Ein neuer Parsifal zum Hundertsten!
26. Oktober 2012 Philipp Stölzl ist einer jener Quereinsteiger aus der Welt des Films, die gern mal Abstecher in die Welt der Oper und damit dem Publikum Hoffnung auf neue Ideen machen. Und so war man auch auf diesen Parsifal gespannt: Wagners "Bühnenweihfestspiel" - das übrigens sein letztes musikdramatisches Werk war und deshalb vielleicht nicht nur voller Sehnsucht nach Erlösung, sondern auch sehr religiös geraten ist - mit Kreuzigung, Taufe, heiligem Schrein und Abendmahlriten.
Doch dafür, dass Stölzl noch recht jung ist, dass er nicht nur Spielfilme, sondern auch Videoclips - etwa für Rammstein ("Du Hast" 1997) und Madonna ("American Pie" 2000) - gedreht hat, bleibt er ziemlich nah dran an Wagner. Er zeichnet die sagenhafte Geschichte um den heiligen Gral und den Speer, den suchenden Parsifal, den an seinen Sünden leidenden Amfortas, den abtrünnigen Ritter Klingsor, die Außenseiterin Kundry in symbolträchtigen Bildern nach. Beginnend mit mittelalterlichen Gralslegenden, über Reliquienraub und Missbrauch, bis hin zu sinnbildlichen Wunden und Erlösungssuche.
Stölzels Inszenierung
Das hat manchmal etwas von einem sogenannten "Tableau vivants". Denn wie bei dieser Ende des 18. Jahrhunderts beliebten Darstellung von gemalten Bildern durch lebende Personen lässt Stölzl das Ensemble immer wieder zwischen Riten und Reliquien erstarren, inmitten einer mal biblischen, mal mittelalterlichen Landschaft, in der der Kreuzigungshügel Golgatha zum felsigen Baugrund für eine Ritterburg wird, oder zu den Mauern eines Tempels.
Das ist zunächst spannend, zumal Stölzl den Zuschauer mitnimmt auf dieser behutsamen wie bewahrenden Annäherung: Mit dem Titelhelden blickt man nämlich zuerst mal von außen auf diese künstlich überhöhte Landschaft und ihre Bewohner. Denn Parsifal kommt aus unserer Zeit, aus dem Dunkel einer nüchtern schwarzen Kulisse. Trägt einen Straßenanzug statt Tempelritterwams und schaut auf diese Szenerie voll geballt religiöser Symbolkraft, befremdet wie fasziniert.
Doch bald scheinen Stölzl die Ideen auszugehen und manches wirkt hilflos kitschig. Etwa, wenn der von den Kreuzrittern verschmähte Klingsor theatralisch zu Boden sinkt – tödlich getroffen vom heiligen Speer, den er aus Rache an sich brachte. Oder wenn Parsifal diesen Speer schleppenden Schrittes zu seinen Hütern zurückbringt, um ihnen obendrein weihevoll die erlösende Taufe zu spenden. Das erinnert an laienhaftes Passionsspiel und lässt einen rätseln, wo der junge Regisseur mit seiner Regie denn nun hin will. Nimmt er seinen Parsifal ironisch? Dafür traut er sich zu wenig. Nimmt er ihn ernst? Dafür fehlt der Tiefgang. Stattdessen gleitet er seicht vorbei an Fragen, die sich da stellen könnten. Fragen nach dem religiösen Fanatismus, dem Ausgrenzen von Andersseienden. So ist die Inszenierung enttäuschend.
Wagners Musik
Die musikalische Umsetzung aber keinesfalls! Ja, vor allem die Sänger beeindrucken. Etwa Klaus Florian Vogt in der Titelrolle, der klar, kraftvoll und dabei natürlich schön singt. Faszinierend auch Evelyn Herlitzius als Kundry, mit ihrem Mut auch zu schrillen Tönen - innig wäre da bescheiden formuliert. Unbedingt zu erwähnen ist auch der Chor der Deutschen Oper, der mal ganz leise, aus dem Ungefähren erklingt, um sich dann massiv zu erheben. Auch das Orchester unter dem Dirigat von Generalmusikdirektor Donald Runnicles macht einen äußerst ordentlichen Job. Spielt präzise, konzentriert, ohne aufgesetztes Pathos.
So ist dieser Abend eher etwas für die Ohren denn für die Augen. Philipp Stölzl scheitert letztendlich mit seinem Konzept. Vielleicht auch, weil die Lösung von diesem doch reichlich verklärten Weihfestspiel die Lösung von ihm ist - auf der Basis einer auch heute noch immer wieder ergreifenden Musik.