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Muslime in Aufruhr

31. Mai 2010

Einbestellte Botschafter, gewaltsame Demonstrationen, Krisensitzungen bei der Arabischen Liga: Die israelische Erstürmung einer Hilfsflotte für Gaza hat in der muslimischen Welt scharfe Proteste ausgelöst.

Proteste in Istanbul gegen den israelischen Militäreinsatz (Foto:ap)
Proteste in Istanbul gegen den israelischen MilitäreinsatzBild: AP

Türkei ruft eigenen Botschafter zurück

Der türkische Ministerpräsident Erdogan brach seine Südamerikareise vorzeitig abBild: AP

Das Außenministerium in Ankara hat den israelischen Angriff auf die Schiffsflotte am Montag (31.05.2010) ungewöhnlich scharf kritisiert. In einer Erklärung hieß es, der Schaden für die Beziehungen der beiden Staaten sei nicht wieder gutzumachen: "Israel hat auf unschuldige Zivilisten gezielt. Sie haben einmal mehr gezeigt, dass sie sich um Menschenleben und friedliche Initiativen nicht kümmern." Dass die Schiffe in internationalen Gewässern aufgebracht worden waren, sei auch ein Bruch internationalen Rechts. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat laut Fernsehberichten seine Südamerika-Reise abgebrochen. In Ankara kamen mehrere Minister und Armeegeneräle zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Drei geplante Militärmanöver mit Israel sagte die Türkei bereits ab. In Istanbul versuchten mehrere hundert Demonstranten, das israelische Generalkonsulat zu stürmen. Die Menge bewarf das Konsulatsgebäude mit Steinen. Die Polizei drängte die Demonstranten mit Wasserwerfern und Reizgas ab. Auch in Ankara versammelten sich Demonstranten zu Protesten vor dem Haus des israelischen Botschafters in der Türkei. Die türkische Regierung bestellte den israelischen Botschafter ins Außenministerium ein. Außerdem kündigte Ankara an, den eigenen Botschafter in Israel zurückzurufen.

Palästinenser sprechen von einem "Massaker"

Die Hamas wollte die Flotte eigentlich in Empfang nehmenBild: AP

Auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat mit Bestürzung auf die Erstürmung der Hilfsflotte reagiert. Er verhängte drei Tage Staatstrauer in den Palästinensergebieten und verurteilte den israelischen Militäreinsatz als "abscheuliches Verbrechen". Außerdem verlangte Abbas eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates. Der palästinensische Chefunterhändler Sajeb Erakat erklärte in Ramallah, die UN müsse über "die Piraterie, das Verbrechen und das Massaker Israels" beraten. Noch schärfer reagierte die im Gazastreifen regierende radikalislamische Hamas: Sie rief zu einer "Intifada" vor den Botschaften Israels in der ganzen Welt auf. Araber und Muslime weltweit sollten sich gegen Israel erheben, erklärte die Hamas.

Gespannte Ruhe in Israel

Protestierende Araber in IsraelBild: AP

In Israel selbst leben rund 1,3 Millionen israelische Staatsangehörige, die sich zum Islam bekennen. Diese israelischen Araber haben für Dienstag (01.06.2010) zu einem Generalstreik aufgerufen. Im nordisraelischen Nazareth haben sich hunderte von Menschen verschiedener politischer Richtungen zu Protesten gegen die eigene Regierung zusammengefunden. In den mehrheitlich arabisch bewohnten Teilen von Tel Aviv, Jerusalem und Galiläa wurden vorsorglich israelische Sicherheitskräfte zusammengezogen, um Unruhen zu verhindern.

Sondersitzung der Arabischen Liga

Die Arabische Liga will über das weitere Vorgehen gegenüber Israel beratenBild: picture-alliance/ dpa

Die Arabische Liga hat für diesen Dienstag (01.06.2010) eine Dringlichkeitssitzung in Kairo einberufen. Dabei wollen die arabischen Staaten besprechen, wie sie auf die israelische Militäroperation reagieren sollen. Das gab der stellvertretende Generalsekretär der Liga, Ahmed ben Hilli, am Montag in Doha bekannt. Der israelische Angriff auf die "Friedens-Flottille" sei "eine sehr starke Botschaft, mit der Israel signalisiert, dass es keinen Frieden will." Um die Einberufung des Treffens hatte unter anderem auch das syrische Außenministerium gebeten. Die Regierung in Damaskus verurteilte die "israelische Aggression" und forderte Konsequenzen.

Ägyptens Staatschef Mubarak unter Druck

Auch Ägypten hat seinen einzigen Grenzübergang zu Gaza bei Rafah seit längerem gesperrtBild: AP

In Kairo forderte derweil die oppositionelle Muslimbruderschaft ein Ende der ägyptischen Blockade des Gazastreifens: Ägypten müsse jetzt schnell handeln und den Grenzübergang Rafah nach Gaza öffnen, "denn seine Schließung war einer der Hauptgründe für das, was jetzt passiert ist". In Ägypten ist die Muslimbruderschaft offiziell verboten, dennoch bilden ihre Anhänger die größte Fraktion der Opposition im Kairoer Parlament. Die Muslimbrüder unterhalten gute Beziehungen zur palästinensischen Hamas. Der israelische Militäreinsatz setzt auch Ägyptens Staatspräsident Hosni Mubarak unter Druck – denn schon am Dienstag (01.06.2010) finden in Ägypten Parlamentswahlen statt, bei denen die Opposition jetzt stärkeren Zulauf bekommen könnte. Viele Ägypter sind mit der Haltung ihrer Regierung im Gazakonflikt schon seit längerem unzufrieden.

Proteste auch in anderen muslimischen Staaten

Libanons Premierminister Saad Hariri sprach von einer "verrückten Aktion"Bild: AP

In Beirut verurteilte der libanesische Premierminister Saad Hariri den israelischen Militäreinsatz als "gefährliche und verrückte Aktion", die die gesamte Region in Brand setzen könne. Scharfe Kritik kam auch von der libanesischen Hisbollah, die von einem "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sprach. Ein Sprecher der irakischen Regierung in Bagdad beschrieb das israelische Vorgehen als "ein weiteres humanitäres Desaster", das sich nahtlos in Israels bisherige Blockadepolitik des Gazastreifens einreihe. Auch Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad kritisierte das Abfangmanöver als unmenschlich: "Alle diese Handlungen deuten auf das Ende dieses schrecklichen und künstlichen Regimes hin", griff Ahmadinedschad Israel direkt an. Er hatte schon mehrmals das Existenzrecht des israelischen Staates in Frage gestellt.

In der jordanischen Hauptstadt Amman formierte sich derweil ein Protestzug aus rund 2.000 Demonstranten. Einige von ihnen schrien Parolen wie "Nieder mit Israel!" und forderten, die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarstaat abzubrechen. Nach Angaben des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira waren auch 25 Jordanier an Bord der Flotte gewesen.

Autor: Thomas Latschan (afp, dpa, rtr)
Redaktion: Nicola Reyk

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