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Brexit ohne Deal wird ein teurer Deal

Andreas Rostek-Buetti mit Agenturen
7. Dezember 2020

Die Chancen steigen täglich, dass die EU und Großbritannien zum Jahresende ohne einen Vertrag auseinander gehen. Wie viel genau das kosten wird, und wen es mehr kosten wird, ist nicht so sicher - nur: teuer wird’s.

England Kampagne - Time is running out
Bild: Dinendra Haria/London News Pictures via ZUMA Wire/picture-alliance

Prognosen sind nun mal Aussagen, die oft unscharf bleiben; die Zukunft gibt sich gern bedeckt. Im Fall der von London mit Macht vorangetriebenen Trennung von der EU ist nur soviel klar: Wenn es zu Sylvester keinen gültigen Ausstiegsvertrag gibt, dann gilt für die beiden eng verbandelten Handelspartner das Regelwerk der WTO, der Welthandelsorganisation. Das heißt: Kontrollen an den Grenzen und jede Menge neuer Abgaben.

Wegen der unsicheren Lage an der Prognosefront ist derzeit viel von Kontrollen und Staus die Rede. Sie müssen als Bild und Indiz dafür herhalten, was ab dem 1. Januar 2021 um 00:01 Uhr drohen könnte, wenn es gegen alle aktuelle Wahrscheinlichkeit nicht doch noch zu einem Deal zwischen London und Brüssel kommt.

Lastwagen-Stau vor dem Eurotunnel in Folkestone: Bald Alltag? Bild: picture-alliance/dpa/G. Fuller

An einem Tag Ende November konnten Briten wie Resteuropäer beobachten, was da droht im gemeinsamen Handel: Calais auf der französischen Seite der Grenze startete einen Probelauf für die Kontrollen, die ab dem 1. Januar gelten würden - in und um Dover, auf der britischen Seite, kam es zu einem fünf Kilometer langen Lkw-Stau. Auch die Regierung in London geht davon aus, dass sich ab dem 1. Januar vor Dover bis zu 7000 Laster stauen dürften.

Der Stau als Bild

Der Stau ist ein Bild für die neuen Zollkosten, die auf Handelsware aufgeschlagen würde, wenn die WTO-Regeln gelten: Im Durchschnitt wären es für EU-Exporte nach Großbritannien 3,1 Prozent an Zoll und 1,4 Prozent an "nichttarifären Hemmnissen", wie Oxford Economics das bezifferte. Auch umgekehrt wären alles in allem Zoll-Aufschläge von 3,3 Prozent fällig. Dahinter verbergen sich allerdings große Unterschiede: Bei Autos oder Agrarprodukten geht es um zehn Prozent mehr, bei Milchprodukten gar um 36 Prozent.

Die Finanzbranche wurde dabei aus den Freihandelsgesprächen zwischen London und Brüssel ausgespart. Ganz ohne die Londoner City - die Einsicht scheint sich in der EU durchgesetzt zu haben - sieht es düster aus für die Finanzbranche diesseits des Kanals.

Ashford, Grafschaft Kent: Bauplatz für einen 11 Hektar großen Brexit-Lkw-Parkplatz Bild: Gareth Fuller/PA WIre/dpa/picture-alliance

Aber auch unabhängig von der Geldbranche geht es um eine Menge Geld im Handel zwischen beiden Seiten: 2019 hatte der Warenverkehr zwischen Großbritannien und der EU ein Volumen von 500 Milliarden Euro. Die deutschen Exporte auf die Insel hatten da einen Wert von fast 79 Milliarden Euro. Dabei war Großbritannien da bereits von Platz drei unter den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands vor vier Jahren auf nun Platz fünf abgesackt - eine Brexit-Folge, bevor der so ganz gilt.

Das wird wohl so weiter gehen, da sind sich die meisten Beobachter sicher. Insofern überrascht die Härte der Johnson-Regierung in den laufenden Verhandlungen, die mehr und mehr zur Poker-Partie geworden sind. Denn die britische Industrie hängt viel mehr an der internationalen Lieferkette mit Europa als umgekehrt. Nach einer Studie des Ifo-Instituts in München importiert die Insel-Industrie sehr viele Zwischenprodukte aus der EU, ohne dass dafür viele Alternativem in Sicht wären. Auch deshalb drohen Preissteigerungen in Großbritannien.

Selbst Regenschirme werden teurer

Die Kreditagentur Euler Hermes spricht von Preiszuwächsen für Importe von 15 Prozent. Die Inflation könne im kommenden Jahr um fünf Prozent anziehen, das Pfund um zehn Prozent abwerten.

In der Folge, so vermerkte die deutsche Bild-Zeitung, dürften für die Briten selbst die Regenschirme teurer werden. Auch das eine dieser beliebten Spekulationen in Ermangelung harter Zahlen aus der Zukunft.

Brexiteer: der britische Premierminister Boris JohnsonBild: Reuters/UK Parliament/J. Taylor

Dass die Folgen eines harten Brexits für die Briten härter wären als für den Rest der EU und die Kosten höher - auch darin sind sich viele Beobachter einig, sofern sie nicht Parteigänger von Boris Johnson sind. Nach dem ersten Schock über die Brexit-Abstimmung vor vier Jahren, sei man "inzwischen verhältnismäßig entspannt", beobachtete Marc Tenbieg vom Branchenverband des deutschen Mittelstands DMB in der Zeitung Die Welt. "Wir gehen von einem harten Brexit aus", so Tenbieg, und die deutschen Unternehmen hätten sich vorbereitet.

Von solcherart Entspannung kann auf britischer Seite nicht die Rede sein. Dafür sorgt jetzt vor allem schon die Corona-Krise, die Großbritannien besonders hart trifft. Die britische Wirtschaft wird nach Schätzungen des unabhängigen Amts für Haushaltsfragen in London (OBR) in diesem Jahr um 11,3 Prozent schrumpfen. Durch einen No-Deal-Brexit käme laut OBR im kommenden Jahr ein Minus von weiteren zwei Prozent hinzu.

Noch pessimistischer zeigt sich die Industriestaatenorganisation OECD. Mittelfristig würde sich die britische Wirtschaft selbst bei einem Austrittsabkommen um 3,5 Prozent schwächer entwickeln als man es bei ihrem Verbleib in der EU hätte erwarten können. Beim Ausstieg zum 1.Januar ohne einen Deal aber drohte nach zwei Jahren ein Minus von bis zu fünf Prozent, erwartet die OECD. Sieht nicht nach einem guten Deal aus.

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