Ein Dämpfer für Jeremy Corbyn
16. Januar 2019Nicht nur die aufmerksamen Beobachter des Brexit-Dramas kratzen sich aktuell ungläubig am Kopf und wundern sich über die britische Premierministerin Theresa May und den Umgang ihrer Regierung mit dem Brexit-Abkommen. Auch Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei erhält am Mittwoch nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen May einen herben politischen Dämpfer.
Auf den ersten Blick schien es ein politisches Kinderspiel, die Lage auszunutzen. Aber ganz so einfach ist es nicht. Um zu verstehen, warum die Labour-Partei unter Corbyn bisher nicht in der Lage war, Mays schwindende Macht und schrumpfenden Einfluss auszunutzen, sollte man einen Blick in die Vergangenheit werfen; einen Blick auf Corbyns Geschichte sowie seine Entwicklung in der Partei, und wie er es geschafft hat, die Partei wieder wachzurütteln.
Corbyn, der Retter?
Viele Experten hielten die Jahre unter dem früheren Premierminister Tony Blair für die goldenen Zeiten der Labour-Partei. Mit seinem Nachfolger Gordon Brown geriet die Partei dann aber in den freien Fall und verlor bei der Parlamentswahl 2010 sogar 91 Sitze im Unterhaus - es war der größte Verlust seit 1931. Seinem Nachfolger Ed Miliband ging es kaum besser. Die Partei verlor die Parlamentswahl 2015.
Jeremy Corbyn schlug denn einen anderen Weg ein. Gegen jede Widrigkeit gelang es ihm, bemerkenswerte Siege in Folge zu verbuchen. 2015, als die Partei nach dem verheerenden Wahlergebnis ins Chaos zu stürzen drohte, wurde er Parteichef. Vor allem junge Aktivisten setzten sich für ihn ein. Sie hatten drei Pfund (3,40 Euro) gezahlt, um sich als Unterstützer der Labour-Partei zu registrieren und am Wahlkampf teilzunehmen, auch wenn sie keine Parteimitglieder waren.
Als Corbyn dann auf dem Wahlzettel stand, prägte sein Wahlkampfmanager John McDonnell den Ausdruck der "offenen und ehrlichen Politik". McDonnell bezeichnete Corbyn zudem als Alternative zu jenen Karrierepolitikern, die ihm gegenüber standen. Obwohl man durchaus auch behaupten könnte, dass Corbyn selbst zu dieser Garde gehört - immerhin ist er seit 1983 als Abgeordneter im Amt, war zuvor Ratsmitglied.
Der Karriereknick
Nach dem EU-Referendum 2016 geriet Corbyns Karriere allerdings ins Stocken. Seine Oppositionsarbeit wurde nur als mäßig wahrgenommen und die Partei überlegte schon, Corbyn aufzugeben. Aber auch dieses Mal gelang es ihm, junge Anhänger zu mobilisieren, die ihm einen erneuten Sieg zum Parteichef bescherten. Ein Jahr später gelang ihm zweifellos einer seiner größten Coups, als er mit seiner Partei 40 Prozent der Stimmen bei der Parlamentswahl erzielte.
An diesem Punkt endet seine Erfolgsgeschichte jedoch im Wesentlichen. Einige Beobachter loben Corbyn für seine Sturheit, an seinen Grundsätzen festgehalten zu haben. Andere glauben eher das Gegenteil: Genau durch diese stoische Art sei die Labour-Partei jetzt da, wo sie steht.
Aber: Jeremy Corbyn war schon immer ein EU-Skeptiker. Das zeigt auch sein Werdegang. Bereits 1975 stimmte Corbyn für das Ausscheiden der Briten aus der Europäischen Währungsgemeinschaft (EWG). Er lehnte die Gründung der EU unter dem Maastricht-Vertrag ab und stimmte 2008 im Parlament mehrfach gegen den Vertrag von Lissabon.
Am Tag nach dem EU-Referendum im Jahr 2016 forderte Corbyn schneller als May die sofortige Umsetzung von Artikel 50 und damit den Beginn der zweijährigen Kündigungsfrist für den Austritt aus der EU. Im Dezember 2016 stimmte er auch im Parlament für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs und verlangte, dass der Prozess bis spätestens 31. März 2017 beginnen müsse. Im Februar 2017 votierte er dann auch dafür, dass May den Prozess startet, die EU zu verlassen.
Im darauffolgenden Sommer lehnte Corbyn den Verbleib der Briten im EU-Binnenmarkt ab und entließ sogar einige Abgeordnete, weil sie sich für den Verbleib aussprachen.
Machthunger statt Haltung?
Doch selbst in der heutigen Zeit, in der sich viele kritisch über die EU äußern, könnte seine eigene EU-skeptische Haltung seinen Ruin bedeuten. Er hat deutlich gemacht, dass seine oberste Priorität darin besteht, ein Misstrauensvotum gegen die Regierung zu fordern, um Neuwahlen auszulösen. Sollte das passieren und die Labour-Partei würde als Sieger hervorgehen, will Corbyn die Bedingungen des Brexit mit der EU neu verhandeln. Ein zweites Referendum über den Brexit hat er nicht gänzlich ausgeschlossen. Dies könnte er sich aber nur vorstellen, wenn keine Neuwahl stattfindet.
Genau darin besteht aber das Problem: Labour selbst ist wegen des Brexit gespalten und es gibt keine Garantie, dass sie zeitnah eine Neuwahl gewinnen würden. Im Gegenteil: Eine Neuwahl könnte Spannungen innerhalb der Partei offen legen. Die Führung ist zwar deutlich gewesen: Bei Neuwahlen werde sie den EU-Austritt voranzutreiben, aber mit weniger wirtschaftlichen Schäden für Großbritannien. Aber eine immer lauter werdende Gruppe von Labour-Hinterbänklern unterstützt die Kampagne für ein zweites Referendum. Über diese Spannungen könnte Corbyn stolpern.