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ECHO 2013

Peter Zimmermann22. März 2013

Weder die Grammys noch die Brit-Awards küren das, was beim ECHO-Musikpreis ausgezeichnet wurde. Die deutsche Musikindustrie ging bei ihrer 22. Verleihung wieder den anderen Weg und feierte sich selbst.

Moderatorin Helene Fischer am Trapez (Foto: Britta Pedersen/ dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Gleich zu Beginn versprach Helene Fischer mit Robbie Williams per Einspielvideo "eine grandiose Show". Dann sah man den deutschen Shootingstar des Schlagers am Trapez durch den Palast unterm Berliner Funkturm schweben und "Let me entertain you" singen. Die Fischer passt als ECHO-Moderatorin. Ihre eigenen Schlager-Shows sind ein Mix aus Konzert, Musical und Zirkus. Sie probiert alle musikalischen Stile, setzt auf schillernde Oberflächlichkeit. Und verkörpert den Kern des wichtigsten deutschen Musikpreises ECHO: für Jeden was dabei.

Belohnung für Bestseller

Fast 30 Jahre lang vergaben deutsche Musikkritiker - einst konkurrenzlos - den "Preis der deutschen Schallplattenkritik". Von extremer E-Musik-Lastigkeit und eitlem Urteil in den Wahnsinn getrieben, entzogen sich Musikmanager 1992 deren Einfluss. Seither feiern sie bei der jährlichen ECHO-Verleihung der Deutschen Phono-Akademie die eigenen Erfolge – mit dem Blick zurück. Die Verkaufscharts der Marktforscher von Media Control für den Zeitraum Februar 2012 bis Februar 2013 waren diesmal ausschlaggebend. Wenig aussagekräftig, weil Künstler, die gute Verkaufsergebnisse ohne wochenaktuelle Spitzenpositionen in den Charts erzielen, benachteiligt werden. Und weil kein Urteil einer unabhängigen, kritischen Jury gefragt war. Mainstream eben. Vorhersehbar. Ein bisschen was von Gestern für Jedermann.

"Die Hosen" feiern ihren ECHOBild: picture-alliance/dpa

"Vereinte Nationen der Musik" nennt es Helene Fischer. "Von Volksmusik bis HipHop, von Pop bis Rock. Man hilft sich morgens um fünf ins Taxi", beschreibt sie die Feierlaune. "Der ECHO rockt und wir sind live dabei!", schwärmt Altrocker Peter Maffay.

Die Abräumer


Die Toten Hosen räumen ab. Die Jungs aus Düsseldorf sind die "Band des Jahres 2012", ihr "Ballast der Republik" ist das "Album des Jahres 2012", sie hatten das "Produzententeam des Jahres" und "Tage wie diese" war der "Hit des Jahres". Den "ECHO Bestes Video" kriegt "die reizende Lena" Meyer Landrut mit ihrem neuesten Hit "Stardust". "Oh Gott! Ich freu' mich so… soo… doll." Oh Gott, sie weint. Und Lana del Rey kommt – ausgezeichnet als Nachwuchskünstlerin und "Künstlerin Rock/Pop International" – auf die Bühne und gibt in weißem, langen Kleid ihr Gesülze dazu: "Eine Ehre…Berlin ist ein ganz besonderer Ort… Ich liebe Euch wirklich alle!"

Der gewohnt zähe Ablauf von Lobrede und ewig gleichen Danksagungen. 28 Kategorien. Das braucht Schub.

Die ehemalige First Lady Frankreichs Carla Bruni bringt mit ihrer neuesten Single "Mon Raymond" eine jazzig swingende Hommage an das französische Lied und ihren Mann Nicolas Sarkozy. Cascada bringt noch einmal "Glorious", testet für Malmö scheinbar neue Glitzeroutfits auf ihre Publikumswirksamkeit. Alles ist Playback. Alles ist PR. Und Robbie Williams kriegt seinen 9. ECHO in Los Angeles.

Helene mit dem zugeschalteten RobbieBild: picture-alliance/dpa

Extrem erfolgreiche Musikproduktionen schießen in die Charts, ernten Gold und Platin. Wieso dann noch einen ECHO? "Das haben die Musikfans bestimmt!", rechtfertigt Helene Fischer für den Verband der deutschen Musikindustrie auch in diesem Jahr wieder die schnarchlangweilige Veranstaltung. Und holt sich im kurzen Silbernen dafür in den Kategorien Schlager und DVD National gleich zwei ECHOs ab. Schlager verzaubert. Erreicht die Herzen der Menschen - der jungen Menschen, heißt es. Ach ja?

Ein paar Skandälchen gab es im Vorfeld: Die Nominierung der erfolgreichen Südtiroler Band Frei.Wild hatte die Phono-Akademie nach Protesten gegen deren national-patriotische Texte in diesem Jahr zurückgezogen. Die Band erschien trotzdem, stand mit Fans draußen vor der Tür und protestierte. Unabhängig davon versuchte auch die rechtsextreme NPD, den Eklat für eigene Zwecke zu nutzen.

Ein bißchen Aufregung


"Wir hatten unser Statement auf unserer Website gemacht. Das war alles etwas aufgebauscht.", kommentiert Tote Hosen-Chef Campino die Affäre am Abend gelassen vor der Presse. Und drinnen versucht man um das Thema Nationalismus mit Sängerin Katie Melua auf Englisch herumzukommen, damit deutsche Politik und Musik schön getrennt bleiben: "Rock/Alternative" ist dieses Jahr eine kontroverse Kategorie", befindet sie, ohne die anderen Nominierten zu nennen. "Aber der Gewinner ist ein sehr empfindsamer Mensch. Seine Songs sind tiefgründig und ehrlich. Und er hat – anders als ich – keine Probleme mit seinen Haaren!". Puh, noch mal die Kurve gekriegt. Der glatzköpfige Graf durfte mit seiner Elektropop-Band Unheilig seinen "Alternative-Rock-ECHO" auf der Bühne entgegen nehmen. Empfindsam. Ehrlich eben.

Dabei hätte der Abend spannend werden können…

Heino war da. Der berühmte, stets veräppelte Blonde mit der Sonnenbrille trägt jetzt Totenkopfring und veräppelt zurück: Er covert Rammstein, Die Ärzte und Peter Fox mit Schlagerbariton, Ironie und rollendem "r". Einst sang der Düsseldorfer Scheußlichkeiten wie "Schwarzbraun ist die Haselnuss" und nahm eine Platte mit allen drei Strophen des Deutschlandliedes auf.

Kryptic Joe, Porky, Ferris MC und DJ Phono von Deichkind waren da, ihren ECHO für "Befehl von ganz unten" in der Kategorie "Electronic/Club/Dance" abzuholen. Die vier anarchistischen Wüteriche mit Pyramidenhüten richten sich mit deftigen Beats und schroffen Texten an die deutsche Individualgesellschaft: "Bück dich hoch! Steiger den Profit! Bück dich hoch! Sonst wirst du ausgesiebt! Bück dich hoch! Mach dich beim Chef beliebt! Bück dich hoch! Auch wenn es dich verbiegt!"

David Garretts furiose BühnenshowBild: picture-alliance/dpa



Referenz an das Alter

Und ECHO-Preisträger Reinhardt Mey war gekommen, seinem 70-jährigen Freund und Sänger Hannes Wader den ECHO für sein Lebenswerk zu überreichen. Wader, der singt, "dass kein Schwein jemals deutscher" sein könne als er und sich immer noch schwertut mit dem Begriff "Vaterland". "Du hast die Musikszene bewegt", sagt Reinhard Mey. "Du hast Songs gegen Krieg und Gewalt geschrieben, damit Männer den Kriegsdienst verweigern und den Dienst für ihre Brüder und Schwestern tun. Du warst immer überzeugt, dass diese Welt der Menschen durch Menschen besser zu machen ist! Ich verneige mich vor einem wahrhaft großen Liederpoeten." Hannes Wader steht auf der großen Bühne unterm Funkturm. Sichtlich gerührt. Nimmt seine Gitarre und gibt "Heute hier, morgen dort". Schlicht. Uneitel. Leise klingt das Lied aus. Dann brechen Die Toten Hosen ein, geben sich die Ehre und dem eingeschüchtert wirkenden Herrn Wader ernst gemeinten Beistand: Musik, die Stellung bezieht. Wader ist ein streitbarer Geist, wie wir ihn heute mehr denn je brauchen. Gemeinsam singen sie: "… Und mir wird klar, dass nichts bleibt wie es war!"

Das wäre schön. Denn der ECHO könnte ja mal was werden. Preise sollten Künstler und Publikum überraschen, herausragende Leistungen aufzeigen, die für die Zukunft vielversprechend sind. Aufsehen erregen. Nachfrage stimulieren im Plattengeschäft. Aber natürlich auch im Netz. Da kann die deutsche Musikindustrie noch viel lernen.

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