Nach dem Ende des jahrzehntelangen blutigen Konflikts in Kolumbien haben frühere Mitglieder der linken Guerillaorganisation FARC ihre Sitze im kolumbianischen Parlament eingenommen. Das heißen nicht alle gut.
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Der scheidende Präsident Juan Manuel Santos, der das Friedensabkommen mit der FARC ausgehandelt und dafür den Friedensnobelpreis bekommen hatte, begrüßte die neuen Mitglieder bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments mit den Worten: "Willkommen in diesem Tempel der Demokratie."
Ende 2016 hatten die Regierung und die FARC den Bürgerkrieg beendet, bei dem mindestens 220.000 Menschen getötet und Millionen vertrieben wurden. Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) gaben ihre Waffen ab und wandelten sich in eine politische Partei mit derselben Abkürzung (Alternative revolutionäre Kraft des Volkes) um.
Das mühsam ausgehandelte Friedensabkommen garantiert den früheren Rebellen für zwei Legislaturperioden je fünf Sitze in der Abgeordnetenkammer und im Senat. Ohne die Sonderregel hätten es die Ex-Guerilleros nicht in den Kongress geschafft: Bei der Parlamentswahl im März erreichte die FARC-Partei nur 0,34 Prozent der Stimmen.
Bei der Wahl gewann die ultrarechte Partei Demokratisches Zentrum (Centro democrático, CD) des designierten Präsidenten Iván Duque die Mehrheit im Parlament. Santos' Nachfolger, der sein Amt am 7. August antritt, lehnt den Friedensvertrag mit der FARC in seiner jetzigen Form ab und will Änderungen vornehmen. Abgeordnete seiner Partei bereiteten den FARC-Vertretern einen entsprechend frostigen Empfang.
Während Santos vor dem Parlament sprach, twitterte der frühere Präsident Alvaro Uribe, der ein entschiedener Kritiker Santos' und des Friedensvertrages ist: "Ein Kongress mit Menschen, die wegen scheußlicher Taten verurteilt sind, die Opfer nicht entschädigen und keine symbolischen Sanktionen erfüllen."
Noch-Präsident Santos sagte in seiner Rede: "Vielen gefällt es nicht, sie hier an diesem Ort der Debatte zu sehen, aber mich erfüllt es mit Befriedigung, dass jene, die über ein halbes Jahrhundert den Staat bekämpft haben, sich nun der Verfassung und den Gesetzen Kolumbiens unterwerfen." Von jetzt an würden ihre einzigen Waffen Worte sein. Er warnte davor, den Friedensvertrag abändern zu wollen. Dies könne die Vereinbarung "in Stücke reißen".
Noch vor einigen Tagen äußerte sich Santos im DW-Interview zum Erhalt des Friedensabkommens zuversichtlicher: "Der Frieden ist unumkehrbar. Es gibt keinen Weg zurück." Die Vereinbarungen seien vom Kongress und dem Verfassungsgericht ratifiziert worden, so der scheidende Präsident in der Interviewsendung "Conflict Zone"(Das ganze Gespräch hier auf Englisch). Santos ist sich sicher: Auch das Volk würde es nicht zulassen, dass der Friedensprozess zurückgedrängt werde.
Zunächst nahmen nur acht Vertreter der FARC ihre Parlamentssitze ein. Seusis Pausivas Hernández alias "Jesús Santrich" sitzt seit April wegen Drogenschmuggels in Untersuchungshaft. Der Chefunterhändler und frühere FARC-Kommandeur Iván Márquez verzichtete unter anderem aus Protest gegen dieses Vorgehen kurzfristig auf sein Mandat.
Über 50 Jahre Ringen um den Frieden
Die Präsidentschaftswahlen in Kolumbien sind ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Konsolidierung des Friedensabkommens. Es wurde nach einem jahrzehntelangen blutigen Kampf mit der Guerillabewegung FARC erzielt.
Bild: DW/T. Käufer
DW/Tobias Käufer
Der mühsame Weg zum Frieden
Die Unterzeichnung des historischen Friedensabkommens 2016 zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-Rebellen markiert einen wichtigen Meilenstein, aber nicht das endgültige Ende des jahrzehntelangen Konflikts. Das Friedensabkommen wird in Kolumbien immer noch kontrovers diskutiert und spielte im aktuellen Wahlkampf um die Präsidentschaft eine wichtige Rolle.
Bild: Kaeufer/Moser
Großgrundbesitzer gegen Bauern
Der Konflikt hatte seinen Ursprung in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Bei Kämpfen um Landbesitz kamen Tausende Menschen ums Leben. Besonders die Ermordung des liberalen Politikers Jorge Eliécer Gaitán (Foto) im Jahre 1948 stürzte das Land in eine tiefe Krise. In der Folge bildeten sich zahlreiche Widerstandsgruppen, und die Armee macht Jagd auf "kommunistische Bauern".
Bild: Public Domain
FARC und ELN
Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und die Nationale Befreiungsarmee ELN werden 1964 gegründet. Die FARC will die Landbesitz-Monopole zerschlagen, während die ELN aus der radikalisierten Studentenbewegung und den Ideen von Befreiungstheologen wie Camilo Torres (Foto) entsteht. Die Regierung versucht beide mit Hilfe der Vereinigten Staaten zu bekämpfen.
Bild: picture-alliance/AP Photo
Die Paramilitärs
In den 80ern weiten sich die Kämpfe aus. Rechtsgerichtete paramilitärische Gruppen treten in den Dienst der Großgrundbesitzer und bekämpfen die FARC-Rebellen. Beide Seiten haben enge Verbindungen zu den Drogenkartellen. Vier Präsidentschaftskandidaten und zahlreiche linksgerichtete Politiker werden von den Paramilitärs zwischen 1986 und 1990 ermordet.
Bild: Carlos Villalon/Liaison/Getty Images
Die Entführung von Íngrid Betancourt
Nach einer Flugzeugentführung, bei der Hunderte von Menschen starben, unterbrach die Regierung die Verhandlungen mit der FARC. Am 23. Februar 2002 entführt die FARC die Präsidentschaftskandidatin Íngrid Betancourt (Foto). Álvaro Uribe gewinnt die Präsidentschaft im Mai. Er intensiviert den militärischen Kampf und lehnt Verhandlungen ab. 2007 wird er wiedergewählt. Betancourt kommt 2008 frei.
Bild: AFP/Getty Images
Beginn der Friedensgespräche
2010 wird Juan Manuel Santos zum Präsidenten gewählt. 2012 tritt ein Gesetz über die Entschädigung von Gewaltopfern und die Rückgabe von Landbesitz in Kraft. Im November beginnen offiziell die Friedensgespräche zwischen der Regierung von Santos (Foto) und Vertretern der FARC.
Bild: Reuters
Waffenstillstand
Der endgültige Waffenstillstand tritt am 29. August 2016 um Mitternacht in Kraft. "Am 29. August beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte Kolumbiens. Wir haben die Gewehre zum Schweigen gebracht. Der Krieg mit der FARC ist beendet!" schreibt Santos um Mitternacht auf Twitter.
Bild: Getty Images/AFP/G. Legaria
Friedensabkommen mit der FARC
Am 26. September 2016 unterzeichnen Präsident Juan Manuel Santos und der Führer der FARC, Rodrigo Londoño, alias Timochenko, das Abkommen, das den 52-jährigen bewaffneten Konflikt beendet. 2500 Gäste sind zur Unterzeichnung in Cartagena gekommen.
Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Vergara
Der Rückschlag
Das Misstrauen gegenüber dem Abkommen mit der FARC manifestiert sich in der Kampagne des konservativen Ex-Präsidenten Álvaro Uribe im Vorfeld des Referendums. Zur Überraschung vieler Beobachter entscheiden sich die Kolumbianer am 2. Oktober 2016 mit knapper Mehrheit für die Ablehnung des Abkommens
Bild: picture alliance/AP Photo/I. Valencia
Friedensnobelpreis für Santos
Nur fünf Tage nach dem verlorenen Referendum bekommen die Unterstützer des Friedensprozesses internationalen Rückhalt. Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos wird mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die Preisverleihung findet im Dezember 2016 in Oslo statt.
Bild: Getty Images/AFP/T. Schwarz
Ratifizierung im Parlament
Nach einer Reihe von Änderungen am ursprünglichen Text der Vereinbarung ratifiziert das kolumbianische Parlament das Friedensabkommen am 30. November 2016.
Bild: Getty Images/AFP/G. Legaria
Entwaffnung
Die Entwaffnung der FARC-Rebellen geschieht in drei Phasen unter der Aufsicht der UNO. Zum Abschluss am 27 Juni 2017 sagt Santos: "Heute ist für mich und alle Kolumbianer ein besonderer Tag, ein Tag, an dem wir die Waffen gegen Worte tauschen."
Bild: picture-alliance/dpa/A. Pineros
Die neue FARC
Die entwaffnete FARC besiegelt auf einem Kongress am 27. August 2017 den Abschied vom bewaffneten Kampf und beschließt ihre Neugründung als politische Partei. Zum Parteivorsitzenden wird der ehemalige Guerillaführer Rodrigo Londoño (Foto) gewählt. Seine schlechte Gesundheit verhindert aber, dass er für die Präsidentschaft kandidieren kann.
Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Vergara
Die FARC bei den Wahlen
Zum ersten Mal nach dem Ende des bewaffneten Kampfes nehmen Vertreter der FARC an Parlamentswahlen teil. Sie finden am 11. März 2018 statt. Obwohl die FARC-Partei nur 50.000 Stimmen bekommt, erhält sie aufgrund des Friedensabkommens jeweils fünf Sitze im Senat und im Parlament. Sieger der Wahl ist die konservative Partei des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe.