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Politik

DW Freedom of Speech Award für Mariupol-Reporter

Konstantin Goncharov
2. Mai 2022

Die Journalisten Evgeniy Maloletka und Mstyslav Chernov berichteten aus Mariupol, das von russischen Truppen belagert wurde. Sie dokumentierten den Beginn des Krieges, die Kämpfe und die Folgen des heftigen Beschusses.

Freedom of Speech Award 2022, Bildauswahl
Bild: Mstyslav Chernov/AP Photo/picture alliance

"Arbeit von Kriegsreportern anerkennen"

01:02

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Der diesjährige DW Freedom of Speech Award geht an den Fotojournalisten Evgeniy Maloletka, der mit vielen internationalen Nachrichtenagenturen und Organisationen zusammenarbeitet, sowie an den Videojournalisten von Associated Press, Mstyslav Chernov. Die Preisträger wurden am Montag, den 2. Mai, bekannt gegeben.

Die beiden Journalisten waren zu Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine in Mariupol, wohin sie am 24. Februar, dem Tag, an dem die russische Invasion in der Ukraine begann, gekommen waren. Sie zeigten der Welt das Leben in der ukrainischen Stadt, als sie von russischen Truppen belagert wurde. Chernov und Maloletka fotografierten die Zerstörungen, Ärzte bei ihrer Arbeit und die zahlreichen zivilen Opfer. Sie verließen Mariupol am 15. März 2022 im Rahmen einer Evakuierung. Evgeniy Maloletka schildert der DW, wie er und Mstyslav Chernov in Mariupol gearbeitet und überlebt haben.

Fotojournalist Evgeniy Maloletka hilft einer verletzten Frau in Mariupol. Foto: Mstyslav ChernovBild: Mstyslav Chernov/AP/picture alliance

Beginn der Kämpfe

Maloletka gibt zu, er und Chernov hatten nach der Anerkennung der Unabhängigkeit der sogenannten "Volksrepubliken Donezk und Luhansk" durch Russland mit Angriffen der russischen Truppen gerechnet. "Uns war klar, dass es Krieg geben würde. Unklar war nur, wann. Wir waren uns bewusst, dass sie über Mariupol versuchen würden, einen Korridor zur annektierten Krim zu schlagen und daher Mariupol angreifen würden", sagt Maloletka. Doch die beiden hatten nicht erwartet, dass "die Russen so schnell alle Verteidigungslinien durchbrechen und die Stadt belagern werden".

Laut Maloletka wurde gleich zu Beginn des Krieges der Osten der Stadt beschossen. "Geschosse kamen geflogen und wir filmten, wie sie in Wohnhäuser einschlugen", sagt er. Auch ein Vorort habe unter ständigem massivem Artilleriefeuer gestanden.

Der ukrainische Videojournalist Mstyslav Chernov kurz vor Beginn der russischen Invasion in der UkraineBild: Evgeniy Maloletka/AP Photo/picture alliance

Solange es in Mariupol relativ ruhige Stadtteile gab, habe man sich in der Stadt mehr oder weniger normal bewegen und arbeiten können, erzählt er. Später seien die Luftangriffe hinzugekommen. "Anfangs gab es keine schweren Bombenangriffe, aber die Bomben fielen sehr chaotisch", so Maloletka.

Verteidigung von Mariupol

Die ukrainische Armee wurde zunehmend nach Mariupol gedrängt. "Es stellte sich heraus, dass das gesamte Militär in die Stadt kam, weil es nicht mehr möglich war, Stellungen auf den Feldern zu halten. Deshalb zog sich die gesamte Verteidigung in die Stadt zurück", sagt Maloletka. Danach sei der Beschuss von Mariupol heftiger geworden und man habe sich in der Stadt nur schwer bewegen können. Auch das Zentrum von Mariupol habe dann unter Artilleriebeschuss gestanden. Zudem seien Sabotage- und Aufklärungsgruppen in der Stadt unterwegs gewesen.

Ein Geschoss eines russischen Panzers schlägt in ein Wohngebäude in Mariupol ein. Foto: Evgeniy MaloletkaBild: Evgeniy Maloletka/AP/dpa/picture alliance

Die Situation in Mariupol wurde immer komplizierter und auf den Straßen waren immer weniger Menschen und Autos zu sehen. Es habe auch so gut wie keine Telefonverbindung mehr gegeben. "Die Menschen gerieten in Panik und fragten uns, was los sei. Sie versuchten, irgendwelche Informationen zu bekommen. Sie fragten nach humanitären Korridoren. Es gab ein oder zwei Stellen in der Stadt, wo noch eine Telefonverbindung bestand, aber auch die brach am 10. März weg", erinnert sich Maloletka.

Fotojournalist Evgeniy Maloletka stammt eigentlich aus KiewBild: Evgeniy Maloletka

Beerdigungen in Hinterhöfen

"Opfer des Beschusses wurden in Hinterhöfen begraben. Aber anfangs waren es noch nicht so viele", sagt der Fotojournalist. Er fügt hinzu, er und Mstyslav Chernov hätten auch die Arbeit von Bestattern dokumentiert, die in eines der Krankenhäuser der Stadt gekommen seien, um Leichen abzuholen.

"Da normale Friedhöfe nicht zugänglich waren, wurde ein etwa 30 Meter langer und etwa drei Meter tiefer Graben ausgehoben. Dorthin wurden Leichen aus Krankenhäusern gebracht. Auch kleine Bestattungsunternehmen sammelten Leichen in Hinterhöfen und brachten diese zu dem Massengrab", berichtet Maloletka.

Leichen vor einem Krankenhaus in Mariupol. Foto: Evgeniy MaloletkaBild: Evgeniy Maloletka/AP Photo/picture alliance

Außerdem fotografierten die Journalisten Kinder. "Es fällt sehr schwer, den Tod von Kindern zu vergessen. Alle Kinder, die ins Krankenhaus gebracht wurden und die wir fotografiert haben, sind gestorben. Darunter sind 15-Jährige, aber auch drei Monate alte Babys. Sie sind alle an den Folgen des Beschusses gestorben", sagt er.

Zerstörung der Stadt

Maloletka stellt fest, dass fast die gesamte Infrastruktur der Stadt inzwischen zerstört ist. "Sie bombardierten nicht nur Krankenhäuser, sondern auch eine Feuerwache mit all ihren Löschzügen. Dort schlug mindestens eine Fliegerbombe ein. Sie haben die Feuerwehr zerstört, wohl um das Löschen von Bränden in der Stadt und die Bergung von Menschen aus den Trümmern unmöglich zu machen und Angst in der Bevölkerung zu säen", meint er.

Beschädigte Kirche nach dem Beschuss eines Wohnviertels von Mariupol. Foto: Evgeniy MaloletkaBild: Evgeniy Maloletka/AP/dpa/picture alliance

So sehe Russlands Kriegsführung aus. "Sie gehen mit Panzern vor und zerstören alles, was sie sehen, und ziehen dann weiter, und so haben sie Viertel für Viertel von Mariupol zerstört", sagt er. "Das ist eine mittelalterliche Taktik: Wenn man eine Stadt nicht einnehmen und halten kann, zerstört man sie wohl lieber", so Maloletka.

Bombardierung einer Geburtsklinik

Als am 9. März eine Bombe ein Krankenhaus mit einer Geburtsklinik traf, waren die beiden Journalisten in der Nähe. Die Bilder der Zerstörungen gingen um die Welt und wurden zu einem Symbol dieses Krieges.

Nach einer Bombardierung einer Geburtsklinik in Mariupol. Foto: Evgeniy MaloletkaBild: Evgeniy Maloletka/AP/picture alliance

"Zufällig waren wir in der Nähe, hörten ein Flugzeug und da gab es auch schon eine Explosion. Es war nicht eine, sondern mehrere. Es gab eine sehr starke Druckwelle und die Fenster in den umliegenden Häusern gingen zu Bruch. Wir sahen, dass dort alles zertrümmert war. Menschen kamen schockiert aus dem Keller gelaufen. Wir sahen, wie Schwangere heruntergetragen wurden. Das waren sehr heftige Bilder", sagt Maloletka. Ihm zufolge befand sich in einem Teil des Gebäudes ein Militärkrankenhaus. Aber militärische Stellungen oder militärische Ausrüstung habe es dort nicht gegeben.

Gefahr durch russische Soldaten

Die beiden Journalisten gingen ins stark beschädigte Krankenhaus, um mit Frauen aus der Geburtsklinik zu sprechen. "Dann fuhren russische Panzer vor. Wir versteckten uns fast einen Tag lang im Krankenhaus und gaben uns als Ärzte aus. Wir trugen weiße Kittel und filmten, wie russische Panzer durch die Stadt fuhren", erzählt Maloletka.

Eine schwangere Frau aus der zerbombten Geburtsklinik. Foto: Mstyslav ChernovBild: Mstyslav Chernov/AP Photo/picture alliance

Am Morgen des 12. März gelang es dann einer ukrainischen Spezialeinheit die beiden Journalisten an einen sichereren Ort zu bringen. "Wir hatten kein Auto mehr und wir konnten uns nur sehr eingeschränkt in der Stadt bewegen. Polizisten halfen uns später beim Zugang zum Internet über Satellit. Sie hatten eine entsprechende Verbindung, und wir konnten über sie Daten übermitteln", erinnert er sich.

Maloletka sagt, schließlich sei ihnen zur Evakuierung geraten worden. "Uns wurde gesagt, wenn wir von den Russen gefangen genommen würden, würden sie uns zwingen, das in die Kamera zu sagen, was sie von uns verlangen. Wenn wir also tatsächlich in die Hände der Russen gefallen wären, wäre das wirklich schwierig gewesen. Ich möchte nicht am eigenen Leib erfahren, wie die russischen Geheimdienste mit Festgenommenen umgehen", sagt er.

Evakuierung aus Mariupol

Am 14. März konnte ein Konvoi aus etwa hundert Autos Mariupol verlassen. Am nächsten Tag war die Stadt mit Staus von sechs bis sieben Kilometer Länge verstopft. Die Menschen in den Autos wollten raus aus Mariupol.

Eine Frau hält ein Kind in einem improvisierten Luftschutzkeller in ihren Armen. Foto: Mstyslav ChernovBild: Mstyslav Chernov/AP Photo/picture alliance

"Alle standen im Stau, wir fuhren sehr langsam. Auch wir wollten weg und verließen die Stadt am 15. März. Auf der Strecke zwischen Mariupol und Orichow in Richtung Saporischschja gab es in jedem Dorf mindestens einen Checkpoint. Das war eine der ersten großen Evakuierungen und wir kamen durch. Es gab damals keine strengen Kontrollen. Wir fürchteten aber, man könnte uns die Telefone wegnehmen, wozu es aber nicht kam. Insgesamt passierten wir etwa 15 bis 16 russische Checkpoints. Nachts überquerten wir dann die Grenze zwischen den russischen und ukrainischen Truppen", so Maloletka.

Getötete und verletzte Medienvertreter

Nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft wurden seit Beginn des Krieges insgesamt 18 Medienvertreter getötet, darunter 15 Männer und drei Frauen. Acht Personen (vier Männer und vier Frauen) wurden entführt und drei Journalisten werden vermisst. Außerdem wurden den Behörden zufolge 13 Medienvertreter verletzt. Unter den Verletzten und Getöteten befinden sich neben Ukrainern auch 19 Medienvertreter aus anderen Ländern: Großbritannien, Tschechien, USA, Dänemark, Vereinigte Arabische Emirate, Russland, Irland, Schweiz, Frankreich und Litauen.

Die Deutsche Welle verleiht den Freedom of Speech Award seit 2015. Preisträger kann eine Person oder Initiative werden, die eine wichtige Rolle beim Schutz der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit in den Medien gespielt hat.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

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