Kunstsammler und deren Erben aus der ehemaligen DDR stoßen auf ähnliche Probleme wie jüdische Familien, deren Verwandte von den Nazis beraubt wurden - das Raubkunstgesetz ist wieder auf der politischen Agenda.
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Im Februar 2014 hatte die bayerische Landesregierung dem Bundesrat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Verjährungsfristen für NS-Raubkunst aufhebt - bisher erlischt der Anspruch auf Rückgabe nach 30 Jahren. Juristen sind jedoch skeptisch: Sie sagen, es sei verfassungswidrig, die Verjährungsfrist außer Kraft zu setzen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte die bayerische Initiative schon damals begrüßt und prüfe nun den Entwurf erneut mit dem neu gegründeten Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste (DZK). Das erklärte der Amstchef ihres Hauses, Günter Winands, am Donnerstag (29.01.) auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Raubkunst im Arp Museum bei Bonn. Er ist überzeugt, "dass eine Aufhebung der Verjährung in Deutschland möglich ist". Auch die Frage nach dem Umgang mit Enteignungen in der DDR sollen unter Umständen in ein solches Raubkunstgesetz mit einbezogen werden.
Auch DDR-Geschichte wird aufgearbeitet
Ähnlich wie die Nazis verkaufte auch die Stasi Kunstwerke gegen Devisen in den Westen, die sie zuvor privaten Kunstsammlern widerrechtlich entzogen hatte. Wo die Bilder heute sind und wem sie einst gehörten, ist auch hier sehr schwer nachzuvollziehen."Das Thema wurde lange ignoriert. 25 Jahre nach dem Mauerfall ist es an der Zeit, auch dieses Kapitel aufzuarbeiten", sagte die Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, Isabel Pfeiffer-Poensgen, der Neuen Zürcher Zeitung. Ein Bericht zu den Recherchen soll spätestens Mitte 2015 vorliegen.
Museen wollen kein Raubkunstgesetz
"Wir wollen kein Raubkunstgesetz", sagte dagegen Alexander Klar, der als Direktor des Museums in Wiesbaden stellvertretend für die deutschen Museen auf der Veranstaltung im Arp Museum sprach. Es habe viel mehr Symbolkraft, "wenn wir das freiwillig machen". Sein Museum gehört in Deutschland zu den Vorreitern und macht seit 2008 Provenienzforschung. "Von 200 raubkunstverdächtigen Werken haben wir jetzt die Hälfte abgearbeitet und konnten bis heute sieben restituieren", so Klar. Die ungeklärten Fälle seien auf LostArt eingestellt. "Hinter all diesen Fällen verbirgt sich der Tod, und es ist das Mindeste diese Kunst zurückzugeben."
Die Geschichte eines Kunstkrimis
Der Fall Gurlitt bleibt aufregend, spannend und zwielichtig. Im November 2013 erfuhr die Welt zum ersten Mal von einem gewissen Cornelius Gurlitt und einem Kunstschatz in München. Ein Kunstkrimi mit brisanten Folgen.
Bild: picture-alliance/dpa
Ein alter Mann und sein Kunstschatz
Im September 2010 kontrollieren Zollbeamte einen älteren Herren im Zug von Zürich nach München. Sein Name: Cornelius Gurlitt. Er trägt auffallend viel Bargeld bei sich. Nicht verboten, aber verdächtig: Die Grenzer geben seine Daten an die Steuerfahndung weiter. 2011 folgt ein Durchsuchungsbeschluss für seine Münchener Wohnung. Die Fahnder machen einen erstaunlichen Fund.
Bild: babiradpicture
Nazi-Schatz inmitten von Gerümpel
In seiner Münchner Wohnung entdecken die Zollfahnder zwischen Müll und abgelaufenen Konservendosen einen unfassbaren Kunstschatz: Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs als verschollen gelten. Doch die Geschichte dieser kostbaren Kunst ist mit viel Leid und Unrecht verbunden.
Bild: picture-alliance/dpa
Raubkunst-Skandal des Jahrhunderts
Die Werke stehen im Verdacht NS-Raubkunst zu sein. Es sind Gemälde von Pablo Picasso, Henri Matisse, Marc Chagall, Paul Klee, Max Liebermann (wie im Bild: "Zwei Reiter am Strand") und anderen Meistern der Klassischen Moderne. Vermutlich wurden sie von den Nazis als "entartet" beschlagnahmt oder jüdischen Sammlern geraubt. Der Name Gurlitt ist in Kunstkreisen kein unbeschriebenes Blatt.
Bild: gemeinfrei
Beschlagnahmt, geraubt, verkauft...
Sein Vater, Hildebrand Gurlitt, handelte unter Adolf Hitler mit "entarteter Kunst" und kaufte für das geplante Führermuseum in Linz ein. Kunstwerke, die in Museen beschlagnahmt oder jüdischen Eigentümern abgepresst wurden, verkaufte der Kunsthändler ins Ausland. Nach dem Krieg gibt er an, seine private Kunstsammlung und seine Geschäftsunterlagen seien im Feuersturm von Dresden verbrannt.
Bild: picture-alliance/dpa
Aus dem Leben eines Löwenbändigers
2011 verkauft sein Sohn Cornelius Gurlitt Max Beckmanns "Löwenbändiger": Auf der Rückseite des Bildes klebt ein Etikett der Galerie Flechtheim mit der Jahreszahl 1931 - ein Alarmsignal. Denn der jüdische Kunsthändler floh 1933 aus Deutschland und ließ zahlreiche Kunstwerke zurück. Hätte die Kunstwelt hier schon stutzig werden müssen? Das Bild wird für 864.000 Euro versteigert.
Bild: Reuters
Besitzer, bitte melden!
Im November 2013 erfährt die Öffentlichkeit vom sogenannten "Schwabinger Kunstfund". Schon seit 2011 ist die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann (im Bild rechts) damit beauftragt, die Herkunft der Gemälde zu ermitteln. Wem gehören die Bilder? Es ist kompliziert - juristisch, moralisch und kunsthistorisch.
Bild: Reuters
Wem gehören die Bilder?
Provenienzforscher wie Meike Hoffmann recherchieren die Herkunft und Geschichte eines Bildes. Hinweise können Etiketten auf der Rückseite eines Werks geben oder auch Geschäftsunterlagen von Händlern und Auktionshäusern. Cornelius Gurlitt hat die Bilder von seinem Vater geerbt. Doch Nachfahren jüdischer Familien und Anwälte fordern die Rückgabe der Bilder.
Bild: picture-alliance/dpa
Lex Gurlitt im Bundesrat
Nach deutschem Recht ist der Fall Gurlitt klar: Nach 30 Jahren sind alle Ansprüche der Eigentümer auf Herausgabe der Kunstwerke erloschen und damit der Raub seitens der Nazis verjährt. Das bayerische Justizministerium legt einen Gesetzentwurf vor, der die Verjährungsfrist aufheben soll, wenn Personen wissentlich im Besitz von Raubkunst sind - der Entwurf wird nach wie vor noch geprüft.
Bild: picture-alliance/dpa
Tonnenschwerer politischer Druck
Die Bundesregierung und die bayerische Staatsregierung setzen eine Taskforce für den "Fall Gurlitt " ein und versprechen Aufklärung. Passiert ist bislang wenig: Nur wenige einzelne Bilder konnten als Raubkunst identifiziert werden. Die Experten unter der Leitung von Ingeborg Berggreen-Merkel recherchieren bis heute die Herkunft der Bilder. Dabei ist Eile geboten, denn die Erben sind alt.
Bild: DW/H. Mund
"Ich will mein Erbe zurück!"
Der 88-jährige New Yorker David Toren verklagt Deutschland und Bayern. Er will das Bild "Zwei Reiter am Strand" aus dem Gurlitt-Fund zurück. Es gehörte einst seinem Großonkel David Friedmann, der 1942 von den Nazis umgebracht wurde. Vor allem die Nachkommen jener jüdischen Sammler, die von den Nationalsozialisten enteignet wurden, irritiert das juristische Durcheinander.
Bild: DW/S. Czimmek
Teil zwei im Kunstkrimi Gurlitt
Dieses Mal kommt die Sensationsmeldung aus Österreich. Im verlassen wirkenden Haus der Familie Gurlitt in Salzburg stellen die Anwälte von Cornelius Gurlitt Gemälde von Monet, Manet, Corot, Courbet und Renoir sicher. Sein Sprecher sagt, es handele sich um Privateigentum. Doch auch über diesen Fund breitet sich der dunkle Verdacht, es könnte sich um NS-Raubkunst handeln.
Bild: picture-alliance/dpa
Gurlitt will Raubkunst zurückgeben
Nach monatelangen Untersuchungen schließt Cornelius Gurlitt mit der Bundesregierung eine Vereinbarung. Er erklärt sich dazu bereit, alle unter Raubkunstverdacht stehenden Bilder freiwillig auf ihre Herkunft untersuchen zu lassen, im Gegenzug erhält er die 2012 beschlagnahmten Bilder zurück. Am 6. Mai 2014 stirbt Cornelius Gurlitt im Alter von 81 Jahren in München. Der Kunstkrimi geht aber weiter.
Bild: picture-alliance/dpa/Martin Gerten
Der Kunstschatz soll in die Schweiz
Überraschend vermacht Cornelius Gurlitt seinen Kunstschatz dem Kunstmuseum Bern. In seinem Testament hält er fest, dass seine Sammlung in die Schweiz gehen soll. In ein Land und in eine Region, an die er gute Erinnerungen habe. Die Bundesregierung und die Taskforce begrüßen seinen letzten Willen, aber ein Teil der Familie Gurlitt fühlt sich übergangen.
Bild: Kunstmuseum Bern
Ist Gurlitts Testament gültig?
Kurz vor der Entscheidung des Berner Museums, das Erbe von Cornelius Gurlitt anzutreten oder nicht, taucht ein Gutachten auf, das Zweifel am Testament schürt. Seine Cousine Uta Werner erhebt Anspruch auf den Kunstschatz. Schon Tage vor der offiziellen Pressekonferenz des Kunstmuseums am 24.11. spekuliert die Presse: Bern wird das Erbe annehmen. Ist Gurlitts Wille damit erfüllt? Fortsetzung folgt.
Bild: alexskopje/Fotolia.com
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Geschichte soll sich nicht wiederholen
Was aber passiert, wenn sich niemand meldet und ungeklärt bleibt, wem das Kunstwerk heute gehört, fragt jemand aus dem Publikum. Werden die Bilder mit den ungeklärten Provenienzen dann wie einst in den 60er Jahren gewinnbringend verkauft? "Diesen Fehler wollen wir in keinem Fall noch einmal machen", so Winands deutlich. Es sei wichtig, die Geschichte der Bilder zu erzählen. Welche Schicksale hinter den Kunstwerken stecken und wie der NS-Staat sie von ihren Eigentümern abgepresst habe – genau das zeigt aktuell das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg in einer Ausstellung. Auch mit den ungeklärten Provenienzen aus der Sammlung Gurlitt soll in Zukunft nach diesem Vorbild umgegangen werden.
Die meisten Bilder der Sammlung Gurlitt kommen aus Frankreich
"Im Fall Gurlitt haben wir zehn Anspruchsteller und in drei Fällen konnten wir die Provenienzen eindeutig zuordnen", erklärt Günter Winands und gibt damit einen kleinen Einblick in die Arbeit der sonst so von der Öffentlichkeit abgeschotteten Taskforce. Auf der Suche nach Erben prüfe das Team um Ingeborg Berggreen derzeit die Geschäftsbücher von Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand. Doch das sei keine leichte Aufgabe, denn "die Bücher sind nicht komplett und mit Sicherheit auch frisiert, weil der einstige Kunsthändler Hitlers den Raub verschleiern wollte", so Winands. Viele der knapp 500 unter Raubkunstverdacht stehenden Bilder kommen wohl aus Frankreich. Ein Teil der Sammlung sei ein ganzes Konvolut und einem früheren Sammler aus der Zeit klar zuzuordnen, lässt Winands im Gespräch mit der DW durchblicken. Wahrscheinlich handelt es sich hier um den Salzburger Fund, der nach Angaben Winands längst in München ist und von der Taskforce unter die Lupe genommen wird.
Der Fall Gurlitt steht in Deutschland mittlerweile exemplarisch für NS-Raubkunst und die Versäumnisse in der Vergangenheit. Er ist kompliziert. Denn juristisch ist der Fall verjährt und Cornelius Gurlitt war zudem noch ein privater Sammler, der sich nicht an das Abkommen von Washington aus dem Jahr 1998 halten und Raubkunst zurückzugeben musste. Die Politik hat hier jedoch gelernt. Es soll künftig eine Sorgfaltspflicht für Museen, Auktionshäuser, private Sammler und Einrichtungen geben, erklärte Winands bei der Podiumsdiskussion im Arp Museum. Private Sammler und privat getragene Einrichtungen würden in Zukunft durch das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste finanziell bei der Provenienzforschung unterstützt, "wenn sie sich den Washingtoner Prinzipien verpflichten".
Kunstmuseum Bern plant Ausstellung mit Gurlitt-Sammlung
Auch wenn ein Museum wie das in Wiesbaden seit über sechs Jahren die Provenienzen in seinem Haus recherchiert, ist der Amtschef des Staatsministeriums für Kultur und Medien überzeugt: "Die Taskforce wird Ende 2015 ihr Ziel erreicht und die Provenienzen der Gurlitt-Sammlung geklärt haben".
Weiter ist Winands sicher, dass die Sammlung nach ein wenig "juristischem Geplänkel" in die Schweiz gehen wird. Nachdem die Bundesregierung und das Land Bayern mit dem Berner Kunstmuseum eine Vereinbarung über die Gurlitt-Sammlung geschlossen hatten, beantragte eine Cousine des verstorbenen Kunsthändlersohns überraschend einen Erbschein. Sie geht davon aus, dass Cornelius Gurlitt testierfähig war. Nach wie vor ist nicht geklärt, wer nun der Erbe der millionenschweren Sammlung ist. Doch das Kunstmuseum Bern lässt sich nicht beirren und plant schon eine Ausstellung mit der Sammlung. Im März könnte es Neuigkeiten im Fall Gurlitt geben, denn dann will der Direktor des Berner Kunstmuseums vor die Presse treten.