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Politik

Die Bundeskanzlerin zieht Bilanz

7. November 2021

Im DW-Interview spricht die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel über Klimawandel, ihren berühmten Satz "Wir schaffen das", etwas Wehmut und eine geordnete Amtsübergabe.

DW Interview mit Bundeskanzlerin Angela Merkel +++ SPERRFRIST 7.11. 18h ++++
Bild: R. Oberhammer/DW

Im DW-Interview: Kanzlerin Angela Merkel

21:01

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Entspannt und offensichtlich mit sich im Reinen: So präsentierte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Interview mit dem Leiter der Nachrichten der Deutschen Welle, Max Hofmann, im Kanzleramt in Berlin. Nicht lange überlegen musste sie bei der Frage, welche Herausforderungen für sie die schwersten ihrer Amtszeit gewesen seien. Persönlich am meisten herausgefordert hätten sie "der Fluchtdruck aus Syrien und aus den umliegenden Ländern, und dann die Corona-Pandemie". In beiden Fällen "hat man gesehen, wie das die Menschen direkt betrifft, wo man es mit menschlichen Schicksalen zu tun hat".

"Ja, wir haben das geschafft"

Auf die Frage, ob sie der Meinung sei, dass Deutschland den Zustrom von 800.000 Flüchtlingen im Jahr 2015 gemeistert habe - auf den sie damals mit dem berühmten Satz "Wir schaffen das" reagiert hatte - meinte sie: "Ja, wir haben das geschafft!" Nicht alles sei "ideal" gelaufen, aber viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer hätten mit angepackt.

Mit Blick auf die Migranten sagte Merkel: "Wir haben wunderbare Beispiele von gelungenen menschlichen Entwicklungen, wenn ich an Abiturientinnen und Abiturienten... denke." Selbstkritisch fügte sie hinzu: "Aber geschafft haben wir natürlich noch nicht, dass die Ursachen der Flucht bekämpft wurden. Wir haben es nicht nicht geschafft, dass Europa ein einheitliches Asyl- und Migrationssystem hat." Hier gebe es noch viel zu tun.

Beim Kampf gegen den Klimawandel "sehr, sehr viel schneller werden"

Auch als eine Art Krise ihrer Zeit als Kanzlerin bezeichnete es Merkel, dass immer mehr Menschen auf der Welt den Multilateralismus in Frage gestellt hätten: "Das war mir immer wichtig und ich habe immer versucht, die internationalen Organisationen zu stärken, den IWF, die Weltbank, die Welthandelsorganisation und andere." Und beim immer drängender werdenden Thema des Kampfes gegen den Klimawandel räumte die Kanzlerin ein: "Wir müssen sehr, sehr viel schneller werden."

Merkel war vor ihrer Zeit als Kanzlerin Umweltministerin und hatte etwa den ersten UN-Klimagipfel 1995 in Berlin geleitet. Jetzt sagte sie: "Wir müssen wieder den wissenschaftlichen Einschätzungen folgen, und das heißt eben sehr nah bei 1,5 Grad Erderwärmung bleiben." 

Junge Leute "müssen Druck machen"

Merkel hatte zuletzt die diesjährige UN-Klimakonferenz besucht, die noch bis Mitte November im schottischen Glasgow stattfindet: "Glasgow hat schon einige Ergebnisse gebracht", sagte sie, "aber aus der Perspektive junger Leute geht es berechtigterweise immer noch zu langsam." Überraschend deutlich fügte Merkel an: "Und dann sage ich den jungen Leuten: Sie müssen Druck machen."

Angela Merkel: ein Rückblick in Bildern

04:53

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Ein Eingeständnis, persönlich in der Klima-Politik gescheitert zu sein, war das aber nicht. Denn die Kanzlerin fügte an, dass man für jede Klimaschutzmaßnahme auch Mehrheiten bekommen müsse, und dass es viele Ängste vor den sozialen Folgen harter Einschnitte etwa beim privaten Konsum gebe. "Ja, ich war eigentlich immer dran", erklärte sie, "und trotzdem kann ich heute nicht sagen, das Ergebnis ist schon befriedigend." Sie habe auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Einschätzungen der Wissenschaftler mit jedem Bericht "immer noch schlechter waren und schrecklicher".

Nur noch kurze Zeit im Amt

Seit kurzem ist die deutsche Langzeit-Regierungschefin nur noch geschäftsführend im Amt, der neue Bundestag hat sich konstituiert. Auf das Reichstagsgebäude konnte Merkel 16 Jahre lang aus ihrem Amtszimmer blicken. Bei der Bundestagswahl Ende September diesen Jahres war sie nicht noch einmal als Kanzlerkandidatin der Unionsparteien CDU/CSU angetreten. Die Wahl gewannen dann die Sozialdemokraten knapp vor der Union.

Abschiedsempfang in Frankreich "ein schönes Erlebnis"

Zuletzt hatte Merkel mehrere Staats- und Regierungschefs auf Abschiedsreisen besucht, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron etwa lud die Kanzlerin ins Städtchen Beaune in Burgund ein und überreichte ihr später das Großkreuz der Ehrenlegion, die höchste Auszeichnung in Frankreich.

"Das hat mich sehr berührt." - Merkel beim Abschiedsbesuch in Frankreich vor ein paar TagenBild: Philippe Desmazes/AP Photo/picture alliance

Im DW-Interview sagte Merkel unumwunden, dass sie das berührt habe: "Ich weiß schon, dass es auch Menschen gibt, die mit meiner Politik nicht so zufrieden sind. Aber wenn man jetzt so in Frankreich ist, wo natürlich auch in der Geschichte wir oft nicht so freundschaftliche Gefühle füreinander hatten, da hat es mich schon gefreut, dass so viele Menschen gekommen sind, um den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und mich zu begrüßen. Und das war ein schönes Erlebnis, das muss ich sagen." 

Merkels "beruhigendes Signal" an die Welt

Beim G20-Treffen vor gut einer Woche in Italien hatte Merkel sich mehrfach demonstrativ mit ihrem wahrscheinlichen Nachfolger Olaf Scholz von der SPD gezeigt, den noch amtierenden Finanzminister ihrer Regierung. Der Sozialdemokrat verhandelt in Berlin gerade mit den Grünen und der FDP über eine neue Regierung unter seiner Leitung.

Frankreichs Präsident Macron, Merkel und ihr möglicher Nachfolger Scholz: "Das war mir als Signal wichtig"Bild: Gregorio Borgia/Pool AP/dpa/picture alliance

Merkel sagte jetzt über die Tage beim G20-Gipfel in Rom, ihr sei dabei eine Botschaft an die Menschen wichtig gewesen: "Wenn sie dann das Gefühl haben, hier gibt es einen guten Kontakt zwischen der jetzigen Regierungschefin und dem wahrscheinlich zukünftigen, dann ist das ein beruhigendes Signal in einer ziemlich turbulenten Welt. Und das fand ich richtig."

Angela Merkel beim DW-Interview im KanzleramtBild: R. Oberhammer/DW

Zum Abschied: "Sie werden sich dran gewöhnen!"

Auf die Frage von Max Hofmann, was sie tun werde, wenn sie bald nicht mehr im Amt sei, sagte Merkel: "Jetzt weiß ich noch nicht, was ich danach mache. Ich habe ja gesagt, ich werde mich erst mal ein bisschen ausruhen und mal gucken, was mir so in den Kopf kommt." Sie werde viel lesen und schlafen. Schon mehrfach hatte Merkel betont, dass sie glaube, recht gut von der Macht lassen zu können, das wiederholte sie jetzt im DW-Interview, "eines der letzten" als Bundeskanzlerin.

Sie sei auf der einen Seite froh, gab aber auch zu: "Aber ein kleines bisschen Wehmut wird sicherlich dann auch kommen, denn ich habe meine Arbeit immer gern gemacht, mache sie auch noch gern." Bis zum letzten Arbeitstag müsse sie weiter aufmerksam sein. Und auf die Bemerkung Hofmanns, man könne sich gar nicht vorstellen, dass nach 16 Jahren Merkel nicht mehr im Kanzleramt sitze, sagte die Noch-Regierungschefin in ihrer oft erlebten nüchternen Art und mit einem Lächeln: "Sie werden sich dran gewöhnen."