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Politik

"Ein Friedensvertrag müsste durch UN legitimiert werden"

Hans Spross
20. April 2018

Südkorea will den Waffenstillstand auf der koreanischen Halbinsel durch einen Friedensvertrag ablösen. Klingt verlockend, hat aber Haken, wie der Politikwissenschaftler Sebastian Harnisch im DW-Gespräch erläutert.

Olympia 2018 in Pyeongchang: Waffenstillstand-Wandbild als Symbol für Frieden und Versöhnung enthüllt
Kunstwerk für Frieden und Versöhnung von der Olympiade im südkoreanischen Pyeongchang 2018Bild: picture-alliance/dpa/TASS/S. Bobylev

Deutsche Welle: Südkorea ist mit der Initiative zum Abschluss eines Friedensvertrags vorgeprescht. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?

Sebastian Harnisch: Präsident Moon will beim Gipfel nächste Woche ein politisches Zeichen setzen. Aus völkerrechtlicher Sicht können die beiden koreanischen Staaten alleine den Kriegszustand und die Waffenstillstandsvereinbarung durch eine bilaterale Erklärung aber nicht verändern.

Warum ist das so?

Es gab lange Zeit zwei widerstreitende Positionen über den Koreakrieg: Handelte es sich um einen internationalen Einsatz der Staatengemeinschaft gegen einen Aggressor? Oder: War er ein Bürgerkrieg zwischen Südkorea und Nordkorea? Wenn Sie glauben, dass es ein Bürgerkrieg zwischen Süd- und Nordkorea war, dann gibt es nur zwei Konfliktparteien und dann könnten diese den Konflikt auch allein beenden.

Da aber die überwiegende Mehrheit der Weltgemeinschaft daran festhält, dass es sich um eine internationale Strafaktion gegen einen Aggressor handelte, der durch chinesische Freiwilligenverbände und die Sowjets unterstützt wurde, wird Südkorea, das diese zweite völkerrechtliche Lesart teilt, nicht unilateral mit den Nordkoreanern und ohne die Völkergemeinschaft Frieden schließen können oder wollen. Trotzdem wird sicher um eine Formulierung gerungen werden, die politisch so wirksam ist, dass Südkoreas Präsident Moon Jae In innenpolitisch davon profitieren kann, und natürlich auch ein Zeichen setzen kann für den Gipfel zwischen Trump und Kim. Aber völkerrechtlich betrachtet, kann er weder einen Friedensvertrag schließen noch das Ende der Kampfhandlungen erklären.

Der Friedensvertrag soll den weiterhin geltenden Waffenstillstand auf der koreanischen Halbinsel ablösen. Wie ist diese Idee völkerrechtlich einzuordnen? Und vor allem: Wer könnte oder müsste einen solchen Vertrag unterschreiben?

Sebastian Harnisch, Institut für Politische Wissenschaft, Universität HeidelbergBild: Institut für Politische Wissenschaft, Universität Heidelberg

Zur Erinnerung: Der Waffenstillstand von 1953 wurde nur von einem nordkoreanischen Offizier, einem chinesischen Offizier, der die  sogenannten chinesischen Freiwilligenverbände vertrat, und von einem US-Offizier, dem Kommandeur der von den UN legitimierten internationalen Streitkräften, unterzeichnet. Südkorea war direkt nicht vertreten. Dennoch ist es die heute herrschende Meinung, dass beide koreanischen Staaten einem Friedensvertrag zustimmen müssten. Unter anderem, weil Nordkorea seine völkerrechtliche Auffassungen darüber, ob sie mit den Südkoreanern überhaupt darüber sprechen, ganz offensichtlich in den letzten zwölf Monaten verändert hat. Die Nordkoreaner haben lange Zeit gesagt, wenn wir verhandeln, verhandeln wir nur mit den USA. Diesen Standpunkt gibt es ganz offensichtlich nicht mehr.  

Sicherlich werden auch die USA und die Volksrepublik China Teil einer Friedenslösung sein müssen, weil sie ja auch Teil des Waffenstillstands sind. Die chinesische Haltung, wonach nur Freiwilligenverbände auf ihrer Seite im Koreakrieg gekämpft hätten, haben sie schon lange aufgegeben. Sie war ohnehin schlüssig. Und dann bleibt noch die Frage, wie die restlichen 19 Staaten, die damals auf Seiten Südkoreas kämpften, eingebunden sein sollten. Sie hatten damals die Waffenstillstandsverhandlungen an die USA delegiert.  

Was ist die Rolle der internationalen Gemeinschaft bei einer Friedensvertragslösung?

Sowohl aus der Formulierung der Resolution von 1950 (nach dem Einmarsch der nordkoreanischen Volksarmee nach Südkorea) als auch aus der Tatsache, dass die Vereinten Nationen damals keinen UN-Militärausschuss gebildet haben, lässt sich ableiten, dass diese Militärintervention keine reine UN-Operation war, sondern eine von den Vereinten Nationen legitimierte Operation einer Koalition von Staaten.

Unter anderem, um die Koalitionäre von damals zu repräsentieren, aber auch aus anderen Gründen, müsste ein Friedensvertrag meines Erachtens durch eine UN-Resolution legitimiert werden, mit potentiell weitreichenden Folgen. Denn der Sicherheitsrat wird ziemlich sicher darauf dringen, dass in dieser Resolution die Regeln, die sich die Vertragsparteien im Friedensvertrag selbst auferlegen, auch von allen anderen UN-Mitgliedstaaten eingehalten werden, was sich beispielsweise auf deren Rüstungsexporte auswirken könnte.

Wäre die Waffenstillstandsvereinbarung durch einen Friedensvertrag obsolet?

Technisch schon, praktisch sicher nicht sofort. Die Waffenstillstandsvereinbarung hat ja eine ganze Reihe von Regeln getroffen, um die militärische Stabilität an der Grenze zu gewährleisten, wie zum Beispiel die Sicherheitszone. Ich glaube nicht, dass die Minenfelder und andere Grenzsicherungsmaßnahmen sofort abgebaut werden. Dafür wird es dann eine Regelung geben, wie damit zu verfahren ist.

Welche Rolle spielt China?

Eine Sache, die in China im Augenblick diskutiert wird, ist, ob die Chinesen die Handelsfragen mit den USA mit der Kooperation in der Korea-Frage verbinden sollten. Ich glaube, dass das eine Extremposition ist, die sich nicht durchsetzen wird. Vielleicht spielen sie es verdeckt, ohne dass es an die Öffentlichkeit gelangt. Ich tendiere dazu, dass sie das nicht verbinden werden. Unter anderem, weil China in dieser Frage seine Prioritäten auf die Sicherung seiner Grenze und die Stabilität Nordkoreas legt. Außerdem ist China lange Zeit ausgeschlossen gewesen von den Entscheidungen in Pjöngjang. Mit Kim Jong Uns Peking-Reise vor drei Wochen hat Tauwetter eingesetzt. Ich glaube nicht, dass die Chinesen diesen wiedergewonnenen Einfluss sofort wieder aufs Spiel setzen.

Trump hat einer vorläufigen innerkoreanischen Verständigung über einen Friedensvertrag schon seinen Segen gegeben, auch wenn eine solche völkerrechtlich noch nicht bindend wäre, wie Sie ausgeführt haben. Wie sehen Sie die Rolle der USA für das Zustandekommen oder Nicht-Zustandekommen eines gültigen Vertrages?  

Die USA werden nie einem Friedensvertrag zustimmen, solange Nordkorea die Fähigkeit zum Abschuss von Interkontinentalwaffen hat.

Wie könnte der Weg freigemacht werden?

Zwischen den beiden Gipfeln (Kim und Moon sowie Kim und Trump) könnte es gegenseitige Zusagen über die Beschränkung der aggressiven Haltung auf beiden Seiten geben. Zum Beispiel könnten die Südkoreaner sagen, wir können für den Verlauf der Verhandlungen auf alle Militärmanöver zwischen Südkorea und den USA verzichten. Eine alte nordkoreanische Forderung. Dafür erhalten sie dann das nordkoreanische Versprechen, auf Raketentests einer bestimmten Reichweite oder sogar alle Raketentests, möglicherweise sogar aller nuklearen Tests zu verzichten.

Und das wiederum könnte dem amerikanischen Präsident ermöglichen zu sagen: Okay, wenn es so ist, dann können wir uns vorstellen, im Vorfeld einer friedensvertraglichen Regelungen von den 28.500 US-Soldaten in Südkorea 6000 abzuziehen. Und wenn die USA auf 22.500 reduziert haben, dann machen die Nordkoreaner den nächsten Schritt und sagen: Jetzt lassen wir Inspekteure der IAEA zu, die eine Erklärung unseres bisherigen Nuklearwaffen-Potenzialen verifizieren. Das heißt, die sehen nur, was wir haben, wir schaffen aber noch nichts ab und so weiter.

Aber die USA werden sich nicht auf einen Friedensvertrag einlassen, nur weil die Nordkoreaner sagen, wir bauen keine Langstreckenraketen mehr. Die USA werden darauf bestehen, dass Nordkorea seine gesamten Nuklearwaffen abschafft und die Produktionsstätten in einen Zustand bringt, dass sie entweder keine Waffen mehr produzieren können, oder dass Waffenproduktion durch Inspektionen ausgeschlossen ist. Das könnte so ähnlich aussehen wie das Genfer Abkommen für Korea vom Oktober 1994. Es gibt verschiedene Modelle, wie man das machen kann.

Aber Kim Jong Un braucht doch die Atomwaffe wie Sauerstoff zum Überleben, heißt es immer.

Immerhin haben sein Großvater und teilweise auch der Vater, Kim Il Sung und Kim Jong Il, Suspendierungen und Einschränkungen des Nuklearprogramms zugelassen, die Vorbild sein könnten für eine große Wende unter Kim Jong Un. Also es gibt Vorbilder, es gibt Möglichkeiten, obwohl Kim Jong Un das rhetorisch ausgeschlossen hat. Man muss sagen, dass das Regime erstmalig so selbstbewusst ist, dass es unerhörte Schritte unternimmt. Kims Schwester war bei den Olympischen Spielen. Er trifft sich demnächst mit dem amerikanischen Präsidenten. Er fährt unangekündigt nach China. Er wird womöglich nächste Woche nicht mit einem gepanzerten Fahrzeug, sondern zu Fuß über die Grenze zwischen Nord und Südkorea gehen. Das sind alles Anzeichen dafür, dass das Regime, insbesondere auch Kim Jong Un selbst, so selbstbewusst ist, dass ich es schon für möglich halte, dass er sehr weitgehende Zusagen machen kann, die in der Zukunft liegen.

Ob er die dann einhält, das ist sehr fraglich. Kim glaubt offenbar, dass er die Weltpolitik so gestalten kann, wie er das möchte. Darin hat er in Trump möglicherweise einen passenden Gegenspieler. Und wenn das eine Dynamik ergibt, die von den jeweiligen Fachleuten und Südkorea in Schach gehalten werden und in vernünftige Bahnen gelenkt werden kann, dann könnte daraus tatsächlich etwas erwachsen. Im Augenblick glaube ich daran aber noch nicht. Dass glaube ich erst, wenn internationale Inspektoren die Verschrottung von Waffen bestätigen.

Sebastian Harnisch ist Professor für Internationale Beziehungen und Außenpolitik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Das Interview führte Hans Spross.