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Gesellschaft

Ecuador: Zwei Schritte vor und einen zurück

Rebecca Küsters
12. August 2019

Seit zwei Monaten dürfen in Ecuador gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Ein großer Schritt für das konservative Land, doch die Kritik an der Entscheidung ist nicht verstummt. Was bedeutet das für die LGBTI-Bewegung?

Ecuador - Homosexuelle Ehe
Mit Regenbogenflaggen und Plakaten unterstützten LGBTI-Aktivisten Efrain Soria (rechts) vor dem UrteilBild: picture-alliance/AP Photo/D. Ochoa

Am 12. Juni zeigte sich ein eher seltenes Bild in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito: Jubelnde Menschen versammelten sich in den Straßen, Regenbogen-Flaggen schwangen in der Luft und homosexuelle Paare lagen sich vor Freude in den Armen. "Es war wirklich emotional, weil es etwas war, das wir schon so lange wollten. Ja, da sind auch einige Tränen geflossen," erinnert sich Efrain Soria an einen der wohl bedeutendsten Momente seines Lebens. Gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Javier Benalcazar und einem weiteren Paar erstritt er vor dem Verfassungsgericht das Recht, zu heiraten - und zwar nicht nur für sich und für seinen Partner, sondern auch für alle anderen gleichgeschlechtlichen Paare Ecuadors.

Die bindende Entscheidung der Verfassungsrichter war ein historischer Schritt für das traditionell konservative und katholisch geprägte Land. Und das Votum war denkbar knapp: Fünf der neun Richter stimmten dafür, vier dagegen. Doch schlussendlich gab das Gericht den Klägern mit Blick auf die Gleichberechtigung aller Menschen und auf das Diskriminierungsverbot recht. 

Seitdem das Urteil am 9. Juli offiziell in Kraft getreten ist, haben bereits acht gleichgeschlechtliche Paare den Bund der Ehe geschlossen. Auch Soria und sein Partner Javier Benalcazar sind mitten in den Hochzeitsvorbereitungen. "Ohne Zweifel hilft dieses Thema der LGBTI-Community. Wir sind jetzt nicht mehr Bürger zweiter Klasse sondern haben die gleichen Rechte, wie alle anderen auch," freut sich Soria auch heute noch. "Ich denke, dass es eine Botschaft, ein Symbol ist." LGBTI steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle.

Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts feiern Mitlieder der LGBTI-Community in den StraßenBild: Getty Images/AFP/M. Pin

Proteste reißen nicht ab

Doch das Thema polarisiert: Auch die Gegner verkündeten lautstark ihre Meinung. Seit Beginn des Prozesses zogen immer wieder tausende Menschen durch die Straßen, um ihr Bild einer "traditionellen Familie" zu verteidigen. Insbesondere die religiöse Gruppe "Con mis hijos no te metas" (frei übersetzt: "Bleib von meinen Kindern weg") ruft immer wieder zu Protesten auf. Ursprünglich von konservativen Eltern in Peru gegründet, ist die Bewegung heute in vielen spanischsprachigen Ländern aktiv und protestiert unter anderem gegen die Behandlung von diversen sexuellen Orientierungen in den Schulen. Auch Wochen nach der Entscheidung zur Homo-Ehe marschierten sie und andere Gegner der Entscheidung mit Rosenkränzen in den Händen in mehreren Städten des Landes. 

"Wir glauben, dass es eigentlich schon mehr Unterstützer als Gegner gibt. Die Sache ist nur die, dass die Gegner lauter sind," sagt Efrain Soria. Auch Mitglieder und Unterstützer der LGBTI-Community versammeln sich zu Festen und Demonstrationen auf den Straßen.

Aber wenn die Diskussion, die eigentlich zu mehr Diversität führen sollte, solch eine Aufruhr verursacht und gerade starke kritische Stimmen ans Licht bringt - was bedeutet das für die LGBTI-Bewegung? "Wir haben Fortschritte gemacht mit einigen Rechten. Vielleicht hat das den Hass der Personen geschürt, die gegen uns Menschen mit diverser Sexualität sind," vermutet Diane Rodríguez. Sie ist eine Trans-Frau und Vorsitzende der Nationalen LGBTI-Vereinigung. Und weil das Thema Ängste und Vorurteile gegenüber der gesamten LGBTI-Community aufleben lässt, leidet auch sie unter den Diskriminierungen. "Wenn mich zum Beispiel ein Busfahrer als Trans-Frau identifiziert, dann ist es schon öfter passiert, dass er nicht für mich anhält. Oder wenn ein Taxi anhält und mich dann an meiner tiefen Stimme erkennt, dann spricht er nicht mehr mit mir und fährt weg", beschreibt Rodríguez ihre Erfahrungen - vor sowie nach der Entscheidung zur Homo-Ehe. 

Nach der Einführung der Homo-Ehe protestieren tausende Menschen wie hier in Quito gegen die EntscheidungBild: Reuters/D. Tapia

Von Sprechchören bis Gewalt

"Natürlich ärgern uns die Sachen, die sie sagen," sagt auch Soria mit Blick auf die vielen Gegendemonstrationen. "Sie werfen uns mit Pädophilen und anderen Gräueltaten und sozialen Problemen in einen Topf. Und das tut natürlich weh, weil die Menschen ein völlig falsches Bild von unserer Lebensweise haben," erklärt er weiter.

Und nicht immer bleibt es nur bei Worten: Laut einer Statistik der Organisation Silueta X, für die auch Diane Rodríguez arbeitet, gab es zwischen Januar und Juli diesen Jahres bereits sieben bekannte tödliche Angriffe auf Mitglieder der LGBTI-Community - mehr als in den Jahren 2017 und 2018 zusammen. 

Efrain Soria hat allerdings Hoffnung, dass sich die Situation mit der Zeit bessern wird. "Ich glaube, das ist vor allem ein momentaner Effekt. Nach einiger Zeit wird es sich beruhigen und die Ehe zwischen Personen mit dem gleichen Geschlecht wird genau so normal sein wie jede andere Situation auch." Und das, was für diesen Prozess vor allem wichtig sei, sei die Bildung. "Der Staat muss einen Aufklärungsunterricht in den Lehrplan aufnehmen, der die verschiedenen sexuellen Orientierungen einschließt. Nur so wird die Gesellschaft ihre Denkweise ändern," fordert Soria. Doch bis man in so einem konservativen Land soweit sei, werde es wohl noch viele Jahre dauern.