Als der hessische Stausee vor mehr als einhundert Jahren kam, mussten drei Dörfer weichen. Doch wenn im Sommer der Pegel sinkt, tauchen die Ruinen plötzlich wieder auf: eine Brücke, der Friedhof, die Klosterkirche.
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Versunkene Dörfer: Weltweite Suche nach "Atlantis"
Mit sinkendem Pegel taucht plötzlich eine Brücke am Grund des hessischen Edersees auf. Stauseen, Umweltkatastrophen, Bergbau - weltweit versinken immer wieder Dörfer im Wasser. Wir zeigen weitere pittoreske Überbleibsel.
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Brücke bei Asel im Edersee, Hessen
Bei der Konstruktion dieser Talsperre in Nordhessen - und der damit verbundenen Umsiedlung dreier Dörfer - hat wohl noch niemand vermutet, dass diese Brücke wieder aufersteht. 1914 geflutet, sorgt nun allerdings extreme Trockenheit für niedrige Pegel. Neben der Brücke zum früheren Dorf Asel tauchen dann auch weitere Überreste auf. Geheimnisse wie diese finden sich in vielen Stauseen weltweit.
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Kirchturm im Reschensee, Italien
Aquamarinblau umschließt der See den denkmalgeschützten Glockenturm der Pfarrkirche Sankt Katharina. Pittoresk und wunderschön ist das Fotomotiv. Es lenkt fast von der Tatsache ab, dass der Turm aus dem 14. Jahrhundert das letzte sichtbare Überbleibsel des Dorfes Graun ist. Geflutet wurde hier in Südtirol erst 1950 - drei Jahre hatten die Einwohnter Zeit, in höhere Lagen umzuziehen.
Die Malpaso-Talsperre in der mexikanischen Zentralregion von Chiapas schafft das zweitgrößte Wasserreservoir des Landes. Dank Wasserkraft wird hier seit Ende der 1960er Jahre Strom gewonnen. Dafür mussten hunderte Einwohner weichen und neu angesiedelt werden. Bei extremer Dürre - zuletzt 2002 und 2015 - taucht allerdings dieser Prachtbau hier wieder auf: ein vierhundert Jahre alte Tempel.
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Dorf Geamana, Rumänien
Im Apuseni-Gebirge lebten einst mehr als 1000 Dorfbewohner in Geamana. Ende der 1970er Jahre wurde das Tal zu einem giftigen Abfallbecken, nachdem in unmittelbarer Nachbarschaft eine Kupfermine in Betrieb genommen wurde. Das einstige Dorf wird seitdem mit Schlammmassen bedeckt. Die Mine birgt das größte Kupfervorkommen Rumäniens, der Giftsee ist mittlerweile 130 Hektar groß.
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Siedlung Rungholt, Nordsee
Unzählige Mythen ranken sich um das "Atlantis der Nordsee". Im 14. Jahrhundert verschlingt eine Katastrophensturmflut bis zu 30 Siedlungen, darunter den wohlhabenden Ort Rungholt. Viele Funde belegen das, doch der genaue Standort bleibt ungewiss. So verändern das Wattenmeer und die Gezeiten ständig die Lage der Überbleibsel.
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Dorf Fayón im Ebro-Stausee, Spanien
Noch ein Kirchturm, der wie ein Mahnmal aus dem Wasser ragt. Auch hier flutete ein Stausee des spanisches Flusses Ebro ein Dorf. Der See ist einer von drei Stauseen, die zur Stromerzeugung für Barcelona in den 1960er Jahren angelegt wurden. Heute schippern vor allem Angler an dem Kirchturm vorbei, der See ist Angelrevier und gilt als sehr fischreich.
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Nachterstedt am Concordiasee, Sachsen-Anhalt
Immer tiefer gräbt sich der Braunkohle-Abbau in die Landschaft von Sachsen-Anhalt. Nicht nur ein Dorf musste seitdem dem Tagebau weichen. Seit 1928 musste etwa der Ort Nachterstedt um 1,5 Kilometer weiterziehen. Als der Tagebau stillgelegt wurde, entstand das Naherholungsgebiet Concordiasee. Doch die Folgen blieben: 2009 stürzten Teile des umgesiedelten Dorfes ein, drei Menschen kamen ums Leben.
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Kaljasin im Uglitscher Stausee, Russland
150 Kilometer nördlich von Moskau befindet sich dieser rund 140 Kilometer lange und 5 Kilometer breite Stausee an der Wolga. Mit einem Wasserspiegel von mehr als 100 Metern über dem Meeresspiegel versank 1940 der Ort Kaljasin. Unter den verschwundenen Gebäuden sind auch zwei Kirchen - von der Nikolaikirche von 1801 ragt etwa nur noch der Glockenturm hervor.
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48 Meter hoch ist die Talsperre in Nordhessen, eine Meisterleistung der Ingenieurskunst des frühen 20. Jahrhunderts. Sie staut Unmengen an Wasser und schafft damit nicht nur den Edersee, den zweitgrößten Stausee Deutschlands, sondern ermöglicht vor allem den damals notwendigen Wasserstand für die Binnenschifffahrt. Ein ungemein wichtiges Wirtschaftsprojekt - so besuchte 1911 Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich die Baustelle.
Doch wie so oft bei derartigen wirtschaftlichen Großprojekten waren auch hier Menschen im Weg. Konkret: 900 Einwohner der Dörfer Asel, Berich und Bringhausen, die im Tal des Flusses Eder lagen. Die Menschen wurden umgesiedelt, die Gebäude und Gutshöfe zum größten Teil abgetragen und an anderer Stelle samt Dorf-Neugründung wieder aufgebaut, die Dörfer schließlich geflutet.
Edertalsperre: Sie staut seit 1914 soviel Wasser, dass hier der zweitgrößte Stausee Deutschlands entstanden istBild: picture-alliance/akg/Bildarchiv Steffens
Doch wenn im Sommer der Regen ausbleibt und mit steigender Hitze das Wasser verdunstet, dann tauchen sie wieder auf, die versunkenen Dörfer, das "Atlantis" von Hessen. Die Ruinen sind unterschiedlich gut erhalten. Die alte Brücke beim einstigen Dorf Asel ist in hervorragendem Zustand und kann sogar betreten werden (siehe Artikelbild). Sie ist das Wahrzeichen des "Edersee-Atlantis". Ein Dorf weiter im östlichen Bringhausen erinnern nur noch die Überreste von Gräbern an die früheren Bewohner. Von Berich ist unter anderem die Ruine der einstigen Eisenerz-Hütte zu sehen.
Kaum wiederentdeckt, schon bedroht
Damit ist die Region um eine Attraktion reicher. 700.000 Übernachtungen und bis zu vier Millionen Tagesgäste verzeichnet der Edersee pro Jahr. Bislang kamen die Touristen vor allem wegen des Nationalparksund des Wassersports. Jetzt gehen viele von ihnen auch auf historische Spurensuche. Seit 2012 ist hier ein Förderverein aktiv, der bereits begonnen hat, die Dorfstelle Berich zu erhalten, denn Wasser und Sonne machen den letzten übrig gebliebenen Steinen zu schaffen. So werden bereits die Konturen von vier Gebäude einen halben Meter hoch aufgemauert, weitere Grundmauern sollen folgen. Doch nicht nur das Wetter macht den Ruinen-Rettern zu schaffen, dem Förderverein geht auch das Geld aus, nachdem eine EU-Förderung nun ausläuft.
Aufgegeben, abgetragen, wiederentdeckt: Mauerreste des Dorfes Berich am EderseeBild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner
Warum das Land hier nicht mit von der Partie ist? Der Grund des Sees gehört dem Bund und die Funktion als Stausee gehe vor, erklärte das zuständige Wasser- und Schifffahrtsamt in Hann. Münden. Aufgabe sei nun mal die Sicherung der Schifffahrt, nicht die Rettung versunkener Dörfer. Hier gibt es übrigens auch Konflikte mit einem weiteren wichtigen Freizeitzweig am Edersee: dem Wassersport. Denn um die Schifffahrt der angrenzenden Flüsse sicherzustellen, müssen die Pegelstände des Sees abgesenkt werden. Zwar kommen dann wieder die Ruinen zum Vorschein, doch die Sportler ärgert es. Was von Vorteil für die Schiffahrt ist, sehen die vom Tourismus lebenden Gemeinden und Betriebe als Nachteil.
Virtuell wiederauferstanden
In der Gemeinde Edertal setzt man hingegen auf das virtuelle Erleben: Eine Archäologiegruppe will die Dorfstelle Bringhausen mithilfe kleiner Boxen auf dem Seeboden auferstehen lassen, die man dann mit einer App auf dem Handy oder Tablet abwandern kann. So sollen Bilder, Filme und Texte über die alten Gebäude erfahrbar gemacht werden. Aber auch hier fehle derzeit das Geld - daher wird es im Herbst erstmal analog losgehen - mit herkömmlichen Infotafeln.