Kanzler Merz und die E3: Der Schwenk nach Europa
18. Juli 2025
Deutschland hat mit dem Elysée-Vertrag seit mehr als 60 Jahren einen Freundschaftsvertrag mit Frankreich. Jetzt gibt es auch einen mit Großbritannien. Es ist der erste umfassende bilaterale Staatsvertrag zwischen den beiden Nationen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Bundeskanzler Friedrich Merz und der britische Premierminister Keir Starmer unterzeichneten den Freundschaftsvertrag am Donnerstag (17. Juli) in London.
In dem Vertrag ist vor allem eine enge Sicherheits- und Rüstungskooperation vorgesehen einschließlich gegenseitiger Beistandsverpflichtung im Krisenfall - obwohl es die im Rahmen der NATO längst gibt.
Eine Woche zuvor war Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit seiner Frau Brigitte zu einem mehrtägigen Staatsbesuch in Großbritannien gewesen, Kutschfahrt mit dem Königspaar und Staatsbankett inklusive. Auch bei diesem Besuch ging es vor allem um Sicherheit der beiden europäischen Atommächte.
Friedrich Merz, Emmanuel Macron und Keir Starmer fuhren auch vor einigen Wochen gemeinsam im Zug nach Kyjiw, um der Ukraine ihre fortgesetzte Unterstützung zuzusichern. Bilder von der Fahrt zeigen die drei entspannt und informell im Gespräch. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk kam damals in einem anderen Zug nach.
E3 ist aus der Not geboren
E3, dieses noch ziemlich neue Kürzel, sollte man sich merken. Es steht für die Zusammenarbeit der drei großen westeuropäischen Nationen Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Zwar sind Frankreich und Deutschland ohnehin enge Partner innerhalb der EU, Großbritannien steht aber seit dem Brexit, dem Austritt aus der Europäischen Union, etwas abseits.
Doch das soll jetzt offenbar keine Rolle mehr spielen, denn E3 wurde aus der Not geboren: Grund ist einerseits das Gefühl der Bedrohung durch Russland, andererseits die Unsicherheit, ob US-Präsident Donald Trump die europäischen NATO-Staaten im Kriegsfall wirklich unterstützen würde. Die atomare Abschreckung Frankreichs und Großbritanniens, das deutet Merz immer wieder an, könnte den amerikanischen Schutzschirm für Europa ergänzen, auf längere Sicht vielleicht sogar ersetzen, sollten sich die USA ganz von Europa abwenden.
Merz: "Wir waren Trittbrettfahrer"
Beim Antrittsbesuch von Merz in Washington im Juni sahen die meisten Medien schon einen Erfolg darin, dass der gemeinsame Presseauftritt mit Trump ohne größere Zerwürfnisse über die Bühne ging. In Erinnerung war, wie Trump zusammen mit Vizepräsident J. D. Vance im Februar den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office vor laufenden Kameras regelrecht abkanzelten. Auch Merz zeigte sich damals entsetzt über die Szene.
Merz sagte in der Pressekonferenz mit Trump kaum etwas, wirkte nervös, Trump redete umso mehr. Der Kanzler versprach vor allem mehr Verteidigungsausgaben, der US-Präsident schien zufrieden. "Trump geht es nicht um Partnerschaft, sondern um Vasallentum." So sieht es der Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Universität Halle-Wittenberg, wie er der DW schrieb.
Gleich nach seinem Wahlsieg im Februar hatte Merz gesagt, Europa solle verteidigungspolitisch eine "Unabhängigkeit von den USA erreichen". Doch das ist unrealistisch, glaubt Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Angesichts der großen sicherheitspolitischen Abhängigkeit Europas von den USA wäre eine offene Abkehr von Washington waghalsig und unklug", schrieb er der DW. Auch Varwick meint: "Von Unabhängigkeit kann keine Rede sein", weder politisch noch militärisch.
In London deutete Merz an, dass die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Großbritannien eine Ergänzung, jedoch kein Ersatz zur US-Beistandsgarantie sei. In einem BBC-Interview gab der Kanzler dem US-Präsidenten zudem Recht, was europäische Rüstungsausgaben angeht: "Wir wissen, dass wir selbst mehr tun müssen und dass wir Trittbrettfahrer (free-riders) waren." Doch das sei nun Vergangenheit: "Die Amerikaner fordern uns auf, mehr zu tun, und das tun wir auch", sagte Merz der BBC im Hinblick auf die geplanten massiven deutschen Rüstungsausgaben.
Grenzkontrollen haben Verhältnis zu Polen belastet
Der Christdemokrat Friedrich Merz hatte der Vorgängerregierung unter dem Sozialdemokraten Olaf Scholz mehrfach vorgeworfen, das Verhältnis zu Frankreich und zu Polen zu vernachlässigen. Als Zeichen, dass er besonderen Wert auf diese beiden europäischen Partner legt, reiste Merz sofort nach seinem Amtsantritt nach Paris und Warschau.
Mit Macron gab es - jedenfalls nach außen - sofort herzliches Einvernehmen. Mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk verdarb es sich Merz dagegen, als er kurz zuvor Grenzkontrollen starten ließ, um illegale Einreisen zu verhindern. Polen will solche Migranten nicht zurücknehmen und kontrolliert inzwischen seinerseits die Grenze zu Deutschland. Henning Hoff spricht hier von einem "Fehlstart" von Merz, "weil ihm Migrations-Symbolpolitik wichtiger war als der europäische Zusammenhalt und gutnachbarliche Beziehungen zu Polen".
In der Pressekonferenz mit Starmer betonte Merz, die Dreier-Zusammenarbeit sei nicht exklusiv: "Polen, Italien und andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, auch kleinere Partner denken wir immer mit." Doch die gemeinsame Fahrt von Merz, Starmer und Macron im Zug nach Kyjiw - ohne Tusk oder Meloni - war ein Symbol: Die Formel sicherheitspolitischer Zusammenarbeit heißt nicht E5, nicht E4, sondern E3.