1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kisch: der rasende Reporter

Tim Schauenberg
31. März 2018

"Nicht ist erregender als die Wahrheit" war sein Credo. Egon Erwin Kisch war Reporter, Kommunist und Jude. Er kämpfte für das Proletariat und gegen den deutschen Faschismus. Vor 70 Jahren ist er gestorben.

Egon Erwin Kisch, tschechischer Journalist
Bild: picture-alliance/dpa

"Bin ich in einer chinesischen Landschaft? In einem von Jules Verne erdachten Land im Innern der Erde? Bei der Wasserpantomime eines komischen Zirkus? Alles, was ich sehe, ist unbegreiflich und wird noch unbegreiflicher, da ich zu begreifen beginne."

In seiner Reportage "Landschaft geschaffen, um des Silbers willen" schreibt Egon Erwin Kisch um 1942 über die Silberbergwerke Mexikos. Sprachlich im wahrsten Sinne des Wortes fantastisch beginnt dieser Artikel über die koloniale Geschichte des mexikanischen Volkes und das Elend der indigenen Bevölkerung durch die Auswüchse des Kapitalismus.

Ein Meister der Sprache 

Kisch, "Der rasende Reporter", war ein herausragender Beobachter, der präzise und tiefgründig recherchierte, um dem Leser einen neuen Blick in fremde Welten zu ermöglichen. Ob in Reportagen über die Kultur der chinesischen Seidenherstellung, in Geschichten aus Nordafrika, in einem ironischen Briefwechsel mit Adolf Hitler, in einem Interview mit Pyramiden oder in einem Text über die Kulturgeschichte des Kaktus in Mexiko: Kisch verstand es, Aktuelles und Historisches, Politisches und Kulturelles in einen auf Fakten basierten großen Zusammenhang zu stellen - mit literarischen wie journalistischen Techniken. Sprachliche Leichtigkeit, Ironie, Sprach- und Gedankenspiele zeichneten seinen Schreibstil aus, der ihn in der ganzen Welt berühmt machte.

Aus den Texten, die in Mexiko entstanden, in denen er auch einen Zusammenhang zwischen dem Schicksal der indigenen Völker mit der Ermordung der Juden in Europa herstellt, wird später eines seiner berühmtesten Bücher entstehen: "Entdeckungen in Mexiko". Kritiker haben ihm besonders im Kontext dieses Buches Eurozentrismus vorgeworfen.Aber diese Bezüge lassen sich auch anders lesen: Sie sind für Kisch ein Versuch, die in Berlin und Europa verbrannte Heimat und Tradition zu retten. Damit steht er in der Tradition der deutschen Exilliteratur. Im November 1940 überquerte Kisch in einem Bus die mexikanische Grenze bei Laredo im Süden Texas. Mit seiner Frau war er jahrelang vor den Nazis auf der Flucht gewesen. Tschechien, Frankreich, USA und nun Mexiko. Fernab, aber in Sicherheit. Endlich!

Der rasende Reporter schrieb auch vom anderen Ende der Welt in seinem ganz eigenen Stil gegen die Nazis und den Kapitalismus an. Bild: Lotte Jacobi Collection, University of New Hampshire, USA

Von Prag nach Russland, Asien und Nordafrika

Geboren wurde Egon Erwin Kisch 1885 in Prag als Sohn eines jüdischen Tuchhändlers. Nach Schulzeit und Wehrdienst studierte er zeitweise deutsche Literatur und Philosophie. Seine Karriere als Journalist begann mit der Arbeit für die angesehenen Prager Tageszeitung "Bohemia"; die Aufdeckung einer Spionageaffäre im österreichischen Militär verschaffte ihm erstmals große Aufmerksamkeit.

Nach dem Ersten Weltkrieg schloss er sich der Arbeiterbewegung an und ging nach Berlin, wo er für diverse Zeitungen und die kommunistische Parteipresse schrieb und sich außerdem an Theaterdramen probierte. Es folgten mehrere Reisen nach Russland und Asien, nach Tunesien und Algerien.

Kisch bei den Roten Brigaden im spanischen BürgerkriegBild: picture alliance/akg-images

Die Welt gerät ins Wanken

1933 floh der jüdische Autor und Kommunist nach Frankreich und schloss sich in Paris der Widerstandsbewegung an. Seine journalistische Neugier verschlug  ihn aber immer wieder auch in andere Länder.  Aufsehen erregte 1934 seine berühmte Landung in Australien: Er sprang aus sechs Meter Höhe von einem Schiff, weil er an einem Friedenskongress teilnehmen wollte, die Regierung ihm aber die Einreise verbot. Als der spanische Bürgerkrieg ausbrach, reiste er an die Front der Internationalen Brigaden, um von dort zu berichten.

Als Hitlers Truppen schließlich den Norden Frankreichs einnahmen, musste er fliehen. Er reiste mit dem Schiff nach New York, wo er wegen vorheriger Besuche und seiner guten Kontakte nach Hollywood gerne geblieben wäre. Als Kommunisten gewährte man ihm aber kein Asyl, der einzige Hafen für ihn lag in Mexiko.

Im Exil

Dort kannte niemand den in Europa gefeierten Reporter. Allein war er dennoch nicht: Andere deutschsprachige Autoren und Parteigenossen aus französischen Exilzeiten verschlug es ebenfalls dorthin: Anna Seghers, Bodo Uhse, Bruno Frei oder den Wiener Dirigenten Ernst Römer.

"Emigration ist keine Zustand, Emigration ist eine Tätigkeit", hat Kisch einmal gesagt. Zusammen mit einem Kreis deutschsprachiger Exilanten gründete er in Mexiko Stadt 1942 den Heinrich-Heine-Club. Er sollte eine der wichtigsten Vereinigungen des Kampfes gegen den Faschismus im Ausland werden. Man veranstaltete Lesungen, politische Diskussionen und Theatervorstellungen. Im Verlag "El libro libre" ("Das freie Buch") veröffentlichten die Mitglieder Artikel, die über die wahren Zustände in Nazi-Deutschland aufklären sollten.

Erst nach dem Krieg konnte Kisch 1946 nach Europa und in seine Heimatstadt Prag zurückkehren. Zwei Jahre später starb er am 31. März an einem Schlaganfall. Seine Reportagen wurden Vorbild für Generationen von Journalisten und sein Credo zum Leitsatz objektiver Berichterstattung: "Er (der Reporter) hat unbefangen Zeuge zu sein und unbefangene Zeugenschaft zu liefern."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen