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eCall - ein umstrittener Lebensretter

Jennifer Fraczek17. Juni 2013

Das Notrufsystem eCall soll in der EU ab Herbst 2015 verpflichtend in alle neuen Autos eingebaut werden. Unbestritten: Der automatische Notruf kann bei schweren Unfällen Leben retten. Einige Fragen bleiben offen.

Ein Rettungswagen im Einsatz - Foto: S. Sogras (Fotolia)
Bild: Ssogras/Fotolia

In der Europäischen Union sterben pro Jahr mehr als 30.000 Menschen bei Verkehrsunfällen. Es könnten wohl einige Leben gerettet werden, wenn die Notfallhelfer mehr Informationen über den Unfall hätten - vor allem über den Unglücksort. Die EU-Kommission will ein System einführen, das neumodisch "eCall" heißt, "emergency Call". Bei einem Unfall wählt es über das Handynetz automatisch die Notrufnummer 112 und nimmt mit der nächstgelegenen Rettungsleitstelle Kontakt auf. Dann kann beispielsweise auch bewusstlosen Unfallopfern geholfen werden, die möglicherweise auf einer einsamen Landstraße verunglückt sind.

Die Pläne gibt es schon seit mehr als zehn Jahren, doch jetzt hat die EU-Kommission die technischen Standards festgelegt. Damit sollte es nun allen Autoherstellern möglich sein, eCall in ihre Neuwagen einzubauen. Einige haben das schon getan, insgesamt sind aber derzeit nur 0,7 Prozent der Autos in der EU mit eCall ausgestattet.

Weniger Verkehrstote

Das System besteht aus einer Box mit Mobilfunkeinheit, GPS-Empfänger und Antennenanschluss. Hat der Fahrer des Autos mit eCall einen Unfall, stellt das System automatisch eine Sprechverbindung zum Notruf 112 her. Sind die Fahrzeuginsassen dazu in der Lage, können sie mit den Nothelfern direkt sprechen und gegebenenfalls auch Entwarnung geben. Zusätzlich überträgt eCall Informationen an die Einsatzzentrale: Unfallzeitpunkt, Standort, Fahrzeugtyp und Fahrtrichtung. Dass es einen Unfall gab, merkt das System etwa daran, dass der Airbag ausgelöst wird. Doch Autofahrer können einen entsprechenden Notruf mit eCall auch manuell absetzen.

Positionsbestimmung nach e-Call-Alarm: Wichtige Daten für RettungskräfteBild: picture-alliance/dpa

Der deutsche Automobilklub ADAC unterstützt die verpflichtende Einführung des Notrufsystems. "Wenn ein Unfall passiert, gibt es die sogenannte goldene Stunde. In der muss ein Unfallopfer gefunden werden, damit sein Leben gerettet werden kann. Wenn die Rettungskräfte bei jedem Unfall rechtzeitig eingreifen könnten, könnte das EU-weit rund 2500 Leben pro Jahr mehr retten", so ADAC-Sprecherin Maxi Hartung im DW-Interview.

Tatsächlich gibt es gegen eCall an sich kaum Bedenken - zumal sich die Kosten für den Käufer eines Neuwagens in Grenzen halten. Die EU-Kommission rechnet mit rund 100 Euro pro Gerät. Wenn das eCall-System in ein Navigations- und Audiosystem integriert wird, schlage es sogar nur mit ein paar Euro extra zu Buche.

"Theoretisch völlig transparent"

Skeptisch sehen viele Fahrzeughalter indes, was aus eCall folgen könnte. Da das Notrufsystem über das Handynetz eine Verbindung nach außen aufbaut, so die Befürchtung, könnte es ein Einfallstor für eine ständige Überwachung des Fahrzeuges sein.

Müller-Peters: Autofahrer müssen die Kontrolle über Daten behaltenBild: privat

Dass Autobesitzer in diesem Punkt Bedenken haben, hat eine Studie ergeben. Erstellt wurde sie von Horst Müller-Peters, Professor am Institut für Versicherungswesen der Fachhochschule Köln. Alles, was im Auto elektronisch erfasst oder gesteuert werde, könne theoretisch weitergeleitet werden, so Müller-Peters im DW-Interview: Die Zahl der Insassen etwa oder ob der Fahrer sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält. "Der Autofahrer ist also theoretisch völlig transparent. Im Moment erfährt aber niemand etwas von den Daten, weil sie im Fahrzeug bleiben."

Denn geplant ist eCall als "schlafendes System". Das heißt, die Box an Bord des Fahrzeuges bucht sich erst in ein Mobilfunknetz ein, wenn ein Notfall bemerkt oder ein Notruf abgesetzt wird. Doch die vom System permanent gesammelten Daten sind auch für andere Anwendungen durchaus nützlich - dann wäre das eingebaute Gerät allerdings unter Umständen ständig online.

"In Großbritannien gibt es Versicherungen, die die Fahrzeugdaten erfassen, und bei entsprechender Fahrweise deutliche Prämienreduktionen anbieten, gerade für Fahranfänger", sagt Müller-Peters. Auch einige deutsche Versicherer arbeiteten schon an diesem Thema. Eine weitere Möglichkeit von Zusatzdiensten, die sich aus der Übermittlung von Autodaten ergeben: Eine Werkstatt kann den Zustand des Autos überwachen und zur Inspektion rufen, wenn sie es für nötig hält.

Wer bekommt die Zusatzinformationen?

Wichtig ist, das betonen nicht nur Datenschützer, dass der Autobesitzer sich aussuchen kann, welche Dienste er nutzen möchte. Denkbar ist daher, dass Autohersteller ihre Neuwagen mit einer Grundeinstellung ausliefern, die nur im Notfall aktiv wird. Alles was darüber hinausgeht, müsste der Käufer selbst aktivieren. Seine Befragung von Autobesitzern über die eCall-Akzeptanz zeige, "dass das Thema Datenschutz für die Menschen sehr wichtig ist", sagt der Kölner Experte. In der Praxis gingen sie dann aber doch oft leichtsinnig mit ihren Daten um: Weil Rabatte oder andere finanzielle Vergünstigungen winken, aus Bequemlichkeit, oder weil alle anderen es genauso machen.

Vom Datenschutzaspekt abgesehen, gibt es aber auch Wettbewerbsbedenken. Damit verbunden ist die Frage: Wer bekommt letztendlich die aufgezeichneten Daten? Der Autohersteller, der den Wagen bei einem Problem in die nächstgelegene Vertragswerkstatt lotsen könnte? Eine freie Werkstatt? Auch das müsse der Autobesitzer frei wählen können, findet Müller-Peters.

Nicht zuletzt gibt es auch beim klassischen eCall noch einiges zu tun: Die Notrufzentrale muss bei einem Unfall nämlich erst mal technisch in der Lage sein, die übermittelten Daten auslesen zu können. Frank Brennecke von der Firma Oecon, die sich mit dieser Frage beschäftigt, sagte dazu jüngst, die Umrüstung der deutschen Rettungsleitstellen werde voraussichtlich noch bis 2016 dauern.

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