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Politik

Starke Worte und schwache Taten

Daniel Heinrich
20. März 2018

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei wegen der Inhaftierung von zwei Journalisten verurteilt. Die Menschenrechtslage in dem Land dürfte sich auch nach dem Richterspruch nicht verbessern.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Gerichtssaal
Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Die gute Nachricht erst einmal vorneweg: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Journalisten, die in der Türkei im Gefängnis sind, den Rücken gestärkt. Mit der Haft der regierungskritischen Journalisten Şahin Alpay und Mehmet Hasan Altan nach dem gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 habe die Türkei gegen die Grundrechte auf Freiheit und Meinungsfreiheit verstoßen, so die Straßburger Richter in ihrem Urteil. Die Regierung in Ankara müsse jedem der beiden klagenden Journalisten 21.500 Euro Schmerzensgeld zahlen. Die Türkei ist als Mitglied des Europarates an die Urteile des EGMR gebunden - zumindest theoretisch.

Kristian Brakel ist der Leiter der Heinrich Böll Stiftung in Istanbul. Der Türkei-Experte will die Bedeutung des Urteils nicht zu hoch hängen: "Prinzipiell ist es für die türkische Regierung zwar schon wichtig, vom Gerichtshof nicht als ein Land bloßgestellt zu werden, dessen Demokratie nicht funktioniert. Andererseits gab es auch in der Vergangenheit schon Urteile gegen die Türkei, die die türkische Regierung dann nicht umgesetzt hat."

20 Monate saß er in U-Haft: Der regimekritische Journalist Şahin Alpay hier bei seiner VerhaftungBild: DHA Doğan Haber Ajansı

Den Umgang des Europarates mit der Türkei bezeichnet Brakel als viel zu lasch: "Der Europarat geht viel zu vorsichtig mit der Türkei um. Dieses Urteil kommt viel zu spät. Es gibt über 100.000 Beschwerden, die der EGMR mit dem Verweis abgewiesen hat, dass man erst die innertürkische Rechtsprechung abwarten müsse." Dahinter stecke die Annahme, dass es in der Türkei einen funktionierenden Rechtsstaat gibt, so Brakel. "Davon kann überhaupt nicht die Rede sein."

EGMR folgt türkischem Verfassungsgericht

Im Großen und Ganzen hatten sich die Straßburger Richter der Meinung des türkischen Verfassungsgerichts angeschlossen. Dieses hatte schon im Januar geurteilt, dass die Verhaftungen von Altan und Alpay gegen das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit verstoßen.

Mahnt zur Vorsicht: Kristian BrakelBild: Heinrich-Böll-Stiftung/S. Röhl

Eigentlich hätten sie daraufhin aus der Haft entlassen werden müssen. Nach heftiger Kritik aus den Reihen der Erdogan-Regierung hatten untere Gerichte die Freilassung allerdings ausgesetzt. Vor allem daran übten die Richter des EGMR scharfe Kritik: Wenn andere Gerichte sich gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts stellten, verletze dies die "Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit".

Es ist das erste Mal, dass das Straßburger Gericht ein Urteil zu türkischen Journalisten gesprochen hat, die nach dem gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016 inhaftiert wurden. Sowohl Alpay - der seit vergangener Woche zwar nicht mehr im Gefängnis sitzt, aber unter Hausarrest steht - wie Altan - der laut EGMR immer noch in Haft ist - war vorgeworfen worden, Verbindungen zu den Putschisten gehabt zu haben.

Diesem Vorwurf sehen sich regierungskritische Journalisten in der Türkei oft ausgesetzt. Laut Reporter ohne Grenzen (ROG) sind nach dem Putschversuch im Juli 2016 weit über 100 Journalisten verhaftet, rund 150 Medien geschlossen und mehr als 700 Presseausweise annulliert worden. Das Land rangiert auf der Liste der weltweiten Pressefreiheit auf Rang 155 von 180 Ländern. ROG zählt die Türkei zu den Ländern "mit den meisten inhaftierten Journalisten weltweit."

Entspannung in Sicht?

Es gibt allerdings auch positive Signale. Neben der, in Deutschland wohl prominentesten, Freilassung des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel waren kürzlich auch der Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet, Murat Sabuncu, und der Investigativjournalist Ahmet Şık aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Stehen die Zeichen also auf Entspannung? Kristian Brakel von der Böll-Stiftung in Istanbul verweist auf den bevorstehenden EU-Türkei-Gipfel in Bulgarien: "Die EU-Kommission hatte gesagt: 'Man könne der Türkei nichts anbieten, bevor es keine Verbesserung der Menschenrechtslage gibt.' Vielleicht ist das der Versuch der türkischen Seite, im Vorfeld ein wenig gut Wetter zu machen." 

Wie es tatsächlich um die Situation der Menschenrechte bestellt ist, zeigen Daten, die "Turkey Purge" veröffentlicht. Für diese Internetseite werten regierungskritische Journalisten täglich Berichte der Regierung und der Medien über Entlassungen, Verhaftungen und andere Maßnahmen gegen Verdächtige aus. Danach liegt alleine die Zahl der Staatsbediensteten, die auf Anordnung der türkischen Regierung nach dem Putschversuch vor bald zwei Jahren ihren Job verloren haben, gegenwärtig bei knapp 152.000.

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