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Kommentar zu Amoklauf

Klaus Dahmann12. März 2009

Der Amoklauf von Winnenden am Mittwoch (11.3.) hat 16 Menschenleben gefordert. Und wieder einmal stellt sich die Frage: Wie hätte er verhindert werden können? Klaus Dahmann kommentiert.

Themenbild Kommentar Grafik SymbolbildBild: DW

Schock, Wut, Trauer - in diesem Gefühlsdreieck bewegen sich Direktbetroffene ebenso wie all jene, die die Nachricht vom Amoklauf in Winnenden vernommen haben. Die einen fordern schärfere Waffengesetze, andere schärfere Kontrollen, dass man die Schulen zu Hochsicherheitstrakten machen sollte; einige meinen, die Schüler müssten einfach besser durch Schulpsychologen betreut werden, wieder andere fordern erneut ein Verbot gewaltverherrlichender Video- und Computerspiele. Vieles wird bald wieder vergessen sein - was bleibt ist Fassungslosigkeit, dann Hilf- und Ratlosigkeit. Denn auf eine Frage lässt sich keine wirkliche Antwort finden: Wie kann man Amokläufe in Zukunft verhindern?

Schwierige Motivsuche

Vermutungen lassen sich höchstens über die dahinterliegende Frage anstellen: Was treibt einen Jugendlichen wie in Winnenden an, Amok zu laufen und 16 Menschen umzubringen? Nach allen Aussagen derjenigen, die ihn kannten, handelte es sich nämlich nicht um einen Jugendlichen, den man als offenkundigen Fall für die Psychiatrie abtun könnte. Auch stammte er aus einer Wohlstandsfamilie, er litt weder Hunger noch war er unheilbar krank. Welchen Grund mag er gehabt haben - oder die anderen jugendlichen Amokläufer von den USA über Finnland bis hin zu Deutschland? Und: warum passiert so etwas ausgerechnet in Wohlstandsgesellschaften, wo das Schulsystem - nennen wir hier besonders Finnland als Nummer eins der PISA-Studien - vorbildlich scheint?

Klaus Dahmann, Bonn

Mit abstraktem "Weltschmerz" kann man es wohl nicht abtun. Pubertäre Probleme - etwa ein Hass auf Mädchen, wie in Winnenden gemutmaßt - mögen zwar eine Rolle spielen, reichen aber bei weitem nicht aus, um einen solchen Amoklauf zu erklären. Auch die Gelegenheit - er entwendete die Waffe aus dem Arsenal seines Vaters - macht aus einem Jugendlichen noch keinen Mörder. Was ist es dann?

Es hat offenbar mit einem psychischen Druck zu tun, der besonders in Wohlstandsgesellschaften aufgebaut wird. Talk- und Castingshows, besonders Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar", vermitteln das Gefühl, dass das Erstrebenswerteste der Schritt aus der scheinbaren Anonymität ist: Es einmal im Leben auf die Titelblätter rund um den Globus zu schaffen! - das war schon der Wunsch der Attentäter von der Columbine High School (USA) 1999.

Columbine als Vorbild

Punkt Nummer zwei: Columbine dient als Vorbild - so war es beispielsweise beim Amokläufer in Erfurt, erwiesenermaßen. Nicht durch Zeitungen, das Radio oder Fernsehen, wohlgemerkt, sondern durch das Wohlstandsmedium Internet. Hier ist ein unkontrolliertes, ja unkontrollierbares Forum - vor allem für Gutbetuchte - herangewachsen, in dem nicht nur intellektuell mehr oder weniger anspruchsvolle sondern auch harmlos verquere und sogar tödlich menschenverachtende Ideen gedeihen. Durch Blogger - auch das zeigt Winnenden - haben die herkömmlichen Medien die alleinige Informationshoheit verloren: Im Internet waren Weblogs nicht nur schneller abrufbar sondern auch teilweise falsch. Die spätere Interpretation des Amoklaufs von Winnenden durch die Blogger-Gemeinde wird so ebenfalls die Fakten, wie sie über die Medien verbreitet werden, in den Schatten stellen. Hier wird vermeintlich Demokratie geübt - jeder findet im großen Angebot der Interpretationen das, was ihm am ehesten zusagt. Auch wenn es noch so zynisch und menschenverachtend sein mag. Und auch wenn es zu weiteren Amokläufen animiert.

Auf psychisch labile Menschen - und zu denen zählen nicht nur jugendliche Amokläufer sondern viele Jugendliche - kann sich all das ebenso verheerend auswirken wie Video- und Computerspiele oder andere Faktoren. Das Gemisch, das so entsteht, bildet ein Pulverfass.

Hier ist mehr Moral und mehr Erziehung zur Moral gefragt. Moral im Umgang miteinander, im Umgang mit den Medien. Moral, die vor allem in Teilen der Welt verloren zu gehen droht, die sie sich eigentlich leisten könnten. Offenbar auch in Deutschland.

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