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Politik

Ein bisschen Europa bitte

Nina Niebergall
6. Mai 2017

Wenn die Franzosen am Sonntag zur Wahlurne gehen, entscheiden sie auch über die Frage: Wie viel Europa wollen wir? Dabei ist ihr Verhältnis zu Brüssel seit jeher von Widersprüchen geprägt.

Frankreich | Pulse of Europe | Toulouse
Bild: imago/ZUMA Press

Eigentlich deutet gerade vieles daraufhin, dass die Franzosen Europa nicht besonders gut finden: Fast die Hälfte der Wähler stimmte in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl für euroskeptische Kandidaten. In Fernsehdebatten wurde immer wieder gegen Brüssel gewettert. Und die Rechtspopulistin Marine Le Pen scheint mit ihren Parolen gegen den Euro und die europäische Freizügigkeit Stimmen zu gewinnen. 

Gebetsmühlenartig hatte Le Pen in den vergangenen Monaten wieder und wieder ihre Phrasen wiederholt: Raus aus der Europäischen Union, weg mit dem Euro. Die Gemeinschaftswährung sei verantwortlich für die Misserfolge französischer Firmen im internationalen Wettbewerb und die hohe Arbeitslosigkeit, so die Logik der Front-National-Frau, die offenen Grenzen verantwortlich für Terrorismus und Massenmigration. Mit dieser Haltung schaffte sie es bislang zwar nicht, ihren Kontrahenten für die Präsidentschaft, Emmanuel Macron, zu überholen. Dass sie in den Umfragen bei knapp 40 Prozent liegt, deutet aber zumindest daraufhin, dass sie den Nerv vieler Franzosen trifft.

Plötzlicher Sinneswandel?

Umso verwunderlicher, dass die Frontfrau der Rechtspopulisten vor einigen Tagen plötzlich moderatere Töne anschlug. Der Euro-Ausstieg habe keine Priorität, sagte sie da. Ein Frexit-Referendum solle es also nicht nach 6 Monaten geben, sondern irgendwann. Stattdessen setzt sie auf mehrmonatige Gespräche mit den europäischen Partner und auf Reformen.

Es ist diese leise Kehrtwende, die kurz vor der entscheidenden Stichwahl noch einmal die Frage aufwirft: Sind die Franzosen tatsächlich so euroskeptisch wie ihr Ruf?

Europafan oder Europagegnerin? Am Sonntag entscheiden die FranzosenBild: picture-alliance/Maxppp/L. Vadam

Zwei Studien geben Anlass, die Einstellung der Franzosen zur EU differenzierter zu betrachten. So ermittelt die Bertelsmann Stiftung, dass die Franzosen die EU und den Euro grundsätzlich positiv bewerten. Dennoch blicken sie weit pessimistischer in die Zukunft als ihre europäischen Nachbarn. Isabell Hoffmann, Mitautorin der Studie und Europaexpertin der Bertelsmann Stiftung, zieht daraus Schlüsse für die Präsidentschaftswahl: "Europakritische Positionen im Wahlkampf einzunehmen, ist risikoreich. Mit EU-Schimpferei kann man viel Aufmerksamkeit generieren und die Leute bei ihrem Gefühl abholen, dass es zur Zeit nicht gut läuft. Aber ist man zu radikal, verschreckt man mehr Wähler, als man gewinnt." Für Hoffmann heißt das: Die Menschen sind unzufrieden mit der Tagespolitik, wollen deshalb aber noch lange nicht raus aus der EU.

Zwischen Einmischung und Zurückhaltung

Unzufrieden sind die Franzosen vor allem in Punkto Migration und Sicherheit. Das zeigt eine Umfrage des Europäischen Parlaments. Nur 53 Prozent der Franzosen wünschen sich demnach mehr europäisches Engagement in der Migrationspolitik, ganze acht Prozent weniger als noch vor einem Jahr. Umgekehrt finden immer mehr Menschen, die EU handele nicht entschlossen genug, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Auch wenn es um die Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit geht, fühlen sich viele von Brüssel alleine gelassen. Hier sind es sogar über 80 Prozent, die eine stärkere Einmischung in die nationale Politik für richtig halten.

"Die Europäische Union soll den Franzosen das liefern, was sie von ihr erwarten", meint Pierre Vimont. Der ehemalige Diplomat arbeitet als Frankreich-Experte am Brüsseler Think Tank "Carnegie Europe". Er glaubt, die Menschen erwarten "eine EU, die dazu in der Lage ist, sie vor den Auswirkungen der Weltwirtschaftsordnung zu schützen und vor der Instabilität, die durch unfairen Wettbewerb entsteht." Auch wenn die Franzosen mehrheitlich nichts von der Brüsseler Austeritätspolitik hielten, seien sie "schlau genug, um zu verstehen, dass mehr Haushaltsdisziplin nötig ist". Denn an dieser Stelle hakt es seit Jahren. Immer wieder verschuldete sich Paris mehr, als es die EU-Vorgaben zulassen. Vimont ist sich sicher, dass die Franzosen bereit wären, sich an diese Vorgaben anzupassen - allerdings ohne zu viele Opfer bringen zu müssen.

Er ist der Wunschkandidat in vielen europäischen Hauptstädten: Emmanuel Macron (links, mit Sigmar Gabriel)Bild: Getty Images/M. Tantussi

Jahrzehntelange Hassliebe

Dass Frankreich eine Art Hassliebe zur europäischen Staatengemeinschaft pflegt, zeigt auch der Blick in die Geschichtsbücher. Schließlich war es ein Franzose, der 1958 die Idee zur ersten supranationalen Institution voran brachte. Die Montanunion, mit der die sechs Gründerstaaten zollfreien Zugang zu Kohle und Stahl erhielten, ging auf eine Initiative des französischen Außenministers Robert Schuman zurück. Was folgte, war ein halbes Jahrhundert der Hochs und Tiefs in der Beziehung zwischen Paris und Brüssel - bis die Franzosen im Mai 2005 einen vorläufigen Schlussstrich unter die fortschreitende Integration zogen und in einem Referendum "Nein" zur Europäischen Verfassung sagten.

Seitdem versucht ein französischer Präsident nach dem anderen, die EU wieder so zu gestalten, dass die Franzosen hinter ihr stehen können. Das Problem: "Seit Jacques Chirac werden im Wahlkampf Hoffnungen geschürt, die danach umso mehr enttäuscht werden", meint Isabell Hoffmann von der Bertelsmann Stiftung.

Der Hoffnungsträger

Wird nun Macron der nächste sein, der die Franzosen enttäuscht? Im Wahlkampf tritt der 39-jährige Sozialliberale als Hoffnungsträger auf, der die Franzosen mit Europa versöhnen könnte. Sollte er der nächste Präsident werden, will er einen gemeinsamen Haushalt und einen Finanzminister für die Eurozone erwirken. Auch gilt er als Verfechter einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik. 

Aber etwas macht er anders als seine Vorgänger, meint Pierre Vimont. "Er hat keine guten Nachrichten versprochen." Vielmehr habe Macron sich als Kandidat stilisiert, der die Wahrheit sage - und nicht wie seine Vorgänger falsche Erwartungen kreiere. Umgekehrt stelle er auch eine Forderung an das französische Volk: "Dass sie die Reformen akzeptieren, die am Anfang wehtun werden, aber sehr wertvoll für den französischen Wohlstand sein werden."

Die Franzosen müssen also mitmachen. Ob sie das tun werden? Am Sonntag wird sich zumindest entscheiden, ob sie der EU noch eine Chance geben.

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