Ein neues Kapitel europäischer Raumfahrt
24. Dezember 2003Am ersten Weihnachtstag soll die Sonde "Beagle2" auf dem Mars lande - die erste Mission der europäischen Raumfahrt auf einem anderen Planeten. Doch schon arbeiten die 15 Mitglieder der Europäischen Raumfahrtagentur ESA an neuen Plänen und Forschungsprojekten im All. Sigmar Wittig, Vorsitzender des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) über ein neues Kapitel europäischer Raumfahrtgeschichte.
DW-WORLD: Herr Wittig, welche Bedeutung hat die "Mars Express"–Mission für die Europäische Raumfahrt?
Sigmar Wittig: Bedeutend ist die wissenschaftliche Aufgabe, nämlich zu erforschen, ob es Wasser oder sogar Leben auf dem Mars gibt oder gab – diese Frage kann man gar nicht überschätzen. Und natürlich die Erprobung einer Reihe von technischen Instrumenten an Bord, wie etwa die hoch auflösende Stereokamera, von der wir uns fantastische Bilder vom Mars und seiner Oberfläche erhoffen. Zusätzlich werden wir Messungen unter der Marsoberfläche vornehmen mit einem speziellen Bohrer, dem "Maulwurf", der von der deutschen Raumfahrtagentur DLR entwickelt wurde. Wenn man einfach Bodenproben von der Oberfläche des Mars abkratzt, sind diese immer vemengt mit Ablagerungen, die aus der Atmosphäre stammen. Mit Bohrer können wir bis jetzt bis zu 1,50 Meter in den Boden eindringen und "reine" Bodenproben vom Mars bekommen. Wir erhoffen dadurch Hinweise auf die Fragen, ob es jemals Wasser dort gab oder möglicherweise sogar Leben. Technologisch gesehen ist die Mission gerade für die Deutschen sehr interessant, weil sie viele Instrumente enwickelt haben. Mit der Mission und den hochtechnologischen Standards an Bord werden wir nun global gesehen eine führende Rolle in der Raumfahrt einnehmen.
Welche kommerziellen Vorteile hat die Mission für Deutschland und Europa?
Die Kamera kann beispielsweise für Aufnahmen von anderen Planeten benutzt werden oder uns umfassendere Bilder von der Erde verschaffen. Aber die wissenschaftlichen Erkenntnisse stehen im Vordergrund.
Die US-Raumfahrtbehörde NASA war lange Zeit Vorreiter in der Entwicklung neuer Technologien, von denen später auch die Privatwirtschaft profitiert hat. Gab es auch Technologietransfers vom Europäischen oder Deutschen Raumfahrtprogramm?
Sehr viele Entwicklungen stammen zum Beispiel aus der deutschen Raumfahrtforschung: Hitzeresistente Materialien oder bestimmte Kohlenstoffverbindungen etwa, die nun Anwendung bei der Entwicklung von Bremsen für Hochgeschwindigkeitsautos finden. Es gab auch einen Transfer von leichtgewichtigen Materialien, Navigationssystemen, optischen Systemen wie der hoch auflösenden Kamera, Brandschutz- und und Robotersystemen.
Wie geht es nach der europäischen Mars-Mission weiter? Zieht die ESA bemannte Flüge in Erwägung?
Der nächste Schritt ist der Start der "Rosetta"-Sonde, die Kometen erforschen soll. ESA und DLR arbeiten aber auch eng mit der NASA an der bemannten Raumfahrt zusammen, doch für uns steht die Erdbeobachtung im Vordergrund. Zum Beispiel alles, was mit Navigation zu tun hat: Wir arbeiten am Galileo-System um konkurrenzfähig zum amerikanischen GPS-Navigationssystem zu werden. Ein anderer Bereich der Erdbeobachtung sind zum Beispiel Wettervorhersagen oder "Überwachung" von Naturkatastrophen, wie die Deutschen es derzeit mit dem "BIRD"-Satelliten vornehmen. Für die Internationale Raumfahrtstation ISS arbeiten wir gerade an dem neuen Forschungslabor "Columbus" wie auch am "Automated Transfer Vehicle" (ATV), ein vielseitig einsetzbares Fahrzeug zum Beispiele für Ver- und Entsorgungsaufgaben oder Lieferung und Abholung von infrastrukturellen Bauteilen für die Raumstation.
Columbus ist ein Forschungsmodul, das an der ISS andocken kann und Wissenschaftlern erlauben wird, Forschungen in der Schwerelosigkeit durchzuführen – Das ist bis jetzt der größte Beitrag der ESA zur ISS. ATV soll vor allem helfen Versorgungslücken zu schließen, wenn der Space Shuttle, wie jetzt nach dem Absturz der "Columbia" im Frühjahr 2003 nicht fliegt. Aufgrund der Engpässe mussten wir nämlich die Besatzungszahlen auf der ISS auf zwei reduzieren. In der Zukunft soll der Transport von Menschen und Materialien getrennt sein. Derzeit ist die ISS immer noch abhängig vom Space Shuttle, das soll sich künftig ändern.
Wie ist die Position der ESA im Vergleich zur NASA? Sehen sie sich als Konkurrenten?
Natürlich gibt es Konkurrenz, denn jeder will der Erste mit bestimmten Forschungsergebnissen sein. Auf der anderen Seite arbeiten wir aber auch eng zusammen, zum Beispiel im Falle der ISS. Die DLR finanziert 41 Prozent der Europäischen Beiträge zur ISS.
Wodurch unterscheiden sich die europäischen von den russischen, chinesischen und US-amerikanischen Ambitionen im All?