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Egan Bernals langer Weg nach Paris

Julieth González Therán
8. September 2020

Nach den ersten anderthalb Wochen der Tour de France liegt Vorjahressieger Egan Bernal hinter Primoz Roglic auf Rang zwei. Der junge Kolumbianer ist dieses Jahr Kopf von Ineos, der Über-Mannschaft der vergangenen Jahre.

Frankreich Tour de France 2020 - 9. Etappe |  Egan Bernal
Bild: picture-alliance/Augenklick/Roth

Sein Sieg bei der Tour de France im vergangenen Jahr war das Ergebnis einer langen Zeit der Anstrengungen, und er erfüllte die Träume mehrerer Generationen. Alles begann als Martin Emilio "Cochise" Rodriguez 1975 als erster kolumbianischer Radfahrer an der Tour de France teilnahm. 1980 gewann dann Alfonso Florez die Tour de l'Avenir. Sein Landsmann Luis "Lucho" Herrera war 1984 als Solist Erster bei der Tour-Etappe nach Alpe d'Huez und gewann 1987 die Vueltea d'Espana. Doch 2019 schlug alles: Die radsportbegeisterten Kolumbianer freuten sich über den ersten Tour-de-France-Sieger aus ihrer Heimat: Egan Bernal, mit 22 Jahren der drittjüngste Fahrer, der das Gelbe Trikot in der langen Historie des traditionsreichen Rennens bis nach Paris trug. Das euphorische Feiern der Fans, die Heiligsprechung als Held des Landes durch die Medien, all das zeigte den Stellenwert des Radsports in Kolumbien.

Bescheidener Sieger

Bernal wurde nach seinem Tour-Sieg von Zehntausenden in seiner Heimatstadt empfangen, die Medien stimmten Lobeshymnen an, nur der Jubilant selbst blieb bescheiden und ruhig. Er verzichtete auf eine Ehrenmedaille und auf einen Empfang beim Präsidenten Kolumbiens - eine seltene Haltung. Was er dann doch machte: Er übergab sein Siegertrikot seiner Heimatstadt, denn es sei nicht nur sein Verdienst, sondern das Verdienst eines ganzen Landes - ein Held war geboren.

Kolumbien hat eine lange Tradition im Radsport - die Fans sind regelrecht radsport-verrücktBild: picture-alliance/dpa/Belga/Y. Jansens

"Von allen historischen Errungenschaften des kolumbianischen Sports kann keine mit der von Bernal verglichen werden. Der Sieg bei der Tour de France ist der bedeutendste und wichtigste", sagt Pilar Velasquez, Sportjournalistin des Magazins "Semana" gegenüber der DW. "Zwar waren die "Escarabajos" (deutsch: Käfer, so wird das kolumbianische Radsportteam genannt) bereits in der Welt bekannt, aber Bernal war der Schlüssel, um Kolumbien an die Weltspitze des Radsports zu bringen."

Vielleicht, weil auch er - bei aller Leidenschaft der Fans - unter der mangelhaften Infrastruktur des kolumbianischen Radsports gelitten hat. Dort wo die offiziellen Funktionäre versagen, springen Privatinitiativen und Stiftungen in die Bresche. Sie fördern und unterstützen die zahlreichen Talente im Land, die sonst durch den Rost fallen würden. Das war der Weg des Siegers der Tour de France 2019. Bernal begann auf eigene Faust mit dem Radsport, er war bereits regionaler und nationaler Meister mit dem Mountainbike als er sich im Alter von zwölf Jahren aus Mangel an wirtschaftlichen Ressourcen an die Mazuera-Stiftung wenden musste. Dort fand er in einer entscheidenden Phase seiner Karriere Unterstützung.

Vom Mountainbike aufs Rennrad

"Die kolumbianischen Radfahrer sind aus viel Willen gemacht, weil es vielen von ihnen wirtschaftlich nicht gut geht. Sie besitzen die Hartnäckigkeit, auch gegen anhaltende Widrigkeiten zu kämpfen, um voranzukommen und eine sportliche und wirtschaftliche Zukunft zu haben", sagt Pablo Mazuera, der erste Förderer Bernals und heutiger Trainer, gegenüber der DW

Mazuera hat sich der Förderung von Radfahrern mit geringen Ressourcen verschrieben, besitzt aber keinen klassischen Radsport-Hintergrund. In Kolumbien geboren und aufgewachsen, in den Vereinigten Staaten zum Toningenieur ausgebildet, ist er vor allem eines: ein Radsport-Enthusiast. Er zögerte 2010 keine Sekunde, das Projekt mit Egan Bernal, Brandon Rivera, Jonathan Sotelo und Diego Vazquez zu starten. Seither leitet er erfolgreiche Sportprojekte von großer Bedeutung.

Härteste Gegner im 2020 für Bernal (r.): sein schmerzender Rücken und Primoz Roglic (l.)Bild: picture-alliance/Augenklick/Roth

Der Entdecker von Egan Bernal sah großes Potenzial in dem kleinen Jungen aus Zipaquira, einer kleinen Stadt nördlich von Bogota, der damals allerdings noch Mountainbike-Rennen fuhr. Mazuera überzeugte schließlich 2014 den Vater des heutigen Tour-Champions, den Sohn zur Weltmeisterschaft nach Norwegen zu bringen. Sie kehrten mit der Silbermedaille um den Hals zurück. Nach diesem Erfolg in Norwegen und der Bestätigung durch den dritten Platz bei der Weltmeisterschaft in Andorra 2015, wechselte Bernal das Gefährt und stieg auf das Rennrad um. Gerade einmal fünf Jahre ist das her. 

"Der genetische Aspekt der kolumbianischen Radfahrer, die Geographie mit hohen Bergen, die großen Höhenunterschiede und die Möglichkeit, ständig unter diesen Bedingungen trainieren zu können, das war für die Entwicklung der Talente entscheidend, wie wir in den letzten Jahren gesehen haben", sagt Mazuera.

Froome und Thomas ausgestochen

Pablo Mazuera hätte nie gedacht, dass der erste Tour-Sieg für Bernal so schnell kommen würde. Bei dieser zweiten Ausgabe ist er nun aber völlig davon überzeugt, dass das Podium auch kolumbianisch sein wird: "Er hat eine große Chance, nicht nur wegen seines großen Talents und seiner Vorbereitung, sondern auch wegen seiner absoluten Sieges- und Führungsmentalität."

Egan Bernals größter Erfolg: 2019 führt der erst 22-Jährige das Tour-Peloton in Gelb nach ParisBild: Reuters/G. Fuentes

Egan Bernal ist das Gesicht von Ineos, vormals Team Sky, seit Jahren die beste und erfolgreichste Mannschaft im Profi-Radsport, deren Fahrer aber immer wieder unter Dopingverdacht gerieten. Dort hat er sogar Chris Froome aus der ersten Reihe verdrängt. Der viermalige Toursieger steht diesmal nicht im Aufgebot, vorgeschoben werden sportliche Gründe. Froomes auslaufender Vertrag wurde nicht verlängert. Mit dem Waliser Geraint Thomas hat Ineos auf einen weiteren Tour-Sieger in seinen Reihen verzichtet. Das Team setzt stattdessen auf Bernal, der neben Primoz Roglic als der Top-Favorit gehandelt wird, auch wenn der Kolumbianer mit Rückenproblemen zu kämpfen hat.

Dopingfälle und -gerüchte als ständiger Rucksack

Bernal weiß, dass sein Ruf durch die Dopinggerüchte gegenüber seines Teams beschädigt wird - auch durch die jüngsten Dopingfälle im kolumbianischen Radsport: So beendete Tour-Etappensieger Jarlinson Pantano nach einem positiven EPO-Befund im Januar 2019 mit nur 31 Jahren seine Karriere. Er umging damit eine vierjährige Sperre. Das zweitklassige kolumbianische Profi-Team Manzana Postobon löste sich ebenfalls 2019 nach mehreren Dopingfällen in der Mannschaft auf.

Bernal bedauert diese positiven Fälle in seinem Heimatland, sieht dabei aber auch einen tröstlichen Aspekt: "Wenn es in Kolumbien positive Ergebnisse gibt, dann liegt das daran, dass dort Anti-Doping-Tests durchgeführt werden. Was kann der Verband noch tun? Er muss die Tests einfach weiterführen, und die Fahrer müssen sensibler werden", sagte Bernal gegenüber dem Fach-Portal "Cyclingnews".

Gegen Bernals (4.v.l.) Team Ineos und den Vorgänger Team Sky gab es immer wieder DopingvorwürfeBild: picture-alliance/Augenklick/Roth

Auch der irische Sportjournalist und Doping-Experte David Walsh, der die Doping-Affäre um Lance Armstrong aufdeckte, sieht eine positive Entwicklung: "Ich denke, die Tour ist sauberer, gerade weil ein kolumbianischer Radfahrer gewonnen hat", sagte Walsh bei ESPN. "Kolumbianer haben einen natürlichen Vorteil, da viele von ihnen seit ewigen Zeiten in der Höhe leben. Bernal lebte sein ganzes Leben auf 2.800 Metern und trainierte auf 4.000 Metern. Zu EPO-Zeiten hatten sie keine Chance, obwohl sie die besten Kletterer waren. Ich denke, in dieser sauberen Phase ist es keine Überraschung, dass dieser kolumbianische Rennstar jetzt aufgetaucht ist."

Bernal kann nichts dagegen machen, dass der Verdacht immer mitfährt, außer Leistung zu bringen und negative Dopingtests zu absolvieren. Er tritt für einen sauberen Radsport an - auch bei der diesjährigen Tour de France. Dort ist für ihn ein Podiumsplatz allemal drin - vorausgesetzt, er schafft ohne Sturz den langen Weg nach Paris.

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