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Politik

Gefährder reist trotz Fußfessel aus

17. November 2017

Ein als gefährlich eingestufter, elektronisch überwachter Islamist ist als ganz normaler Passagier von Hamburg nach Athen geflogen. Deutsche Behörden scheinen froh, ihn los zu sein.

Bad Vilbel Überwachungszentrale elektronische Fußfessel
Bild: picture-alliance/dpa/S. Prautsch

Ein als besonders gefährlich eingestufter Islamist mit elektronischer Fußfessel besteigt in aller Seelenruhe in Hamburg eine Linienmaschine und fliegt nach Athen und von dort weiter in die Türkei. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" und des Bayerischen Rundfunks hatte der Syrer Hussein Z. sogar den Behörden seine Ausreise angekündigt; er habe Kontakt zu seinem kranken Sohn im syrisch-türkischen Grenzgebiet aufnehmen wollen.

Dafür spricht, dass - wie der "Spiegel" schreibt - die zuständige Polizei in Würzburg keine Ausreiseverhinderungsgründe für den Mann gesehen hat. Andererseits fiel offenbar der gemeinsamen Überwachungsstelle von Bund und Ländern (GÜL) Z.s Ausreise erst auf, als sie kein Signal mehr von ihm empfingen. Das war während des Fluges. Mit der Landung in Athen fing man in Deutschland wieder Signale auf und konnte den Mann orten. Für die deutschen Behörden endete aber damit aus rechtlichen Gründen die Überwachung, weil sie im Ausland nicht erlaubt ist. Sie stellten das Signal ab.

Polizei: "Eine Fußfessel stellt grundsätzlich keine Gefahr für den Luftverkehr dar."Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Der Bayrische Rundfunk (BR) will wissen, dass die Fußfessel bei der Sicherheitskontrolle mehrmals gepiepst habe. Hussein Z. habe die Kontrolle aber passieren können. Die Bundespolizei habe in dem Flug kein Problem gesehen: "Eine Fußfessel stellt grundsätzlich keine Gefahr für den Luftverkehr dar. Hingegen durfte die Person nach dem Recht der Europäischen Union nicht grenzpolizeilich kontrolliert werden, da nur eine EU-Binnengrenze überschritten wurde." Mit anderen Worten, obwohl die Behörden den Mann als hochgefährlich einschätzten, durfte er in der Maschine mitfliegen wie jeder andere Passagier auch.

Z. war "aggressiv gegenüber Mitbewohnern"

Der 35-jährige Syrer war 2015 nach Deutschland gekommen und auch als Flüchtling anerkannt worden. In der Flüchtlingsunterkunft bei Aschaffenburg war er dann aggressiv zu Mitbewohnern. In einer Stellungnahme des Polizeipräsidiums Unterfranken an die Deutsche Welle heißt es, Hussein Z. sei "mehrfach durch aggressives Verhalten und Übergriffe gegen seine Mitbewohner sowie durch verschiedene Drohungen auffällig geworden." Es sei zunächst ein "längerfristiger Gewahrsam" angeordnet worden, der am 4. Oktober beendet war.

Weiter heißt es: "Im Zuge der anschließenden Überwachungsmaßnahmen zeigte der syrische Flüchtling deutliche Anzeichen für eine psychische Stabilisierung, die sich durch eine von ihm erbetene Familienzusammenführung mit Mutter und Schwester in Hamburg weiter verfestigte." Teil der polizeilichen Anschlußmaßnahmen sei die Fußfessel gewesen. Voraussetzung einer Fußfessel sei nicht eine "konkrete Gefahr", ausreichend sei bereits eine "drohende Gefahr", schreibt das Polizeipräsidium.

So funktioniert die elektronische Fußfessel

Doch welchen Sinn hat eine elektronische Fußfessel, wenn es so leicht ist, sich der mit ihr bezweckten Kontrolle zu entziehen? Die Aufgabe ist überschaubar: Von den mehr als 700 Gefährdern in Deutschland tragen ganze zwei Fußfesseln, nach Z.s Ausreise nur noch einer. Für beide zuständig: die bayerische Polizei.

Kein Patentrezept

Lange wurden vor allem Sexualstraftätern elektronische Fußfesseln angelegt. Das Gerät sendet ständig ein Signal aus, mit dem eine Basisstation die Person orten kann. Erst seit diesem Sommer ist dies auch bei Gefährdern möglich. Die einzelnen Länder müssen dieses Mittel aber durch jeweils eigene Gesetze für ihre Polizei möglich machen. Bayern verabschiedete die notwendige Gesetzesänderung im Sommer. Baden-Württemberg folgte jetzt, auch Sachsen-Anhalt zieht nun ebenfalls nach. Aber in den meisten Bundesländern ist das noch nicht möglich.

Ein Fußfesselträger wird geortet und betritt eine für ihn verbotene ZoneBild: picture-alliance/dpa/S. Prautsch

Der Präsident des Bundeskriminalamtes Holger Münch fordert deshalb: "Es braucht dringend eine Vereinheitlichung der rechtlichen Voraussetzungen für die Überwachung von sogenannten Gefährdern." Es könne nicht sein, dass sich jemand durch einen bloßen Umzug von einem Bundesland ins andere der Überwachung entziehe.

Oliver Malchow, Chef der Gewerkschaft der Polizei, hatte sich gegenüber der Deutschen Welle bereits vor einigen Wochen skeptisch zur Fußfessel bei Gefährdern gezeigt: Der Überwachungsaufwand sei groß, nur um Gefährder orten zu können, aber "eine Fußfessel hilft nicht herauszufinden, was sie dort tun und wen sie treffen".

Z. darf nicht wieder einreisen

Der Fall des Hussein Z. scheint jedoch ein besonderer zu sein. Wenn die Bundespolizei über den Vorfall informiert war, wie eine Pressesprecherin gegenüber der Deutschen Presseagentur sagte, wenn der Generalbundesanwalt den Medienberichten zufolge gegen den Mann wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelte und deutsche Behörden trotz Fußfessel nichts gegen seine Ausreise unternahmen, lässt das nur den Schluss zu, dass man froh ist, Hussein Z. los zu sein.

So sagte ein Sprecher des bayrischen Innenministeriums denn auch unumwunden am Freitag: "Ein Gefährder, der freiwillig ausreist, ist für die Sicherheitslage in Deutschland immer ein Gewinn." Gegenüber der DW fügte Sprecher Michael Siefener hinzu: "Dem Gefährder wurde zwischenzeitlich der Flüchtlingsstatus aberkannt und die Wiedereinreise untersagt. Er ist im Schengenraum zur Festnahme mit dem Ziel der Abschiebung und zur Einreiseverweigerung an der Grenze ausgeschrieben."

Die Polizei in Unterfranken teilte dem BR mit, es finde ein "internationaler Informationsaustausch" statt. Der Bayerische Rundfunk mutmaßt, Ziel der Aktion sei wohl auch, die verlorene Fußfessel zurück zu bekommen, die sich jetzt wahrscheinlich irgendwo im Nahen Osten befindet.

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