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Politik

Türkei: Ein Jahr nach dem Referendum

İrfan Bozan
16. April 2018

Nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum vor einem Jahr will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei den Wahlen 2019 einen ähnlichen Erfolg haben. Seine Verfassungsänderungen machen es möglich.

Recep Tayyip Erdogan
Recep Tayyip ErdoganBild: picture-alliance/AA/Turkish Presidency

Seit 2002 ist Recep Tayyip Erdogan in der Türkei an der Macht. Vor genau einem Jahr jedoch, am 16. April 2017, erzielte er einen Sieg, der seine Macht konsolidierte. Bei dem Verfassungsreferendum haben 51,2 Prozent Wähler befürwortet, dass die Türkei ab 2019 vom parlamentarischen zum präsidentiellen System übergeht. Das bedeutete auch, dass sämtliche Befugnisse der Exekutive dem Präsidenten übertragen werden und das Parlament in seiner Funktion geschwächt wird.

Erdogans größter Unterstützer dabei war die ultra-nationalistische Partei MHP mit ihren 36 Abgeordneten im Parlament. So öffnete ihr Vorsitzender, Devlet Bahceli, erst die Tür für das Referendum und rief dann seine Wähler dazu auf, für eine Verfassungsänderung zu stimmen.

Konservative Allianz in der politischen Arena

Kemal Can ist Journalist der Tageszeitung Cumhuriyet und Experte des rechten politischen Spektrums in der Türkei. Seiner Einschätzung nach hat Erdogan das Referendum nicht so klar für sich entscheiden können wie erhofft. Daher richten sich seine ganze Energie, die Innen- und Außenpolitik, die Wirtschaft und seine Haltung gegenüber der Opposition auf die Wahlen 2019.

Für Erdogan ist es dabei wichtig, mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich zu vereinigen. Dafür braucht er jede Unterstützung. Deswegen ist seit einiger Zeit das Hauptgesprächsthema zwischen Erdogan und MHP-Chef Bahceli die sogenannte "Volksallianz". Beide Parteien haben vor, für die Wahlen ihre Kräfte zu bündeln.

In der Folge des Referendums machten sich die Bündnisparteien AKP und MHP daran, diejenigen Artikel aufzuheben, die einer Zusammenarbeit im Wege standen. Ein im März verabschiedetes Gesetz ermöglichte es den Parteien schließlich, die Allianz einzugehen.

Allerdings schwebte die MHP hinsichtlich ihrer Repräsentation im Parlament in Gefahr: Die Abgeordnete Meral Aksener hatte sich mit einigen anderen Mitgliedern von der MHP abgespalten und eine neue - "Gute Partei" (İYİ Parti) - gegründet. Die MHP fürchtete, nun unter der Zehn-Prozent-Hürde zu liegen. Erleichterung kehrte ein, als der Artikel zur Wahl-Allianz verabschiedet wurde. Dort heißt es: "Wenn eine der Bündnis-Parteien über der Zehn-Prozent-Hürde liegt, gilt das auch für die andere Partei."

Volksallianz bestimmt auch die Justiz

Drei der 18 Artikel, über die beim Referendum am 16. April abgestimmt wurde, traten sofort in Kraft. So wurde innerhalb von 30 Tagen der Ausschuss der Richter und Staatsanwälte (HSK) gegründet, der für die Ein- und Absetzung von Staatsanwälten und Richtern sowie für Disziplinarentscheidungen zuständig ist. Rechtswissenschaftler Kerem Altıparmak von der Politischen Fakultät der Universität Ankara beobachtet aufmerksam die Entwicklungen der Justiz.

Viele Menschen in der Türkei protestierten gegen das Referendum - ohne ErfolgBild: picture alliance/dpa/AP/L. Pitarakis

"Die Türkei befindet sich in einer juristischen Krise", sagt er. Zwar habe es auch vor dem Referendum Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz gegeben. Aber mit der Gründung des HSK sei es unmöglich, den Kreis, der die Justiz umschließt, zu durchbrechen, so Altıparmak. Der HSK hat 13 Mitglieder, inklusive des Justizministers und seines Staatssekretärs. Vier weitere werden vom Staatspräsidenten eingesetzt. Der Rest wird vom Parlament gewählt.

Für den Experten spiegelt sich in dem HSK die "Volksallianz" von AKP und MHP wider. "Ein Richter kann heute nicht mehr sagen, "ich werde eine gerechte Entscheidung treffen", denn er steht dem HSK gegenüber, dessen 13 Mitglieder von einem Parteivorsitzenden und Mitgliedern einer politischen Partei gewählt wurden", so Kerem Altıparmak.

Was macht die Opposition?

Während die Vorbereitungen bei AKP und MHP für die Wahlen laufen, stellt sich die Frage: Was macht die Opposition? Ein Jahr nach dem Referendum ist es dem "Nein-Block" noch nicht gelungen, ein klares politisches Ziel zu formulieren und sich zu organisieren. Immer wieder ist zu hören, dass sich die Oppositionsparteien hinter den Kulissen zu Gesprächen treffen, doch von einer konkreten Zusammenarbeit fehlt bislang jede Spur.

"Aus Sicht der Opposition war das Referendum vom 16. April erst der Anfang, es ist zu erwarten, dass sie sich 2019 revanchiert", so Kemal Can von der Tageszeitung Cumhuriyet. Bislang sei es der Opposition nicht gelungen, eine ähnliche Begeisterung zu entfesseln, wie beim Referendum, doch sie habe das Potential dazu, so Kemal Can. Die Stimmverteilung von 50 zu 50 Prozent bestünde noch heute. Dass die Opposition noch immer nicht die Initiative ergriffen habe, liege daran, dass die Machthaber sowohl die Diskussionsbereiche bestimmen, als auch die Art, wie über bestimmte Themen diskutiert wird, so Can.

Was geschieht als nächstes?

Im November 2019 wird am selben Tag sowohl der Staatspräsident als auch das Parlament neu gewählt. Viele Paragraphen der Verfassungsänderung werden erst nach der Wahl in Kraft treten. Der Staatspräsident wird, mit den ihm zustehenden Machbefugnissen, das Land für fünf Jahre regieren. Bei ihm liegt dann auch die Exekutive. Sein Kabinett und zwei Stellvertreter wählt er von außerhalb des Parlaments. Abgesehen von einigen Einschränkungen hat er die Befugnis, Dekrete zu verabschieden. Die Zahl der Parlamentsabgeordneten wird von 550 auf 600 angehoben. Die Altersbeschränkung für das passive Wahlrecht wird auf 18 Jahre gesenkt.

Türkei: Ovacik – Erdogan-freie Zone

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