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Politik

Ehe für alle: "Der Kampf ist beendet"

1. Oktober 2017

Von diesem Sonntag an können auch Schwule und Lesben in Deutschland ganz regulär heiraten, die "Ehe für alle" tritt in Kraft. Der heute 83 Jahre alte Manfred Bruns kennt noch ganz andere Zeiten.

Berlin Kuss schwule Männer
Bild: picture-alliance/Ulrich Baumgarten

Manfred Bruns hat als Bundesanwalt am Bundesgerichtshof in Karlsruhe gearbeitet. Er war Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland. 1961 heiratete er seine Frau Helga und hatte mit ihr drei Kinder. Anfang der 1980er Jahre outete er sich als homosexuell. Seit 1993 lebt er mit seinem Lebensgefährten zusammen. Von seiner Frau ließ er sich nie scheiden.

DW: Herr Bruns, wie wichtig ist für Sie die Gesetzesänderung, die sogenannte "Ehe für alle"?

Manfred Bruns: Sie ist sehr wichtig, weil dadurch endlich dokumentiert wird, dass Lesben und Schwule nicht minderwertig sind, sondern genauso heiraten können wie heterosexuelle Paare. Rein rechtlich ist sie allerdings nicht so bedeutungsvoll, weil die Lebenspartner praktisch jetzt schon die gleichen Rechte haben.

Ist das nun der letzte Schritt zur völligen Gleichstellung?

Das scheint mir der letzte Schritt zu sein. Der Kampf ist eigentlich beendet.

Sie selbst haben Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt, als Sie in den 1980er Jahren als Jurist bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe Ihren Chef einweihten und der Sie von Staatsschutzangelegenheiten abzog, weil Sie angeblich ein Sicherheitsrisiko darstellten. Das war damals also möglich?

Ja, damals lauteten die Sicherheitsrichtlinien, dass ein abweichendes sexuelles Verhalten ein Sicherheitsrisiko ist. Ich habe dann gesagt: Ich bin insofern kein Sicherheitsrisiko, weil ich ja daraus kein Geheimnis mache. Meine Frau, alle wissen es. Es gab Kollegen, die heimlich aus der Ehe ausgebrochen sind, was eher ein Sicherheitsrisiko darstellte. Tatsächlich sind dann wenig später die Richtlinien geändert worden. Jetzt lauten sie sinngemäß so, dass ein Sexualverhalten, das Anlass zur Erpressung geben könnte, ein Sicherheitsrisiko darstellt.

War die Änderung auch Folge Ihres Falles?

Das kann ich nicht genau sagen, aber ich denke schon.

Was haben Sie gedacht, als Sie diese Diskrimierung erlebten? Dass Sie besser geschwiegen hätten, oder Erleichterung, dass es endlich öffentlich war, egal, mit welchen Folgen?

Bruns: Solche schwierigen Lebensläufe sollen sich nicht wiederholenBild: privat

Das hängt mit meinem Lebenslauf zusammen. Ich bin Jahrgang 1934, meine Jugend lag in der Nazizeit und der Nachkriegszeit. Damals sind Homosexuelle sehr verfolgt, bestraft und sozial ausgegrenzt worden, das war überhaupt keine Lebensform. Es gab damals auch keine Sexualaufklärung. Als junger Mensch habe ich gemerkt, dass ich auf Männer stehe, ich konnte es aber nicht benennen. Man hatte damals auch keine sexuellen Kontakte zu Frauen. Ich habe mir gedacht, wenn ich Kontakt zu Frauen habe, würde sich das geben. Ich habe das also verdrängt, habe dann geheiratet, habe auch eine sehr gute Ehe geführt, mit Kindern und Enkelkindern, bin mit ihnen allen auch heute noch sehr gut verbunden. Aber das war alles nicht einfach. Als ich mich in den 1980er Jahren dann endlich zu meiner Homosexualität bekannt habe, habe ich mir vorgenommen, etwas zu tun, damit sich diese schwierigen Lebensläufe nicht ewig wiederholen. Ich habe mich dann in die Schwulengruppen eingebracht und versucht, mit ihnen auf eine Änderung hinzuwirken.

Hätten Sie damals geglaubt, dass wenige Jahrzehnte später zum Beispiel führende Politiker offen als Homosexuelle leben würden?

Nein, wir haben nicht daran geglaubt. Aber wir haben uns eben auf den Weg gemacht. Erst einmal muss die Strafverfolgung der Minderheiten beseitigt werden, damit sie sich zu Wort melden können. Wenn sie sich zu Wort melden können, können sie durch nachhaltige und geschickte politische Lobbyarbeit schließlich einen Umschwung der öffentlichen Meinung bewirken und erreichen, dass die Diskriminierung zurückgenommen wird.

Kann es sein, dass die neue Gesetzeslage wieder gekippt wird, weil jemand vor dem Bundesverfassungericht klagt und die Richter die "Ehe für alle" für verfassungswidrig erklären?

Das halte ich für ausgeschlossen. Ich halte es bereits für ausgeschlossen, dass es eine Klage gibt. Das könnten höchstens die Länder und, ich glaube, ein Viertel der Abgeordneten des Bundestages, und ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Land klagt. Und selbst wenn, wäre diese Klage aussichtslos. Es steht ja in Artikel 6, Absatz 1 nur, dass die Ehe unter dem besonderen Schutz des Staates steht. Da steht nicht, was eine Ehe ist. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Das muss ausgelegt werden, und zwar nach den Vorstellungen der Allgemeinheit von dem, was eine Ehe auszeichnet. Sie haben auch gesagt, dass sich der Ehebegriff wandeln kann.

Warum haben Sie zunächst eine Frau geheiratet und eine traditionelle Ehe geführt?

Offen homosexuell zu sein war damals keine soziale Lebensmöglichkeit. Ich wäre Außenseiter gewesen. Außerdem war ich von meiner Mutter her sehr katholisch-fundamentalistisch geprägt. Also habe ich das einfach unterdrückt und nicht wahrhaben wollen, weil ich auch gar keine sexuelle Erfahrung hatte. Ich habe es halt nicht wissen wollen, habe dann geheiratet und gedacht: Das gibt sich alles, aber es hat sich natürlich nicht gegeben. Ich lebte dann in diesem ungeheuren Konflikt: Sie leben mit einer Frau und Kindern zusammen, die Sie lieben und an denen Sie hängen, aber Sie haben das Gefühl, dass Sie im falschen Zug sitzen. Ich habe die 1970er Jahre, als ich immer mit mir gerungen habe, als ganz schrecklich in Erinnerung. Ich hatte ungeheure Angst, dass ich meine bürgerliche Existenz und meine Familie verliere. Das ist, Gott sei Dank, alles nicht eingetreten. Aber das war der Impuls dafür, dass ich gedacht habe: So etwas braucht sich doch nicht immer zu wiederholen!  

Das Gespräch führte Christoph Hasselbach.

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