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Eidgenossen auf Schlingerkurs

Martin Koch10. Februar 2014

Die Schweizer wollen künftig weniger Ausländer in ihr Land lassen. Das denkbar knappe Ergebnis des Referendums könnte für die Eidgenossen nach Ansicht von Experten allerdings unerwartet großen Schaden bewirken.

Frau läuft an einem Plakat vorbei, dass vorderVolksabstimmung in der Schweiz für ein "Nein" zur Zuwanderungsbeschränkung wirbt. (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es scheint fast so, als hätten sich die Schweizer bei der Abstimmung an der alten Volksweisheit orientiert, die da lautet: "Wenn's dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis … ." Kaum ein Land hat die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise so gut weggesteckt wie die Eidgenossen. Die Konjunktur brummt - und das vor allem dank des florierenden Handels mit dem Ausland und dank der vielen hochqualifizierten internationalen Arbeitskräfte.

Doch der Volksentscheid in der Alpenrepublik, der maßgeblich von der Schweizer Volkspartei (SVP) vorangetrieben wurde, hat nun diese beiden Säulen des wirtschaftlichen Wohlstands von allen Seiten untergraben, sagt Ralf Bopp, Direktor der Handelskammer Deutschland-Schweiz: "Die große Verunsicherung, die im Moment besteht, betrifft die Unternehmen, aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Moment nicht wissen, was das jetzt für sie bedeutet. Da muss schnell Abhilfe geschaffen werden, denn für die Unternehmen ist Unsicherheit in Bezug auf ihre Investitionen absolutes Gift."

Bopp: "Entwicklung erfüllt mich mit Sorge"Bild: Imago/Becker&Bredel

Regierung in der Klemme

Diese Forderung geht in erster Linie an die Schweizer Regierung. Nach Ansicht von Stefanie Walter, Professorin für internationale Beziehungen und politische Ökonomie an der Universität Zürich, steht Bern damit vor einer äußerst kniffligen Aufgabe: Innerhalb der kommenden drei Jahre hat sie das Votum des Volksentscheids umzusetzen. "Der Bundesrat hat nur wenig Spielraum. Innenpolitisch, weil das Volk ein Signal gesendet hat und weil die SVP dahintersteht und auf die Umsetzung achten wird. Und außenpolitisch, weil die Arbeitnehmerfreizügigkeit Teil der bilateralen Verträge mit der EU ist", sagte die Politikwissenschaftlerin im DW-Interview.

Erschwerend kommt hinzu, dass wegen der sogenannten "Guillotine-Klausel" alle sieben bilateralen Verträge zwischen der EU und dem assoziierten Partnerland Schweiz hinfällig werden, wenn einer von ihnen aufgekündigt würde.

Handelskammer-Direktor Bopp warnt für diesen Fall vor verheerenden Folgen für die Schweizer Wirtschaft und zählt andere Bereiche auf, in denen dann die dank der Abkommen von 1999 erreichten Erleichterungen im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr wegfallen würden: "Ich denke an die gegenseitige Anerkennung von Zertifizierungen, durch die technische Handelshemmnisse beseitigt wurden, an den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, an Abkommen im Land- und Luftverkehr sowie an Rahmenabkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit."

Wollten mehrheitlich weniger Migranten im Land: Schweizer unterwegs zur AbstimmungBild: picture-alliance/dpa

Internationaler Scherbenhaufen

Insgesamt gibt es rund 120 Vereinbarungen zu den verschiedensten Politik- und Wirtschaftsbereichen. Von besonderer Bedeutung ist die Gruppe der "Bilateralen Abkommen II", mit denen die Schweiz unter anderem den EU-Abkommen von Dublin (Asylfragen) und Schengen (Wirtschaftsraum) beigetreten ist. Deren Gültigkeit wäre dann ebenfalls in Gefahr. Die Schweizer haben sich also mit ihrem Votum gegen Zuwanderung international mit mindestens einem Bein ins Abseits gestellt.

Die ersten Reaktionen von EU-Funktionären ließen deutlich erkennen, dass Brüssel in hohem Maße "not amused" ist. Der Präsident des Europaparlaments, der SPD-Politiker Martin Schulz, sagte im ZDF: "Man kann nicht alle Vorteile des großen europäischen Binnenmarktes für sich in Anspruch nehmen, sich dann aber teilweise raustun."

Eine Sprecherin der EU-Kommission betonte, die Freizügigkeit für Arbeitnehmer in der Europäischen Union sei "heilig". Sollte die Schweiz bei ihrer Haltung bleiben, könnten sich die Beziehungen zur EU "grundlegend ändern", so die Sprecherin. Doch zunächst einmal habe die Abstimmung keine unmittelbaren Folgen: "Der Ball liegt jetzt im Feld der Schweiz."

Mögliche Auswege

Stefanie Walter ist überzeugt, dass die Schweiz von ihrem Ansehen als weltoffenes Land mit einer stark globalisierungsorientierten Wirtschaft einiges einbüßen wird: "Das wird sich sicherlich bemerkbar machen, wenn es um Investitionen geht. Die Entscheidung, in die Schweiz oder in ein anderes EU-Land zu gehen, wird von Unternehmen jetzt viel genauer geprüft werden."

Walter: "Die Schweiz wird Ansehen einbüßen"Bild: Universität Heidelberg

Für die Regierung in Bern gibt es nach Überzeugung der Politikwissenschaftlerin derzeit eigentlich nur zwei mögliche Auswege aus dem Dilemma: "Eine Option ist, dass man Kontingente einsetzt, die so hoch sind, dass sie sowieso nicht greifen. Das wäre unter Umständen sogar mit der EU verhandelbar." Aber es wäre definitiv nicht im Sinne der Initiatoren des Volksbegehrens, so dass es innenpolitisch nur schwer durchzusetzen sein dürfte.

"Eine andere Variante, die diskutiert wird, ist die, dass man die Kontingente für EU-Bürger relativ hoch lässt, dafür aber bei den Drittstaaten sehr spart, was für die natürlich sehr schmerzhaft ist."

EU - Schützenhelfer oder Stolperstein

Nach Ansicht von Experten wie Stefanie Walter kommt es für die weitere Entwicklung der Zuwanderungsdebatte in der Schweiz auch maßgeblich darauf an, wie das Thema innerhalb der EU diskutiert wird. Angesichts des britischen Vorstoßes, Kontingente für EU-Einwanderer aus bestimmten Ländern einzuführen, könnte ein Abkommen mit der Schweiz natürlich Signalwirkung haben. Andererseits werde die EU, die momentan ja an vielen Baustellen gleichzeitig damit beschäftigt sei, ihre Mitgliedsländer beisammen zu halten, sicher keine Sonderregelung mit der Schweiz zulassen, weil eine solche Begehrlichkeiten bei anderen Ländern wecken würde, so Professorin Walter.

Die Schweizer gefährden mit ihrem Votum die Zusammenarbeit mit ihrem wichtigsten HandelspartnerBild: picture-alliance/dpa

Doch trotz aller internationaler Verstimmung und der daraus möglicherweise resultierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten kann die Schweiz immerhin in einem Punkt zuversichtlich in die Zukunft sehen, ist Stefanie Walter überzeugt: "Die Schweiz hat ja unterschiedliche Rollen auf dem internationalen Parkett, zum Beispiel als unabhängiger Vermittler, wie jetzt zuletzt bei der Syrien-Konferenz. Und das wird sich nicht wahnsinnig ändern."

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