Schulen ohne Bundeswehr
31. August 2013"Vaterlandslose Gesellen" - das ist noch einer der harmloseren Vorwürfe, die das Berliner Robert-Blum-Gymnasium auf seiner Homepage lesen musste. Schulleiter Bernd Fiehn hat dafür kein Verständnis: An seiner Schule werde gelehrt, wie man Konflikte gewaltfrei und nachhaltig lösen kann. Auch Kinder, deren Familien aus Kriegsgebieten geflüchtet sind, kämen hierher. Aus dieser Haltung heraus sei es 2011 zu dem Beschluss der Schulkonferenz gekommen, die Bundeswehr aus dem Unterricht auszuschließen.
"Auslöser für unsere Entscheidung war der Besuch eines ehemaligen Generals, der an unserer Schule über das Verhalten der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg gesprochen hat", sagt Peter Schug, stellvertretender Schulleiter der Käthe-Kollwitz-Schule in Offenbach. "Das hatte einige Diskussionen zur Folge. Später wurde bekannt, dass die hessische Landesregierung eine Kooperations-Vereinbarung mit der Bundeswehr plant. Unser Kollege Eberhard Enß hat daraufhin den Vorschlag in die Konferenz eingebracht, die Armee nicht an unsere Schule einzuladen. Und wir haben uns dem Vorschlag angeschlossen."
Die Bewegung steht noch am Anfang
Die Käthe-Kollwitz-Schule in Offenbach und das Robert-Blum-Gymnasium in Berlin erhalten den mit insgesamt 1000 Euro dotierten Aachener Friedenspreis stellvertretend für alle Schulen, die so entschieden und sich dem Bündnis "Schulen ohne Bundeswehr" angeschlossen haben. In Nordrhein-Westfalen machen zum Beispiel auch drei Solinger Schulen mit. Wie viele Schulen genau einen vergleichbaren Konferenzbeschluss verabschiedet haben, kann Joachim Schramm von "Schulen ohne Bundeswehr NRW" nicht sagen: "Aber die Bewegung wächst, wir sind noch am Anfang." Für die Verantwortlichen des Friedenspreises setzen die Schulen "ein Signal gegen den Mainstream der Militarisierung in unserer Gesellschaft."
Jedes Jahr zum Antikriegstag am 1. September wird der Aachener Friedenspreis verliehen – 2013 bereits zum 25. Mal. "In der Verantwortung für die Zukunft der Menschheit bildet die Sicherung des Friedens den höchsten Wert", heißt es in der Gründungserklärung des Vereins. In dieser Tradition sieht der Verein auch die nun ausgezeichneten Schulen. Gerade mit Blick auf die Namensgeberin der Schule, Käthe Kollwitz, wolle seine Schule "die Fähigkeiten zu friedlicher Konfliktlösung stärken", sagt Peter Schug.
Politische Bildung oder Werbung?
Die Besuche der Bundeswehr sind weder verboten noch vorgeschrieben. In acht von 16 deutschen Bundesländern gibt es eine zwischen der Armee und den Kultusministerien der Länder geschlossene Kooperationsvereinbarung. Diese erlaubt es der Bundeswehr, an Schulen Lehrveranstaltungen durchzuführen - zum Zweck der politischen Bildung. Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) gehe damit einer Verpflichtung nach, die in der Verfassung steht, so eine Sprecherin des BMVg gegenüber der DW: "Wir informieren die Öffentlichkeit und damit auch die Jugend, z.B. an Schulen, über die Inhalte der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik."
Die Bundeswehr beschäftigt derzeit bundesweit 94 hauptamtliche "Jugendoffiziere" - interessierte Schulen können sie in den Unterricht einladen. Die Themen legten dabei die Lehrer der sozialwissenschaftlichen Fächer fest, so die Sprecherin des BMVg. Die Jugendoffiziere stellten sich dann den Fragen der Schüler.
Ist Soldat ein Beruf wie jeder andere?
Die Schulbesuche der Bundeswehr seien nur "als Lehrveranstaltung über Sicherheitsfragen getarnt", heißt es hingegen in der Begründung des Aachener Friedenspreis e.V. - in Wahrheit seien es "Werbeveranstaltungen vor zum Teil minderjährigen Schülerinnen und Schülern". Den Jugendlichen werde suggeriert, Soldat sei ein normaler Beruf. Das sei aber nicht der Fall, weil man auf wesentliche Grundrechte verzichten müsse - zum Beispiel auf das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit oder die freie Meinungs- und Willensbildung. Bei den Schulbesuchen gehe es letztlich darum, junge Menschen für den Dienst an der Waffe zu rekrutieren.
"Die Jugendoffiziere betreiben bei ihren Besuchen zu keiner Zeit Nachwuchswerbung", hält Guido Hedemann, Offizier im Presseinformationszentrum der Bundeswehr, dem entgegen. Alle Fragen zum Thema Nachwuchsgewinnung würden an die dafür zuständigen "Karriereberatungsoffiziere" weitergegeben. Diese könnten zwar auf Wunsch auch an Schulen eingeladen werden - hierbei handele es sich aber um zwei klar voneinander getrennte Abteilungen: Der Bereich Sicherheitspolitik falle unter die Öffentlichkeitsarbeit, die Berufsberatung unter den Bereich Nachwuchswerbung.
Kritik an der Bundeswehr hatte es 2012 auch wegen einer Zusammenarbeit mit dem Jugendmagazin "Bravo" gegeben: Die Zeitschrift warb auf ihrer Webseite in einem peppig-bunten Reklamevideo für ein kostenloses Ferien-Adventure-Camp der deutschen Streitkräfte. Den Reiz des Abenteuers, den diese Werbung verstärkte, nutzt die Bundeswehr auch für ihre Auftritte bei Messen: Mit Spiel, Spaß und Action lassen sich junge Menschen leichter für etwas interessieren - nur sei die Bundeswehr eben nicht nur Spaß und Action, kritisieren ihre Gegner.
Teure Nachwuchsgewinnung
Im Jahr 2012 wurden die Kooperationsvereinbarungen angepasst: Neben der Bundeswehr sollten die Schulen auch Vertreter der Friedensbewegung einladen. Mit ihrer ehrenamtlichen Organisationsstruktur hätten diese aber der Bundeswehr, was finanziellen und personellen Aufwand angeht, kaum etwas entgegenzusetzen, moniert der Aachener Friedenspreis e.V. Die Ausgaben der Armee für Nachwuchswerbung seien hingegen von 1998 bis 2012 um das Dreifache gestiegen.
Zum Juli 2011 ist in Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft worden. Da sie sich seitdem auch in Konkurrenz zu zivilen Arbeitgebern befinde, sei sie darauf angewiesen, vermehrt um Nachwuchs zu werben, heißt es von Seiten der Bundeswehr. Die Kosten dafür sind immens: Eine Berufsarmee sei 3,5 bis 7 Milliarden Euro teurer als eine Armee in Ländern mit Wehrpflicht - zu diesem Ergebnis kam Reinhold Robbe, der damalige Wehrbeauftragte des deutschen Bundestages, bereits im Jahr 2004. Das liege vor allem an den hohen Kosten für notwendige Rekrutierungsmaßnahmen.
Verwirrung: Düsseldorfer Schule nimmt Preis nicht an
Besonderen Zündstoff bekommt die Vergabe des Aachener Friedenspreises dadurch, dass eine dritte Schule, die an der Auszeichnung beteiligt werden sollte - die Hulda-Pankok-Gesamtschule in Düsseldorf - den Preis nicht annimmt. Die Entscheidung stieß auf großes Unverständnis bei den Verantwortlichen in Aachen. In einem offenen Brief schrieb Schulleiterin Alexandra Haussmann, einen gültigen Konferenzbeschluss gegen die Bundeswehrbesuche habe es nie gegeben. "Schülerinnen und Schüler sollten sich selbst eine Meinung zu sicherheitspolitischen Themen machen", sagte sie gegenüber der DW. Daher spreche auch nichts dagegen, möglichst viele Argumente aus erster Hand zu bekommen, also auch von Vertretern der Bundeswehr. Ähnlich sieht das auch die Schülervertretung der Schule: Mit der Ablehnung des Preises habe die Schulleiterin auch in ihrem Sinn und Interesse gehandelt.
Neben den "Schulen ohne Bundeswehr" wird 2013 auch die Internationale Schule in Dohuk im Nordirak mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.