Ein Betriebswirt auf Abenteuerreise
7. Oktober 2008![](https://static.dw.com/image/3695492_800.webp)
Er sagt von sich selbst: "Ich bin Europäer." Geboren ist er im französischen Biaritz, jetzt lebt er in Frankfurt - wenn er nicht gerade auf Reisen ist. Alle 49 Länder, die nach seiner Rechnung zu Europa gehören, hat er bereist. Das schließt Aserbaidschan, Armenien und Georgien mit ein. Damit hat er eine Wette gewonnen, die er - irgendwann, irgendwo, Genkin erinnert sich nicht mehr - mit einem Freund aus Holland abgeschlossen hat. "Das hat einen angestachelt, schneller zu sein und auch ein bisschen mehr Fokus rein zu bringen", sagt Olivier.
Ein Betriebswirt als Action-Held
Der zierliche Betriebswirt aus Frankfurt, mit Rundbrille und Rolli statt Rucksack, ist keineswegs der Typ "verträumter Backpacker". Er reist mit Plan. Reiserouten, Transportmittel, Zwischenstopps und Aufenthalte legt er ganz genau fest – fast wie einen Businessplan. Auch wenn es manchmal großen Einsatz braucht, diese Pläne einzuhalten.
2002 wollte er beispielsweise nach Sofia in Bulgarien fahren, doch der Zug rollte an der Grenze einfach wieder in Richtung Rumänien los und Olivier war der letzte Fahrgast. Seine Lösung war ganz einfach und doch abenteuerlich: "Der Zug war gerade in Beschleunigung, das heißt, ich musste schnell agieren und hab dann den Sprung gewagt, mit meinem Gepäck auf das Nachbargleis. Gut, das tut ein bisschen mehr weh, als man sich das so vorstellt." Olivier ist dann zu Fuß in Richtung Bulgarien gelaufen, bis es erneut ein Problem gab: Er wurde von einem Grenzer aufgehalten. Mit "Spotlight auf mich und einem Gewehr in meinem Magen". Zu seinem Glück kam genau in diesem Moment sein Zug wieder zurück und der Schaffner konnte dem Grenzer zurufen, dass Olivier aus dem Zug gesprungen sei. "Der Grenzer zeigte mir dann den Vogel und hat mich passieren lassen. Zurück am Bahnsteig wurde Genkin mit Applaus empfangen und als Action-Held gefeiert.
Europa – ein Buch mit unendlich vielen Kapiteln
Europa, das ist für Genkin ein Buch mit unendlich vielen Kapiteln und Geschichten: In Moldawien schlachtete ihm ein Bauer ein Schwein, mit dem ehemaligen slowenischen Außenminister diskutierte er über den Kalten Krieg. Er trifft pünktliche Spanier und Finnen, die kein Alkohol trinken, in der Ukraine flieht er vor einer Horde Straßenhunde und im Balkan irgendwann vor einer sehr geselligen Gruppe, die ihn auch nach dem fünften Verbrüderungs-Toast einfach nicht gehen lassen will.
Neugier auf Menschen, ihre Geschichten, ihre Kultur, das treibt Genkin. Mehr noch aber treibt ihn ein Traum: "Mein Traum ist sehr idealistisch. Mein Traum ist es wirklich, dass Individuen und Nationalstaaten sich selber etwas zurücknehmen, zum Wohle eines Kollektivs." Deswegen sei es umso wichtiger, dass man vernetzt und auch europäisch denke, sagt er. "Interkulturelle Kompetenz aufzubauen, das klingt jetzt erst mal nach Karriere-Orientierung, aber das ist, was uns Europäern sehr wichtig ist, damit wir diesen Kontinent überhaupt zusammen halten können."
Erst Europa, dann die Welt?
Bei dem europäischen Studentennetzwerk AEGEE hat Olivier Freunde gefunden, mit denen er gemeinsam an seinem Traum arbeitet. Sie organisieren rund 200 Konferenzen, Partys und Projekte pro Jahr. Deswegen hat er gerade auch noch keine Zeit für ein Buch. Aber irgendwann wird er es schreiben. Einen Titel gibt es auch schon: Grenzerfahrungen. Und seine nächste Grenzerfahrung steht kurz bevor: In diesem Sommer reist er nach Ägypten. Erst Europa, dann die Welt? Für Genkin ist alles offen.