Arbeitsmarkt
27. Oktober 2010Irgendwo in Deutschland sitzt in diesen Tagen ein Mann und ist zufrieden. Der Mann heißt Gerhard Schröder, er war sieben Jahre Bundeskanzler dieses Landes. Der Sozialdemokrat hat viele Prügel einstecken müssen für sein im Jahr 2003 angestoßenes Reformvorhaben namens "Agenda 2010" zum Umbau des deutschen Sozialsystems und des Arbeitsmarktes. Ein Teil der Reform namens "Hartz IV" steht bis heute als Synonym für den sozialen Abstieg. Schröders Reform hat nicht verhindern können, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland noch in seiner Amtszeit im Januar 2005 auf über fünf Millionen kletterte – zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Erst danach begann die Reform ihre Wirkung zu entfalten – sie ist ein Grund dafür, dass Deutschland in diesem Herbst ein Jobwunder erleben darf.
Falsche Prognosen und ehrliche Arbeit
Es ist ein Wunder, das viele diesem Land nicht zugetraut hätten. Im April des vergangenen Jahres - inmitten der tiefsten Krise, die dieses Land seit Jahrzehnten erlebte – prognostizierten die führenden Wirtschaftsforscher, dass die Zahl der Arbeitslosen spätestens Ende 2010 wieder auf fünf Millionen steigen könnte. Jetzt haben wir Ende 2010 – und die Statistik der Nürnberger Arbeitsmarktexperten vermerkt die Zahl 2,945 Millionen. Was das über die Qualität von Prognosen aussagt, sei dahingestellt. Vor allem aber sagt es etwas darüber aus, dass dieses Jobwunder viele Väter und auch Mütter hat. Zuallererst sind es die vielen Unternehmer in Deutschland, die sich auch durch die Krise nicht haben entmutigen lassen. Gerade dieser sprichwörtliche Unternehmergeist, er ist eines der Erfolgsgeheimnisse. Und dann die Menschen, die in diesen Unternehmen arbeiten und ihre Interessenvertreter, die Gewerkschaften. Sie haben durch Lohnzurückhaltung schon in den Jahren davor mitgeholfen, ihre Firma wetterfest zu machen für die Fahrt im stürmischen Meer der Globalisierung.
Kurzarbeit als Erfolgsmodell
Unterstützt wurden die Firmen durch den Staat. Der hat das Instrument der Kurzarbeit sehr großzügig angewendet, um Entlassungen in Zeiten einer Auftragsflaute abzuwenden. Die Unternehmen werden dabei bei den Lohnkosten entlastet, die Mitarbeiter erhalten weiter Lohn, wenn auch nicht in vollem Umfang. Wichtig aber: Sie behalten ihren Arbeitsplatz – und die Firmen ihre Fachkräfte. Denn wenn, wie nun geschehen, der Aufschwung da ist und wieder Aufträge hereinkommen, dann kann sofort damit begonnen werden, sie abzuarbeiten. So also bekommt auch die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel etwas vom Lob über das deutsche Jobwunder ab. Mittlerweile kommen ausländische Delegationen, um Deutschlands Erfolgmodell vor Ort zu bestaunen.
Qualifizierte Zuwanderer dringend gesucht
Was aber nicht heißt, dass man sich nun auf den Lorbeeren ausruhen könnte – im Gegenteil. Genau jetzt muss die Regierung weitermachen und das eklatante Problem des Fachkräftemangels lösen. Experten schätzen, dass dieser Mangel Deutschland jedes Jahr ein Prozent Wirtschaftswachstum kostet. Wir brauchen die besten Köpfe. Erste Gedanken für eine gesteuerte Zuwanderung weisen in die richtige Richtung. Wie machen wir dem Ingenieur aus Indien, China oder Russland klar, dass er sich für Deutschland entscheiden soll? Was bieten wir ihm an? Diese Fragen müssen dringender denn je beantwortet werden.
Etwas mehr fürs Portemonnaie
Es ist also ein sonniger Herbst auf Deutschlands Arbeitsmarkt. Ein Grund für allzu große Euphorie besteht allerdings nicht. Noch immer lauern die Gefahren eines Rückschlags. Wichtig wäre es jetzt, den Beschäftigten eine ordentliche Lohnerhöhung zu gönnen, um so die Kaufkraft zu stärken. Denn sich allein auf die wieder boomende Exportwirtschaft zu verlassen, das wird nicht gut gehen. Gute Beispiele gibt es schon: Die Stahlbranche zahlt ihren Leuten dreieinhalb Prozent mehr. Und Europas größter Autozulieferer Bosch bedankt sich auf seine Weise beim Personal: Die haben in der Krise auf eine Menge Geld verzichtet. Jetzt wird die schon vereinbarte Lohnerhöhung von knapp drei Prozent um zwei Monate vorgezogen. Das ist mehr als nur eine symbolische Geste. Es ist ein Stück dieses deutschen Jobwunders.
Autor: Henrik Böhme
Redaktion: Rolf Wenkel