. Niemand wolle Verhältnisse wie in Simbabwe, sagte auch Ileni Henguva. Im Nachbarland hatten im Jahr 2000 bewaffnete Gruppen Hunderte weiße Farmer mit Gewalt vertrieben und so auch zu einer massiven Wirtschaftskrise beigetragen, von der sich das Land bis heute nicht erholt hat.

Im Gegensatz zu anderen weißen Farmern in Namibia hatte sich Schneider-Waterberg bewusst dem Dialog gestellt: "Ich bin der Deutschen Welle jedenfalls sehr dankbar für die Möglichkeit und froh, dass ich teilgenommen habe, obwohl ich anfangs sehr skeptisch war." 

"Lösungen beginnen immer im Dialog"

Er wolle Teil der Lösung sein, betonte er in der Debatte. Im Mittelpunkt müsse dabei die gemeinsame Zukunft in Namibia stehen. Seine Farm sei Teil der Volkswirtschaft und sichere in der strukturschwachen Region 120 Arbeitsplätze. So emotional Landdebatten auch seien, es müssten immer die Produktivität und der gesamtwirtschaftliche Nutzen im Vordergrund stehen. Sogar verkaufen würde er, wenn dies die Lösung sei, entgegnet er auf energische Nachfrage von Edith Kimani.

Die Entscheidungen im fernen Windhuk und Berlin dürften sich auch in Okakarara auswirkenBild: Claus Stäcker/DW

Auch dafür könnten die deutschen Zahlungen verwendet werden: für alternative Bewirtschaftungs- und Eigentumsverhältnisse - Teilhabermodelle oder Genossenschaften. "Lösungen beginnen immer mit einem Dialog", sagt Herero-Jugendaktivist Ileni Henguva. 

Am Morgen danach steckt er mit seinem Debattengegner Harry Schneider-Waterberg die Köpfe zusammen. "Bisher gab es kaum Dialog zwischen den betroffenen Parteien. Vielleicht war diese Debatte der Deutschen Welle der Kickstart dafür. Ich habe jedenfalls schon mal mit meinen Freund Harry die Handynummern ausgetauscht, damit wir helfen können, die betroffenen Gemeinden und die deutschsprachigen Namibier ins Gespräch zu bringen."

Der so Angesprochene nimmt die ausgestreckte Hand gern entgegen. "Man kennt sich oft gar nicht und es bestehen so viele Vorurteile. Aber wenn man miteinander ins Gespräch kommt, merkt man plötzlich: So weit sind wir gar nicht auseinander. Und das ist es doch, worum es geht."

Schneider-Waterberg engagiert sich im neuen "Forum der deutschsprachigen Namibier" für diesen Dialog und hofft, dass das deutsch-namibische Aussöhnungsabkommen auch dafür feste Plattformen etablieren wird.

Die einheimischen Medien hätten da auch noch Reserven, räumt der Chefredakteur der Allgemeinen Zeitung, Frank Steffen, im späteren Gespräch selbstkritisch ein. "Mich schreckt es ein bisschen ab, dass so viel über die Entschädigungssumme geredet wird. Es ist besser,  wenn man sich einfach mal an den Tisch setzt und miteinander redet, statt immer auf Konfrontation zu gehen - das gilt nicht nur für die Herero, sondern auch für uns, die deutschsprachigen Namibier. Einer muss den Anfang machen."

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