1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Echte Zuneigung sieht anders aus

Seda Serdar | Hilal Köylü
27. September 2018

Deutschland und die Türkei wollen ihre konfliktreiche Beziehung verbessern. Das ist das Ziel der Deutschlandreise von Recep Tayyip Erdogan. Kann das klappen? Nicht nur die Opposition in Berlin und Ankara ist skeptisch.

Türkei AKP Kongress in Ankara
Bild: picture-alliance/AA/K. Ozer

Wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an diesem Donnerstag seinen Deutschland-Besuch antritt, verfolgt er vor allem ein Ziel: "die Phase der letzten Jahre in unserem Verhältnis vollkommen hinter uns zu lassen", wie er vor kurzem angekündigte.

Die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara sind seit Jahren zunehmend angespannt. Dass die türkische Regierung den Zugang deutscher Politiker zum Luftwaffenstützpunkt Incirlik beschränkt hat, dann die Festnahme deutscher Staatsbürger in der Türkei und Erdogans Vorwurf, die deutsche Regierung wende "Nazi-Methoden" an – das sind nur einige von vielen Konfliktpunkten. Der Kern der Auseinandersetzungen sind die autokratischen Tendenzen der Regierung Erdogan.

Jetzt allerdings versucht die Türkei, sich Deutschland und Europa wieder zuzuwenden. Ankara hofft, dass Berlin und Brüssel dabei helfen können, das Land wieder zu stabilisieren, nachdem die Spannungen zwischen der Türkei und den USA durch Meinungsverschiedenheiten zu Syrien, durch die Festnahme eines amerikanischen Pastors in der Türkei und die darauf folgenden Wirtschaftssanktionen gewachsen sind.

Sowohl Berlin als auch Ankara ist daran gelegen, das gegenseitige Verhältnis zu verbessern – und Erdogans Besuch vom 27. bis 29. September könnte der erste Schritt sein.

Die deutsche Regierung hat allerdings keine hohen Erwartungen. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, will, dass Erdogan zeigt, "dass er an europäische Werte glaubt, an Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz."

Eine Wiederannäherung wird nur möglich sein, wenn die deutschen Staatsbürger, die in der Türkei inhaftiert sind, freigelassen werden. Laut dem Auswärtigen Amt geht es um fünf Personen.

Bankett-Boykott

Am Freitagmorgen wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den türkischen Präsidenten in Schloss Bellevue mit allen militärischen Ehren empfangen. Am Abend wird in Bellevue zudem ein Staatsbankett stattfinden – was in Deutschland kontrovers diskutiert wurde.

Boykottiert das Bankett: Linken-Politikerin Sevim DagdelenBild: DW

Mehrere ranghohe deutsche Politiker haben angekündigt, dass sie nicht teilnehmen werden. Darunter ist Sevim Dagdelen. "Wenn es um einen Dialog ginge, würde man ja einen ganz normalen Arbeitsbesuch machen, […] und nicht protokollarisch die höchste Aufwertung darbieten für einen Staatspräsidenten, der die Journalisten einkerkert, Deutsche als Geiseln hält, eine wirkliche Mafia-Politik in der Außenpolitik betreibt," so Dagdelen gegenüber der DW. "Also diesen roten Teppich mit militärischen Ehren und einem Staatsbankett halte ich völlig für unvertretbar."

Auch FDP-Chef Christian Lindner kündigte an, dem Bankett fernzubleiben. 

Einer von Erdogans schärfsten Kritikern in Deutschland - Cem Özdemir - wird hingegen teilnehmen. Der Grünen-Politiker argumentiert: "[Erdogan] muss mich, der für die Kritik an seiner autoritären Politik steht, sehen und aushalten."

Unionspolitiker Hardt findet, dass mit dem Empfang in Bellevue nicht nur Erdogan geehrt wird, sondern die Türkei als solche. "Ich glaube, es ist in Ordnung, wenn wir so etwas für Erdogan veranstalten", so Hardt. "Erdogan ist einer unser wichtigsten Partner, besonders in puncto Sicherheit und Flüchtlingspolitik."

Kanzlerin Merkel wird bei dem Staatsbankett nicht anwesend sein – das bestätigte sie am Montag selbst. Das ist aber nicht unbedingt ungewöhnlich – die Kanzlerin geht nur in Ausnahmefällen zu solchen Empfängen. Sie wird sich jedoch während seines Besuches zweimal mit Erdogan treffen.

Viele prominente deutsche Politiker - darunter auch Angela Merkel - werden dem Bankett-Tisch fernbleibenBild: picture-alliance/AA/A. Dumanli

Die türkische Wirtschaft: "too big to fail"

Die türkische Wirtschaftslage wird bei Erdogans Deutschlandreise ein Kernthema sein. Der türkische Präsident beharrt zwar auf der Meinung, dass die Wirtschaft seines Landes stark genug sei , um die aktuelle Krise eigenständig zu überwinden. Doch eine schwache Währung, deutliche Inflation und eine hohe Arbeitslosigkeit sprechen eine andere Sprache.

Auch Deutschland hat ein Interesse daran, dass sich die Wirtschaft der Türkei erholt. "In gewissem Maße ist die Türkei systemrelevant, 'too big to fail' für die Bundesregierung - darauf vertraut Präsident Erdogan," so Kristian Brakel, Türkei-Experte der Heinrich-Böll-Stiftung. "Was die Türkei will, ist […] eine Beziehung, die vor allem auf wirtschaftlicher Kooperation beruht, im Austausch für eine Zusammenarbeit in puncto Sicherheit, zum Beispiel beim Umgang mit Dschihadisten, die aus Syrien und dem Irak zurückkehren. […] Das ist vielleicht die einzige Art von Beziehung, die wir derzeit mit der Türkei haben können."

Was muss passieren, damit sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Berlin und Ankara verbessern? Jürgen Hardt sagt, die Türkei müsse sicherstellen, dass sich deutsche Unternehmen keine Sorge um ihre Mitarbeiter vor Ort machen müssen: "[Erdogan] muss akzeptieren, dass Investoren möchten, dass Rechtssicherheit besteht und Menschenrechte für ihre Mitarbeiter vor Ort geachtet werden."

"Wir wissen, dass die türkische Wirtschaft fragil ist und Strukturprobleme hat", so der Unionspolitiker. "Aber abgesehen davon ist die aktuelle [wirtschaftliche] Krise das Produkt der tiefen politischen Krise in der Türkei. Wenn die Türkei sich wirtschaftlich erholen will und sich von Deutschland Unterstützung erhofft, dann müssen wir über Rechtsstaatlichkeit reden, nicht nur über die Wirtschaft."

Die türkische Opposition sieht den Besuch kritisch

Trotz Meinungen wie dieser haben Erdogan-Kritiker in der Türkei wenig Hoffnung, dass die Bundesregierung ein Interesse daran hat, die Menschenrechtslage in der Türkei zu thematisieren.

Bereits am Wochenende demonstrierten Menschen in Berlin-Neukölln gegen den Besuch ErdogansBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

"Erdogan besucht Deutschland, während er Menschenrechte mit Füßen tritt, und er wird willkommen geheißen unter diesen Bedingungen", sagt Garo Paylan von der prokurdischen türkischen Partei HDP. "Das normalisiert alles, was er tut, und die Türkei wird akzeptiert als ein Land, das Menschenrechte verletzt. Das einzige Ziel des Besuches ist es, ein Pufferland vor dem Kollaps zu bewahren."

Rede in der DITIB-Moschee

In Deutschland leben mehr als drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Die deutsch-türkische Gemeinschaft hier ist tief gespalten, wenn es um den türkischen Präsidenten geht. Zwar wählten von den wahlberechtigten Deutschtürken zwei Drittel  bei der letzten Wahl Erdogan, allerdings machten von ihnen laut Informationen der "Tagesschau" nur rund 50 Prozent von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Außerdem gibt es auch eine große türkisch-kurdische Diaspora, die Erdogan äußerst kritisch sieht, und im Bundestag haben viele der größten Kritiker Erdogans türkische Wurzeln, etwa Özdemir und Dagdelen.

Erdogan will seinen Besuch in Köln beenden. Dort hält er eine Rede bei der offiziellen Eröffnung einer Moschee , die von der türkischen DITIB finanziert wurde. Diese vom türkischen Staat kontrollierte religiöse Organisation hat in Deutschland zuletzt für viele Negativschlagzeilen gesorgt.

Linken-Politikerin Sevim Dagdelen lehnt Erdogans Besuch grundsätzlich – vom Staatsbesuch bis zur Moschee-Rede – ab: "Dieser Propaganda-Auftritt Erdogans, den er innenpolitisch ausschlachtet wird, um sich als einen gefeierten großen Staatsmann in der Türkei feiern zu lassen, das hat die Bundesregierung ihm ermöglicht."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen