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Ein Dorf wehrt sich selbst

Michelle Faul13. Februar 2009

Was tun, wenn die Rebellen vor der Tür stehen, die Polizei geflohen ist und die Blauhelme nicht kommen wollen? Man gründet eine Bürgerwehr, nimmt allen Mut zusammen und verteidigt sich selbst.

Bild: picture-alliance/ dpa

Die Bewohner von Bangadi waren verzweifelt. Jeden Augenblick konnte ihr Ort im entlegenen Nordosten des Kongos von Rebellen der Widerstandsarmee des Herrn (LRA) überrannt werden. Die drei Polizisten des Dorfes waren bereits geflüchtet, und Hilferufe an die Streitkräfte und UN-Friedenstruppen blieben unbeanwortet. In ihrer Not griffen sie schließlich zur Selbsthilfe und bildeten eine Bürgerwehr. "Wir haben zwei Wochen lang praktisch jeden Tag um Hilfe gefleht, und nichts ist geschehen", sagte der Gemeindevorsteher Nicolas Akoyo Efudha. "Schließlich haben wir begriffen, dass wir alleine dastehen - schutzlos." Akoyo wollte sich damit nicht abfinden. Er rief die Dorfbewohner zusammen und forderte sie auf, alle Arten von Waffen mitzubringen, die sie bei sich zu Hause finden.

Ein Dorf greift zu den Waffen

Bild: AP

Das Ergebnis war beeindruckend: Die Leute brachten Gewehre, die noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg stammen, selbst gefertigte Schusswaffen, Lanzen, Schwerter, Macheten, Jagdmesser oder Bogen mit Giftpfeilen. Und Frauen kamen mit ihren Küchenmessern. Manuel Pamba, ein Agrarwissenschaftler, wurde zum Verteidigungsstrategen von Bangadi erhoben. Er entschied anhand von Berichten über den Vormarsch der Rebellen, wo Patrouillen hingeschickt, Straßensperren errichtet oder LRA-Kämpfer überfallen werden sollen. Den Bewohnern von Bangadi gelang es auf diese Art, zwei Angriffe der ugandischen Rebellen zurückzuschlagen, die seit Weihnachten mindestens 900 Menschen massakriert haben sollen. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen warf der UN-Friedenstruppe im Ostkongo kürzlich vor, die Zivilbevölkerung nicht vor Überfällen der Rebellen zu schützen. Dorfbewohner seien täglich Angriffen ausgesetzt, ohne dass die in der Region stationierten Blauhelme eingriffen.

Bedenken gegen Bürgerwehren

Ein UN-Soldat aus Paraquay der UN-Schutztruppe Monuc patroulliert durch KinshasaBild: picture-alliance/dpa

Der UN-Gesandte im Kongo, Alan Doss, wies die Kritik zurück und erklärte, Zivilpersonen könnten vor Rebellen nur schwer geschützt werden. Inzwischen sind hunderte Dörfer dem Beispiel Bangadis gefolgt und haben ebenfalls Bürgerwehren aufgestellt, wie Avril Benoit von Ärzte ohne Grenzen sagte. Die Organisation hat als einzige seit dem ersten Rebellenangriff im Oktober medizinisches Personal und Medikamente nach Bangadi geschickt. Helfer und Menschenrechtsaktivisten beobachten den Aufbau von Bürgerwehren wie in Bangadi jedoch mit Sorge. Sie befürchten, dass Selbstverteidigungsgruppen in einer Gegend, in der bereits Dutzende Milizen und Rebellenorganisationen aktiv sind, auf lange Sicht weitere Probleme schaffen werden. Die Bürgerwehren füllen derzeit im Kongo, das sich noch von den Folgen langjähriger Bürgerkriege erholt, ein Sicherheitsvakuum aus. Die regulären Streitkräfte, die aus verschiedenen Rebellengruppen und Truppen des gestürzten Diktators Mobutu Sese Seku zusammengewürfelt wurden, sind bislang nicht zu einer Einheit zusammengewachsen und haben wiederholt Niederlagen im Kampf gegen militante Gruppen erlitten. Und die 17.000 im Land stationierten UN-Friedenssoldaten sind angesichts der schwierigen Lage überfordert.

Die Haut vom Leib gezogen

Der Führer der Lord's Resistance Army (LRA), Joseph KonyBild: picture-alliance/ dpa

Die LRA-Rebellen führen seit mehr als 20 Jahren im Norden Ugandas einen Untergrundkrieg. Vor etwa fünf Jahren griff der Konflikt auch auf den Kongo über. Es waren vor allem Berichte über grausame Massaker, die die Bewohner Bangadis aufgeschreckt haben, wie der Gemeindevorsteher Akoyo sagte. So habe ein Überlebender eines solchen Massakers in einem anderen Dorf berichtet, dass die Rebellen ihre Opfer erschlagen oder ihnen mit Macheten die Kehlen durchgeschnitten hätten. Allerdings stehen auch die Bürgerwehren manchmal der Grausamkeit der Rebellen in nichts nach. Ein Bewohner Bangadis brüstete sich damit, dass sie einem der LRA-Kämpfer die Haut vom Leibe gezogen hätten. Auf die Frage, ob der Mann noch gelebt habe, blickte die Gruppe verlegen zur Seite. Die Leiche wurde später mitten auf der Hauptstraße verbrannt.