1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Abgeordneter fordert Maduro heraus

Gabriel González Zorrilla
15. Januar 2019

Gerade erst zum Parlamentschef gewählt, erklärt sich der 35-jährige Juan Guaidó zum legitimen Präsidenten Venezuelas und lässt sich selbst durch eine kurze Verhaftung nicht einschüchtern. Ist er eine Gefahr für Maduro?

Venezuela Juan Guaido
Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS/R. Camacho

Die Situation wirkt surreal. Während im Hintergrund sanfte Reggaemusik aus dem Autoradio plätschert, nimmt der Fahrer mit seinem Smartphone eine verstörende Szene auf. Vor ihm war der Verkehr zum Halt gekommen, als mehrere vermummte Sicherheitskräfte eine Person aus einem Wagen ziehen, sie in einen Geländewagen zwingen und davonfahren. "Mist, Sebin", kommentiert der Fahrer die Szene trocken. Sebin lautet der Name des gefürchteten venezolanischen Geheimdienstes. Bei der verhafteten Person handelt es sich um Juan Guaidó, Präsident der mehrheitlich von der Opposition kontrollierten Nationalversammlung. Die Videoaufnahme verbreitet sich in Windeseile im Internet.

In Haft ist er zwar nur eine knappe Stunde, doch das löst eine Lawine an Solidaritätsbekundungen und Protesten ausländischer Regierungen aus. Die kurzfristige Verhaftung findet nämlich mitten in einem Machtkampf um die Legitimität der Präsidentschaft von Nicolás Maduro statt. Trotz Protesten im In- und Ausland hat Maduro am 10. Januar seine zweite Amtszeit angetreten. Seine Wiederwahl im vergangenen Jahr wurde von der Opposition boykottiert und wurde von zahlreichen Staaten und internationalen Organisationen als undemokratisch bezeichnet. Spätestens seit vergangenem Donnerstag ist Maduro laut Auffassung des Parlamentspräsidenten Guaidó ein "Usurpator", einer, der widerrechtlich die Staatsgewalt an sich reißt.

Am vergangenen Freitag kündigte Guaidó an, die Präsidentschaft vorübergehend zu übernehmen. Er wolle Neuwahlen ausrufen. Er berief sich auf die Verfassung des südamerikanischen Landes und bat die Bevölkerung und die Streitkräfte um Unterstützung.

War die spektakuläre Festnahme am Sonntag eine Kurzschlusshandlung des Geheimdienstes Sebin? So scheint es jedenfalls die Regierung darstellen zu wollen. Sie wies die Verantwortung von sich und erklärte, die Sebin-Agenten hätten eigenmächtig gehandelt und würden jetzt disziplinarisch belangt.

Risse in der Befehlskette?

"Es ist schwierig herauszufinden was da gerade wirklich passiert", sagt Ana Soliz Landivar de Stange, Forscherin an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg: "Es könnte sein, dass die Regierung die Verhaftung angeordnet hat, aber dann relativ schnell vor den unkalkulierbaren außenpolitischen Konsequenzen zurückgeschreckt ist. Es könnte aber auch ein Zeichen dafür sein, dass die Regierung selbst gespalten ist", fügt Soliz hinzu.

Siegesgewiss: Nicolás Maduro hat sich am 10. Januar für eine zweite Amtszeit vereidigen lassen. Bild: picture-alliance/Photoshot/A. Romero

Letztere These wird auch vom venezolanischen Journalisten und Radiomoderator Luis Carlos Díaz aufgegriffen: "Der Geheimdienst hat in der Vergangenheit schon viele Aktivisten und Oppositionelle verhaftet, misshandelt und unter Drogen gesetzt, um Geständnisse zu erzwingen. Die Festnahme am Wochenende hätte also eigentlich eine Routinemaßnahme des Sebin sein können. Überraschend ist aber die rasche Freilassung. Dies deutet auf einen Machtkampf innerhalb des Regierungsapparates hin. Für uns hier in Venezuela ist nicht die Verhaftung überraschend, sondern die Freilassung."

So interpretiert auch Parlamentspräsident Guaidó selbst den Vorfall. Er konstatiert einen "Riss in der Befehlskette" innerhalb der Regierung. Der 38-jährige Ingenieur war erst im Dezember zum Parlamentspräsidenten gewählt worden. Mit Elan und Angriffslust scheint er jetzt Maduro auf dem Feld der mangelnden Legitimität attackieren zu wollen. Gleichzeitig versucht er auch zumindest Teile der Streitkräfte auf seine Seite ziehen zu wollen.

Eine neue Gewaltwelle befürchtet

Guaidó hat für den 23. Januar zu Demonstrationen gegen die Regierung aufgerufen. Für die venezolanische Geschichte handelt es sich um ein symbolträchtiges Datum und ist geschickt gewählt. Am 23. Januar 1958 wurde nach massiven Protesten in der Bevölkerung der Diktator Marcos Pérez Jimenez durch einen Militärputsch gestürzt.

Laut Ana Soliz Landivar de Stange spielt Guaidó damit aber auch mit dem Feuer: "Dieser Aufruf zu Protesten auf der Straße könnte leicht zu neuen Gewaltausbrüchen und Chaos führen", befürchtet die Expertin. Bei früheren Protestwellen hatte die Opposition über Wochen hinweg zehntausende Menschen gegen Maduro auf die Straße gebracht. Während gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften, paramilitärischen Motorradgangs - den "Colectivos" - und Demonstranten kamen 2014 und 2017 insgesamt mehr als 160 Menschen ums Leben.

Auch Peter Birle, Forschungsdirektor am Ibero-amerikanischen Institut (IAI) in Berlin, äußert sich im Gespräch mit DW zurückhaltend: "Ob Maduro noch alle Fäden in der Hand hält, ist von außen sehr schwer zu beurteilen. Aber aus meiner Perspektive hat sich in diesem Machtkampf zwischen dem Parlament und dem Präsidenten nichts geändert. Man kann Guaidó natürlich wünschen, dass er erfolgreicher als seine Vorgänger ist, aber angesichts der Tatsache, dass dieses Regime den gesamten Staat kontrolliert, bin ich doch sehr skeptisch."

Dem muss auch der Journalist in Caracas zustimmen. "Maduro kontrolliert in der Tat die Institutionen, die mit den Geldern aus dem Haushalt finanziert werden. Und damit kontrolliert er natürlich auch die Streitkräfte", sagt Luis Carlos Díaz.

Birle erzählt, dass er immer wieder gefragt wird, wie viele Tage, Wochen oder höchstens Monate das venezolanische Volk noch fähig sei, diese Krise auszuhalten. "Wahrscheinlich werden wir leider noch in Jahren hier sitzen", sei da seine Antwort.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen