1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Anti-Hass-Gesetz mit Fallstricken

Nicolas Martin
2. Januar 2018

Seit dem 1. Januar ist es vollständig in Kraft: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll Hetze in sozialen Netzen bekämpfen. Doch nicht nur aus den Kreisen der AfD kommt Widerstand. Der Vorwurf lautet unter anderem: Zensur.

Computertaste mit der Aufschrift Hass und Radiergummi
Bild: picture-alliance/Bildagentur-online/Ohde

Ob der Tweet von Beatrix von Storch Kalkül war, darüber lässt sich streiten. Das Echo wird aber wohl in ihrem Sinne sein, denn am zweiten Tag nach dem vollständigen Inkrafttreten des sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) steht die AfD einmal mehr im Rampenlicht. Dabei geht es um einen Tweet und einen Facebook-Post der AfD-Fraktionsvorsitzenden von Storch, den die beiden Internetdienste entfernten. Von Storch hatte sich abwertend darüber ausgelassen, dass die Polizei in Köln die Neujahrsgrüße in mehreren Sprachen veröffentlicht hatte - darunter auch auf Arabisch. 

Twitter begründet die Löschung mit Verweis auf einen "Verstoß gegen Regeln über Hass-Inhalte". Facebook teilte von Storch mit, dass der Post wegen Volksverhetzung nach §130 des deutschen Strafgesetzbuches entfernt wurde. Das nahm von Storch zum Anlass, um abermals auf Twitter "vom Ende des Rechtsstaates" zu sprechen. Facebook urteile ohne einen Gerichtsentscheid. Auch Alexander Gauland ergriff das Wort: Das "Zensurgesetz" von Justitzminister Heiko Maas zeige bereits seine freiheitsbeschneidende Wirkung, so der AfD-Bundessprecher.

Worum geht es bei dem Gesetz genau?

Schon seit dem 1. Oktober ist das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft. Seit Anfang dieses Jahres aber in vollem Umfang. Hinter dem Wortmonster versteckt sich das Ziel, Hass und Hetze in sozialen Medien besser zu bekämpfen.

Der Gesetzestext umfasst vier Seiten und fordert die Betreiber von Plattformen von über zwei Millionen registrierten Nutzern auf, ein unmittelbares Beschwerdeverfahren zur Verfügung zu stellen. Berufliche Netzwerke wie Linkedin und Xing sind ausdrücklich ausgeschlossen, ebenso Messengerdienste wie Whatsapp. Facebook, Youtube, Instagram, Twitter und Snapchat müssen seit dem 1. Januar einen "offensichtlich rechtswidrigen" Inhalt innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde entfernen oder den Zugang zum Posting sperren. Als offensichtlich rechtswidrig gelten Inhalte, die keine vertiefte Prüfung benötigen, beispielsweise Volksverhetzung. 

Bei einem "rechtswidrigen Inhalt" haben die Netzwerke maximal sieben Tage dafür Zeit. Unter diese Kategorie fallen unter anderem Beleidigung, Verleumdung oder das strafrechtlich relevante Verbreiten von Falschnachrichten.

Wie kommt es zu einer Beschwerde?

Nutzer von sozialen Netzwerken sind nun gefordert: Denn nur wenn ein verdächtiger Inhalt bei den Betreibern gemeldet wird, ist überprüfbar, ob die Fristen auch eingehalten werden. Die Netzwerke hatten bereits vor dem Gesetz schon eine Meldefunktion eingerichtet, wenn ein Beitrag gegen die Community-Regeln verstößt. Bei Twitter findet sich nun auch der Verweis auf das Netzwerkmeldegesetz (siehe Grafik). Bei Facebook gibt es dafür ein Formular im Hilfsbereich.

Bei Facebook und Twitter ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bereits ins Meldeformular integriert

Nach der Meldung eines Users tickt für die Betreiber dann die Uhr. Sollten sie die entsprechenden Fristen nicht oder mit unbefriedigtem Ergebnis einhalten, dann können sich User beim Justizministerium über ein offizielles Formblatt beschweren . Das Ministerium prüft nach. Entdeckt es, dass Betreiber ihrer Pflicht nicht nachkommen, kann es eine Buße von bis zu fünf Millionen Euro verhängen. Die sozialen Netzwerke sind außerdem aufgefordert, jedes halbe Jahr einen Bericht über ihren Umgang mit den Beschwerden zu veröffentlichen.

Wie prüfen Facebok und Co die gemeldeten Inhalte?

Das schreibt das neue Gesetz nicht vor. Die neuen Möglichkeiten machen es einfach, etwas zu melden - Kritiker befürchten deshalb bereits "Meldeschlachten" - sozusagen als Mittel der Denunziation gegen Andersdenkende. Facebook hat eigene Leitlinien gegen Hasskommentare erarbeitet. Darin heißt es auch, man habe in Deutschland bis zum abgelaufenen Jahr 1200 Mitarbeiter im Einsatz, um Inhalte zu überprüfen. Diese sind zum größten Teil bei den Drittfirmen Arvato und CCC in Berlin und Essen angestellt.

Dabei gibt es vor allem Kritik an Fehlern dieser "Lösch-Teams". So wurde beispielsweise kurz vor Weihnachten ein Video gesperrt, das antisemitische Beschimpfungen in Deutschland dokumentieren sollte. Erst nach viel Kritik stellte Facebook das Video wieder ein. Facebook-Sprecher weisen bei Vorgängen häufig auf bedauerliche Fehlentscheidungen hin, die sich angesichts Hunderttausender gemeldeter Beiträge pro Woche kaum vermeiden ließen. Angesichts des neuen Gesetzes ist davon auszugehen, dass die gemeldeten Beiträge nochmals deutlich steigen.

Was sind die Hauptkritikpunkte?

Bürgerrechtler sehen ein grundsätzliches Problem. So spricht der Netzaktivist Markus Beckedahl von Netzpolitik.Org. von einer "Privatisierung der Rechtsdurchsetzung", weil die Betreiber der Plattformen in erster Linie selbst über die Rechtswidrigkeit entscheiden können. Facebook schreibt in seinenHausregeln: "Es gibt keine allgemein gültige Antwort darauf, wann eine Grenze überschritten wird."

Alexander Gauland und Beatrix von Storch sehen in dem Gesetz eine Form von ZensurBild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Auch hat sich ein breites Bündnis mit einer"Deklaration für Meinungsfreiheit" zu Wort gemeldet. Darunter sind unter anderem Branchenverbände der Digitalwirtschaft und Netzorganisationen. Ihre Befürchtung: Aus Angst vor Bußgeldern und wegen der kurzen Reaktionszeiten, könnten sich soziale Netzwerke im Zweifelsfall "zulasten der Meinungsfreiheit und für die Löschung und Sperrung solcher Inhalte entscheiden, die sich im Graubereich befinden".

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Befürchtung, dass die Politik über das Gesetz Zensur ausüben könnte. Dabei geht es vor allem um den neu gewonnen Einfluss des Justizministeriums auf die sozialen Netzwerke und auf Inhalte, die es zu löschen gilt.

Ob diese Befürchtungen Realität werden, wird nur die Zeit zeigen können. Gegen Von Storch wird nach ihrem Tweet nun ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. Das hat allerdings nichts mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu tun, sondern ist die Folge zahlreicher Strafanzeigen.

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen