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Politik

"Ein Land, das unser Freund ist"

Nicolas Martin
6. März 2017

Während Präsident Erdogan wütet, schlägt der türkische Wirtschaftsminister bei einem Auftritt in Köln versöhnliche Töne an. Das Publikum versteht die deutsche Kritik an Erdogan nicht. Aus Köln berichtet Nicolas Martin.

Deutschland Nihat Zeybekci im Senatshotel in Köln
Bild: DW/M. Yüksel

"Interview, nein danke", winken die sechs Frauen ab. Sie sind gekommen, um dem türkischen Wirtschaftsminister zuzuhören. "Ihr berichtet doch nur, was ihr wollt", sagt die eine. Und die andere: "Das hier ist keine Demokratie." Die Absagen mehrerer Veranstaltungen türkischer Regierungspolitiker in Deutschland hat sie verärgert.

In einem Kölner Hotel spricht Nihat Zeybekci (Artikelbild) nun doch. Er will den Türken in Deutschland erzählen, was es mit der Verfassungsreform von Präsident Recep Tayyip Erdogan auf sich hat und warum sie dafür stimmen sollen.

"Wir halten zusammen"

Mücahit Tufekci arbeitet in der Telekommunikationsbranche und ist 70 Kilometer von Aachen nach Köln angereist. Dieser Abend ist ihm wichtig. "Die deutsche Berichterstattung über Erdogan ist beleidigend", sagt der 39-Jährige, der eine türkische Flagge mitgebracht hat. Über das geplante Präsidialsystem wisse er schon Bescheid. "Ich bin hier, um zu zeigen, dass wir Deutsch-Türken zusammenhalten". Er ist einer von insgesamt 1,4 Millionen Menschen, die im April in Deutschland über die Reform in der Türkei abstimmen dürfen.

Hält die deutsche Berichterstattung über Erdogan für "beleidigend": Mücahit TufekciBild: DW/N. Martin

Anders geht es Kenan Hür. Der 44-Jährige hat nur den deutschen Pass. Er sei gekommen, um mehr über die Reform zu erfahren. Dass die deutsch-türkischen Beziehungen derzeit so angespannt sind, findet er bedauerlich. "So was muss nicht sein", sagt Hür, angesprochen auf die Äußerung Erdogans, die Absagen der Veranstaltungen mit türkischen Politikern in Deutschland ähnelten Nazi-Methoden. “Er ist eben sehr temperamentvoll”, so Hür. Die Kultur in der Türkei sei eben eine andere.

"Nicht diese Türkei"

"Ich wünschte, meine türkischen Freunde hätten dieselben Rechte wie wir hier in Deutschland", sagt ein junger Mann mit einer Baseballmütze. Er steht mit mehreren Dutzend Gegendemonstranten auf der anderen Seite der Straße vor dem Hotel. Seinen Namen will er nicht nennen. Schon bald mache er wieder Urlaub in der Türkei. "Nachher lassen die mich nicht rein."

In seiner Hand hält er einen beschrifteten Karton, auf dem er sich für die Freilassung des "Welt"-Journalisten Deniz Yücel einsetzt. "Ich liebe die Türkei, aber nicht diese Türkei", sagt er. Andere Demonstranten fordern: "Keine Propaganda für einen Diktator in unserem Rechtsstaat" und "Freiheit für Journalisten".

"Danke, dass wir unser Recht in Anspruch nehmen dürfen"

Während ein paar Dutzend Demonstranten draußen im Regen verharren, betritt der türkische Wirtschaftsminister im Hotel mit anderthalb Stunden Verspätung die Bühne. Die Handys flimmern auf.

Proteste vor dem HotelBild: pciture-alliance/dpa/H. Kaiser

Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, der Medienandrang ist riesig. Auf die knapp 300 Gäste kommen etwa 70 Journalisten. "Ich habe ein Geschenk für euch: den Gruß von Erdogan, den Mann des Volkes", sagt Zeybekci. Die Menge jubelt.

Hinter dem Minister hängt eine deutsche Fahne. Zeybekci sagt, die Deutsch-Türken lebten "in einem Land, das unser Freund ist". Das Publikum quittiert es mit einem Lachen. Unbeirrt fährt Zeybekci fort. "Es ist unser Recht, unsere Wähler hier anzusprechen. Danke, dass wir dieses Recht nun in Anspruch nehmen dürfen." Töne, die wohl versöhnlich klingen sollen in einer so vergifteten Atmosphäre. Nur einmal wird er deutlich, als er sagt: "Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben."

"Evet, evet"-Chöre zum Abschluss

Der türkische Präsident wird an diesem Abend in Köln gefeiert wie ein Held. Auch Zeybekci unterbricht seine mehr als einstündige Rede mehrmals, um die "Erdogan, Erdogan"-Rufe ausklingen zu lassen.

Zeybekci erzählt von der wirtschaftlichen Aufstiegsgeschichte der Türkei und geht auf den Putsch vom Sommer des vergangenen Jahres ein. Es sei das kranke System der Türkei, das zum Umsturzversuch geführt habe. Das neue System verspreche deutlich mehr Stabilität.

Kenan Hür hätte sich mehr Informationen gewünschtBild: DW/N. Martin

Am 16. April sollen die Türken über das Präsidialsystem abstimmen. Es würde dem türkischen Präsidenten deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen. Zeybekci beendet seine Rede unter "Evet, evet"-Chören - türkisch für "Ja."

"Ganz in Ordnung" sei es gewesen, resümiert am Ende der Veranstaltung der 44-jährige Kenan Hür. "Ich hätte mir aber mehr Informationen zum Präsidialsystem gewünscht", so der Kölner ohne türkischen Pass. Er würde gerne auch im April abstimmen. Was er wählen würde, will er nicht sagen. Er hofft aber vor allem, dass nach dem Referendum die Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder "normal" werden.

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