Ein Jahr nach Nargis
2. Mai 2009Offiziellen Angaben zufolge forderte Nargis über 80.000 Menschenleben, Hilfsorganisationen gehen sogar von mehr als 130.000 Toten aus, insgesamt waren über zwei Millionen Menschen betroffen. Obwohl die herrschende Militärjunta das Ausmaß der Katastrophe erkannte, weigerte sie sich zunächst, internationale Hilfsangebote anzunehmen. Erst nach und nach durften im Laufe der darauffolgenden Wochen Hilfskräfte und -lieferungen ins Katastrophengebiet geschickt werden.
Katastrophe trifft die Ärmsten der Armen
Am internationalen Flughafen von Rangun, der ehemaligen Hauptstadt Birmas, herrschte wenige Tage nach dem Zyklon gespenstische Ruhe. Auf der Fahrt ins Stadtzentrum waren die Spuren der Verwüstung, die der Wirbelsturm Nargis angerichtet hatte, noch deutlich zu erkennen. Umgestürzte Baumriesen blockierten die Straßen, abgedeckte Dächer und zerborstene Fensterscheiben ließen die Wucht des Sturms, der über acht Stunden ununterbrochen tobte, erahnen.
Am schwersten betroffen war die so genannte Reisschale des Landes – das Irrawaddy-Delta. Dort gab es nur wenige Steinhäuser und befestigte Straßen, so dass ganze Landstriche im vom Sturm verursachten Hochwasser versanken. "Die Behausungen der einfachen Leute auf dem Land sind einfach nicht stabil genug gebaut", erklärt Terje Skavdal, der UN-Vertreter für die Koordinierung humanitärer Hilfe in Südostasien. Die ohnehin arme Landbevölkerung verlor durch Nargis ihr gesamtes Hab und Gut. Rasch mangelte es auch an Trinkwasser und Nahrungsmitteln, an eine medizinische Versorgung der vielen Schwerverletzten war nicht zu denken. Obwohl sich innerhalb kurzer Zeit das verheerende Ausmaß der Katastrophe abzeichnete, reagierte die Militärjunta zögernd und schwerfällig.
Die Hintergedanken der Militärjunta
Überfordert und unfähig, die Katastrophe aus eigener Kraft zu bewältigen, weigerte sich die Junta dennoch beharrlich, ausländische Hilfe anzunehmen. Zu angespannt war die innenpolitische Lage nach den blutig niedergeschlagenen Protesten der Mönche im September 2007. Außerdem hatten die Generäle für den 10. Mai ein landesweites Referendum über eine neue Verfassung geplant, das den Machtanspruch der Militärs dauerhaft sichern sollte. Dieses Referendum wollte die Junta auf jeden Fall durchziehen – trotz der Katastrophe. Dabei wollten sie keine ausländischen Beobachter im Land haben. Also durften zunächst nur die Hilfsorganisationen in die Katastrophengebiete, die mit einheimischen Kräften arbeiteten. Paula Sitko von der Hilfsorganisation World Vision war eine der ersten, die das Grauen mit eigenen Augen sah und der Welt darüber berichtete. Es sei schrecklich, so Sitko, "im gesamten Flussdelta des Irrawaddy liegen Leichen herum, bis hoch nach Rangun."
Logistische Katastrophe
Nicht nur die starre Haltung der Militärs, auch logistische Probleme behinderten die Hilfe: Über die ohnehin mangelhafte und nun größtenteils zerstörte Infrastruktur mussten die wenigen Hilfsgüter, die die Junta ins Land ließ, mühsam mit Kleintransportern und behelfsmäßig gebauten Flößen transportiert werden. "Das Gebiet ist kaum erreichbar, Transporte dorthin sind äußerst schwer zu bewerkstelligen", klagte Aye Win, der Pressesprecher des Informationszentrums der Vereinten Nationen in Rangun damals. Außerdem seien sämtliche Kommunikationswege zerstört, Straßen teilweise unpassierbar und Brücken weggespült worden. "Wir können nur leichte LKWs mit einer Nutzlast von fünf bis sechs Tonnen einsetzen. Obwohl Hilfsgüter eintreffen, ist es für die UN eine riesige Herausforderung, sie dorthin zu bringen." Erst nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum gab die Militärregierung Mitte Mai dem wachsenden internationalen Druck nach und öffnete langsam Birmas Grenzen für Hilfslieferungen. Die ersten Helfer kamen aus benachbarten Ländern wie Thailand und China, doch auch Hilfslieferungen aus den USA und Europa durften nun ins Land. Der große Durchbruch gelang schließlich auf der UN-Geberkonferenz Ende Mai: Die Geberländer versprachen den Militärs in Rangun mehr als 100 Millionen Dollar für den Wiederaufbau – und die Junta versprach im Gegenzug, die Hilfslieferungen nicht mehr zu beschränken.
Hoffnungsschimmer nach mehreren Wochen
Vorsichtiger Optimismus machte sich daraufhin bei den Hilfskräften breit: Wenn alles gut laufe, könnten alle Hilfsbedürftigen im Katastrophengebiet nun binnen weniger Tage erreicht werden, meinte nach der Konferenz Richard Horsey, der UN-Koordinator für humanitäre Aktionen. "Wir haben in den vergangenen 10 Tagen unsere Logistik in Birma deutlich aufgestockt. Wir haben Boote, es kommen immer mehr Hubschrauber an, einer ist schon da, alles ist vorbereitet. Wenn wir jetzt unsere Experten ins Katastrophengebiet hinein bekommen, dann können wir richtig loslegen." Endlich - drei Wochen nach der verheerenden Sturmkatastrophe - liefen die Hilfsmaßnahmen auf Hochtouren. Die anfangs befürchtete Katastrophe nach der Katastrophe - der Ausbruch von Seuchen und Epidemien - trat nicht ein. Auch die Zusammenarbeit zwischen birmanischen Behörden und internationalen Hilfskräften funktionierte reibungslos.
Keine Katastrophe danach
Ein halbes Jahr später zog Paul Risley, der für Asien zuständige Koordinator des Welternährungsprogramms WFP, Bilanz und lobte den unermüdlichen Einsatz der einheimischen und internationalen Hilfskräfte. "Wir hatten mit dem Schlimmsten gerechnet, damit, dass Tausende Menschen an Typhus, Cholera und anderen durch schmutziges Trinkwasser hervorgerufenen Krankheiten sterben könnten." Vor allem den Ärzten vor Ort sei es zu verdanken, dass Krankheitsfälle schnell gemeldet und behandelt worden wären. Auch der starke Monsunregen kam den Helfern zugute. "Das Wasser hat die durch Leichen und Kadaver verseuchten Gebiete sprichwörtlich rein gewaschen." Wie viele Menschenleben durch einen früheren Einsatz der internationalen Hilfskräfte hätten gerettet werden können – dazu will sich Paul Risley nicht äußern. Für ihn ist aber klar, dass die Menschen in den vom Zyklon betroffenen Regionen für mindestens drei weitere Jahre dringend auf internationale Hilfe für den Wiederaufbau angewiesen sein werden.
Autor: Tobias Grote-Beverborg
Redaktion: Esther Broders