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Gesellschaft

Kenias Königreich der Frauen

Janelle Dumalaon | Tonny Onyulo
10. Mai 2017

Es gibt viele Gefahren für die Frauen des Samburu-Stammes: Beschneidung, Kinderheirat und sexueller Missbrauch sind nur einige. So kann es nicht bleiben, sagten sie sich und gründeten ein eigenes Dorf, nur für Frauen.

Global 3000 Frauen in Kenia | Frauendorf Samburu
Bild: Janelle Dumalaon

Im Alter von 12 Jahren wäre Rebecca Lolosoli beinahe gestorben. Sie hatte das Pech am falschen Ort geboren worden zu sein, als Mädchen im Stamm der Samburu. Die Halbnomaden leben als Viehhüter in Kenias riesigem, ausgedörrten Norden. Hier werden noch immer Genitalverstümmelungen an Mädchenvollzogen.
 

"Ich habe die Beschneidung durchgemacht und bin fast daran gestorben", sagt sie. "Aber ich hatte Glück, weil ich gerade zufällig in der Nähe des Krankenhauses war. Dort hing ich für einen Monat am Tropf und bekam Transfusionen."

Für Lolosoli und die anderen Frauen ihres Dorfes ist die Beschneidung so etwas wie ein unvermeidlicher Teil des Lebens. Und davon gibt es viele für Samburu-Frauen. Mädchen, kaum sieben Jahre alt, werden "gebettet." Dahinter steht ein kulturell verankerter Brauch, der es einem Mann erlaubt, Sex mit einem jungen Mädchen zu haben, selbst wenn es nicht um eine anberaumte Ehe geht.

“Als Kind habe ich so viele Dinge gesehen, die Frauen und Mädchen angetan wurden", sagt Lolosoli. “Wir können jederzeit sterben. Wenn der Ehemann es will, kann er uns töten, einfach so. Wir haben nicht das Recht, uns einen Ehemann auszusuchen. Wir haben kein Recht dazu, irgendetwas zu besitzen. Wir haben nicht das Recht, zu leben."

Heute, 40 Jahre später, lebt sie in einem staubigen, schmucklosen Dorf namens Umoja Uaso. Das Dorf liegt fünf Autostunden entfernt von der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Hier endet die Straße. Es gibt nur noch Wüste und ein Trainingsareal der britischen Armee, das Archer's Post heißt.

Bild: Janelle Dumalaon
Bild: Janelle Dumalaon

Um das Dorf haben sie einen wackligen Zaun aus Dornenzweigen errichtet. Es gibt etwa ein Dutzend Hütten aus Stroh und Lehm. Täglichen treffen sich die Frauen am zentralen Versammlungsplatz, fädeln bunte Perlen auf Bänder, erschlagen Fliegen und beruhigen kränkelnde Kinder.

Nirgendwo ein Mann

Umoja Uaso, Suaheli für "Einheit", ist ein Zufluchtsort für Frauen. Lolosoli und ihre Freundinnen haben ihn vor 25 Jahren gegründet, auf der Flucht vor Gewalt und Missbrauch. Heute leben hier 48 Frauen in Frieden. Aber selbstverständlich war der Frieden nicht.

“Mein Ehemann hat mich geschlagen. Er hat alle Tiere mitgenommen und sich geweigert, den Kindern zu essen zu geben", erzählt Nalaram Lesarkapo. Sie ist eine der ersten Bewohnerinnen von Umoja Uaso gewesen. “Ich habe eine starke Frau getroffen und mir ihr bin ich hergekommen. Sie hat mir Kraft gegeben. So dass ich vergessen konnte, wo ich herkam."

Lesarkapo floh zusammen mit 14 anderen Frauen aus ihrem Dorf. Sie behaupteten von englischen Soldaten vergewaltigt worden zu sein. Wegen der mutmaßlichen Vergewaltigungen wurden sie aus ihren Häusern vertrieben. Andernfalls hätten ihre Ehemänner sie umgebracht, weil sie die Familie entehrt hätten. Und so taten sich die Frauen zusammen und gründeten Umoja.

Sie mussten Geld verdienen und begannen, den selbst gefertigten Perlenschmuck und Kunsthandwerk an der Straße zu verkaufen. Den Männern war das ein Dorn im Auge, immer wieder kamen sie, störten ihre Arbeit, stießen sie in die Büsche und riefen ihnen Schimpfworte nach, erinnert sich Lolosoli.

Bild: Janelle Dumalaon

Männer seien allerdings auch willkommen. Einige sind hier, um das Vieh zu hüten, andere übernehmen Aufgaben, die traditionell nicht von Frauen erledigt werden.

“Wir haben das Dorf nicht als Ort nur für Frauen gegründet. Das haben die Männer hier nur behauptet", sagt Lolosoli. “Das ist wie eine Beleidigung für sie.”

Und die Ablehnung von Seiten der Männer in den Nachbarorten ist nach wie vor groß.

"Verrat an der Gemeinschaft" 

“Immer, wenn Frauen in unserer Gesellschaft die Verantwortlichkeiten der Männer übernehmen, so wie es diese Frauen hier tun, werden sie zu Ausgestoßenen", erklärt Aleper Lomukunyu. Sie lebt in einem anderen Dorf, einen Kilometer entfernt von Umoja. “Jede Frau, die sich gegen unsere Kultur stellt, begeht Verrat an der Gemeinschaft."

Anfeindungen sind allerdings nicht das einzige Problem, mit dem sich Lolosoli und die Anderen auseinandersetzen müssen. Erst kürzlich sind drei der Frauen von Umoja an Malaria gestorben. Immer wieder tauchen Banditen auf und Viehdiebe, was nicht ungewöhnlich ist in Nord-Kenia. Einige Frauen haben das Dorf auch verlassen, um einen neuen Ort zu gründen.

Trotzdem ist das Dorf Umoja eine Art Anlaufstelle für hilfesuchende Frauen geworden. Im Laufe der Zeit haben Lolosoli und die anderen Frauen im Ort 28 Frauengruppen unterstützt, haben ihnen Frauenrechte erklärt und sie über Beschneidungen und Bildungsmöglichkeiten für Mädchen aufgeklärt. 

“Ich glaube, dass es dieses Dorf noch für lange Zeit geben wird. Frauen brauchen einen Ort, zu dem sie gehen können, wenn sie Probleme haben", sagt Lolosoli. "Wir kämpfen für die Rechte der Frauen. Das ist etwas, das ich tief in meinem Herzen trage."


Dieser Artikel wurde über das Innovation in Development Reporting Grant Programm des European Journalism Centre finanziert.

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