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Edinburghs Flucht nach vorn

7. März 2005

"UNESCO City of Literature": Das klingt nach Nobelpreisträgern, guten Buchläden, Lesecafés, Bibliotheken mit Atmosphäre. In Dublin vielleicht. Oder London. Prag. New York. Wer denkt da schon als erstes an Edinburgh?

Die schottische Hauptstadt zu FüßenBild: AP


Edinburgh, Waverley Station: Auf dem quirligen Bahnhof kommen die Fernzüge aus London an. 14 Millionen Fahrgäste werden jährlich durch die historischen Hallen geschleust. Wer draußen über die Straße geht, steht unvermittelt vor einer schwarzen Rakete im gotischen Stil - und hat soeben einen Schnellkurs in schottischer Literatur mitgemacht.

Scott Monument, im Hintergrund rechtsBild: Arnold

Die "Rakete" ist das weltgrößte Schriftstellerdenkmal. Geehrt wird der Erfinder des modernen Romans, Sir Walter Scott. "Waverley" ist eines seiner bekanntesten Werke. Keine andere Stadt der Welt hat je ihren Bahnhof nach einem Buch benannt.

Stiefkind Literatur

Zu Scotts Zeiten, im 19. Jahrhundert, war Schottland noch hip und die schottische Literaturszene einflussreich und weltberühmt. Aber das ist Geschichte. Die Gegenwart sieht anders aus. "Die Literatur wurde lange vernachlässigt in Schottland", sagt die Edinburgher Literaturagentin Jenny Brown. Ein hartes, aber kein unfaires Urteil.

Zwar kaufen die Schotten – statistisch gesehen – gerne und viel Lesestoff, aber eben nicht unbedingt von einheimischen Autoren. Schottische Literatur spielt im Schulunterricht kaum eine Rolle. Wer in einer ganz normalen schottischen Bibliothek schottische Literatur ausleihen will, wird nicht selten in eine der "Special-Interest"-Ecken verwiesen.

Mit der Lupe nach dem Guten suchen: Manuskript von Sir Arthur Conan DoyleBild: dpa

In Edinburgh gibt es etliche Buchläden, was aber fehlt, ist Vielfalt: Vier Filialen hat allein die englische Kette "Waterstone's". Der letzte einheimische akademische Buchladen, "James Thin", wurde nach 154 Jahren Betriebsgeschichte von einer englischen Kette aufgekauft. Es ist zu befürchten, dass die schottische Literatur vollends in eine Nische abgedrängt wird.

Besonders pikant: Das schottische Regionalparlament hat in seiner Strategie-Studie "Creating Our Future - Minding Our Past" (2000) vergessen, die Schriftsteller überhaupt zu erwähnen. "Ein großes Versehen", sagt Jenny Brown, "das etwas damit zu tun hat, dass Literatur lange Zeit einfach nicht wichtig genommen wurde – zumindest nicht von den Politikern."

Rendezvous mit einer Unbekannten

Literaturagentin Brown kennt die Szene: Sie hat Buchsendungen im Fernsehen moderiert, Kampagnen zur Leseförderung koordiniert, war Leiterin der Abteilung Literatur beim Scottish Arts Council und die erste Chefin des Edinburgh International Book Festival – das ist das größte Buchfestival der Welt. Jetzt managt Jenny Brown das Projekt "UNESCO City of Literature".

Viele Leute kennen schottische Literatur, ohne es zu wissen. Der perfekte Engländer "Sherlock Holmes" wurde von einem Schotten erdacht, "Die Schatzinsel" 1883 in Schottland geschrieben und "Peter Pan" ist keine Erfindung von Walt Disney. Krimifans lesen Ian Rankin, Val McDermid, Alexander McCall Smith. Außerdem hat Edinburgh 50 Verlagshäuser. Der Verlag Canongate hat mit "Life of Pi" (dt. "Schiffbruch mit Tiger") des kanadischen Autors Yann Martel als erster schottischer Verlag den Booker Prize geholt.

Viel hilft viel?

"Wir erhoffen uns von dem 'City of Literature'-Projekt viele Impulse", sagt Jenny Brown. Die Idee dazu kam den Schotten selber. Die UNESCO davon zu überzeugen, war offenbar kein Problem: Im Oktober 2004 eingereicht, wurde das Projekt sofort genehmigt. Seit 25. Januar 2005 ist Edinburgh offiziell die erste "UNESCO City of Literature".

Edinburgh: Zwischen Alt- und Neustadt, in der Senke eines ehemaligen Sees, liegt Waverley StationBild: Arnold

Die UNESCO vergibt zudem jedes Jahr den Titel "World Book Capital" an Städte, die sich vorbildlich um Buchindustrie und Leseförderung kümmern. Wozu braucht es zusätzlich die "Cities of Literature"? Der Unterschied liege in der "Nachhaltigkeit", sagt Jenny Brown. "'World Book Capital' ist eine Stadt immer nur für ein Jahr: viel Brimborium, wenig, was bleibt." Zwar ist das neue Programm der "Creative Cities", zu denen die Literaturstädte gehören werden, noch nicht auf der Website der UNESCO zu finden, aber das soll schleunigst nachgeholt werden.

Ingun Arnold

Sie haben auch das Gefühl, keine Ahnung von schottischer Literatur zu haben? Stöbern Sie in der DW-WORLD-Galerie "Schottische Literatur" und überzeugen Sie sich vom Gegenteil!

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