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Politik

Ein neues Kapitel für den Sudan

Nermin Ismail
20. August 2019

Für gut drei Jahre soll die Macht im Sudan geteilt werden: Militär und Opposition wollen gemeinsam das Land regieren. Dann folgen demokratische Wahlen. Die Euphorie in der Bevölkerung ist groß, doch es gibt auch Sorgen.

Sudan, politische Unruhe
Militär und Opposition unterzeichneten eine Verfassungserklärung, die den Weg für die geplante Übergangsregierung ebnetBild: Getty Images/E. Hamid

"Madanya, Madanya (zivile Regierung, zivile Regierung)", skandieren Menschen in Feierlaune die ganze Nacht über auf den Straßen der Hauptstadt Khartum. Nach dem Sturz des langjährigen Diktators Omar al-Baschir im April feiert die Protestbewegung einen weiteren Meilenstein auf dem Weg in eine, so hoffen viele, demokratische Zukunft. Doch der Weg dorthin ist noch weit. Nach monatelangen Verhandlungen werden die Vertreter von Militär und oppositioneller Demokratiebewegung erst einmal gemeinsam das Land führen.

Die Sudanesen haben 30 Jahre Diktatur hinter sich. Sie feiern die Teilung der Macht in ihrem Land.Bild: Reuters/M. Nureldin Abdallah

In Anwesenheit von Regierungschefs aus der Region unterzeichneten beide Seiten am Samstag einen Fahrplan für die kommenden Wochen. Ein Rat aus Militärangehörigen und Zivilisten soll in den nächsten Tagen eine Übergangsregierung ernennen, die für drei Jahre und drei Monate die Macht in ihren Händen halten soll. Sie muss sich über den künftigen Kurs des Landes verständigen und demokratische Wahlen vorbereiten, die 2022 abgehalten werden sollen.

Kein Vertrauen in das Militär

Auf Seiten der Protestbewegung gibt es durchaus Zweifel, wie ernst es die Militärs mit dem demokratischen Prozess meinen. Nach dem Sturz von Staatspräsident al-Baschir hatten die Offiziere noch die Macht unter sich aufgeteilt und waren erst nach internationalem Druck an den Verhandlungstisch gekommen. Nach zähem Ringen einigten sie sich schließlich auf einen Kompromiss mit den Forces of Freedom and Change (FCC), der wichtigsten zivilen Oppositionskoalition.

Eine schwere Bürde für die Übergangsregierung dürfte vor allem das Massaker Anfang Juni in Khartum sein. Damals töteten Sicherheitskräfte in der Hauptstadt mehr als 100 Menschen, um den Protesten im Land ein Ende zu bereiten. Philipp Jahn von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Khartum beschreibt im DW-Gespräch eine zwiespältige Atmosphäre: "Viele Menschen feiern, anderen ist nicht zum Feiern zumute. Zu hoch waren die Verluste, die sie dafür in Kauf nehmen mussten. Die Euphorie, die wir vor der Auflösung der Sitzblockade im Juni hatten, ist nicht mehr zu spüren.“

"Kaltblütig getötet"

Die Studentin, die die Proteste gegen al-Baschir führte, kann die Gewalt des Militärs nicht vergessenBild: Getty Images/AFP

Sudans Revolutionsikone Alaa Salah, die zum Gesicht des Aufstands in ihrer Heimat wurde, ist ebenfalls nur vorsichtig optimistisch. Auch sie stellt sich die Frage, ob die Machtteilung der erhoffte große Schritt in Richtung Demokratie ist. "Wir müssen abwarten und schauen, ob der Übergangsrat des Militärs seinen eingegangenen Verpflichtungen auch nachkommen wird. Sie haben es in der Vergangenheit nicht getan und Demonstranten kaltblütig getötet.“

Im "Souveränen Rat" sollen fünf Militärs, fünf Oppositionelle und ein weiteres gemeinsam ernanntes Mitglied sitzen. Der Rat löst den Militärrat ab und überwacht die Ernennung der Übergangsregierung, die aus Zivilisten besteht und wohl vom UN-Wirtschaftsexperten Abdallah Hamdok als Regierungschef geführt werden wird.  

Eine Ausnahme bilden Verteidigungs- und Innenminister, die vom Militär besetzt werden. Die Armee soll die ersten 21 Monate den Rat führen - die Opposition die darauffolgenden 18 Monate. Die Ernennung der Mitglieder des souveränen Rates hatte sich verzögert. Bislang wurden Oppositionskreisen zufolge nur fünf davon bestätigt.

Einfluss der Militärs

"Entscheidend ist die Frage, wer den Sudan in drei Jahren führt. Wenn es dann zu Wahlen kommt, dann wird sich zeigen, wie stabil der Sudan wird“, meint Beobachter Philipp Jahn von der Ebert-Stiftung. Nach der offiziellen Teilung der Macht sind freie Wahlen das nächste große Ziel. Ob sich das Militär von der Macht zurückdrängen lässt, ist unklar. Wie viel Einfluss die Militärs über den Rat ausüben können ebenfalls.

Philipp Jahn beobachtet eine schwindende Euphorie im VolkBild: privat

Abdallah Hamdok wird als Premierminister seinen Fokus wohl erst einmal auf die wirtschaftliche Erholung richten. Die desolate wirtschaftliche Lage hatte den Aufstand gegen den Autokraten Baschir im Dezember mit ausgelöst - damals waren die Preise für Brot und Benzin erhöht worden, was für massiven Unmut in der Bevölkerung gesorgt hatte. 

Menschenwürdiges Leben

Nach den blutigen Protesten gegen die Herrscher sehnen sich viele Sudanesen nach Frieden und Ruhe. Philipp Jahn: "Ein menschenwürdiges Leben für die Sudanesen zu organisieren, wird die Hauptaufgabe in den nächsten drei Jahren sein. Es gibt hier immer wieder Stromausfälle, kaum Benzin - und die Preise explodieren."

Sudans Ex-Präsident Omar al-Baschir steht vier Monate nach seinem Sturz erstmals vor GerichtBild: Getty Images/AFP/E. Hamid

Die sudanesische Journalistin Dorra Mokhtar glaubt dennoch, dass die Menschen das Schlimmste hinter sich haben. "Die Menschen sind vorsichtig, weil das System von al-Baschir immer noch in den höchsten Rängen des Militärs existiert. Aber sie sind auch ein bisschen optimistisch, weil eine neue Ära angebrochen ist." 

Parallel zur Bildung der Übergangsregierung hat gegen Ex-Machthaber al-Baschir ein Korruptionsprozess in Khartum begonnen. "Er hat aber viel mehr getan. Die Sudanesen erwarten, dass alle Menschen zur Rechenschaft gezogen werden, die für so viel Leid und Ungerechtigkeit seit 1989 in diesem Land gesorgt haben."

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