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Politik

Ein neues Leben in Großbritannien

Abigail Frymann Rouch London
6. Januar 2017

Nach der Schließung des sogenannten "Dschungels von Calais" vor drei Monaten kamen hunderte Jugendliche nach Großbritannien. Abigail Frymann Rouch berichtet aus London, wie sich die jungen Flüchtlinge einleben.

Frankreich Calais Flüchtlinge Regenschirm Union Jack
Bild: Imago/Future Image

Der 32-jährige Bashar Farahat zeigt ein Foto, auf dem ein schlanker Teenager vor einem Computer sitzt und grinst. Auf dem nächsten Foto ist ein anderer Junge zu sehen. Er trägt eine Wollmütze und einem Wintermantel und sitzt an einem Schultisch, der zu kurz für seine langen Beine ist - trotzdem hat auch er ein ein breites Grinsen auf dem Gesicht.

"Sie scheinen wirklich glücklich zu sein, vor allem in der Schule", sagt Farahat. "Wie es in ihnen aussieht, weiß ich natürlich nicht, aber im Vergleich zu dem, was sie durchgemacht haben, leben sie hier wie im Himmel." Farahat kam selbst als Flüchtling aus Syrien. Jetzt hilft er einer Schule in London, die vier Jungen aufgenommen hat, die aus dem mittlerweile aufgelösten "Dschungel"-Flüchtlingscamp in Calais kamen.

Die Jungen trafen sich in in der französischen Küstenstadt. Sie waren aus der sudanesischen Dafur-Region geflohen und über Libyen, dass Mittelmeer und Italien nach Frankreich gekommen. Farahat sagt, dass sie über die Flucht nicht sprechen wollen. "Sie fragen mich nur, wie sie Englisch lernen und sich hier ein neues Leben aufbauen können", sagt er der DW. "Es geht immer um die Zukunft, nicht die Vergangenheit."

Farahat war Kinderarzt in Syrien, bevor er auf Drängen seiner Familie floh. Das Assad-Regime hatte ihn gefoltert, weil er sich für Demokratie einsetzte. Seinen vier jungen Schützlingen hat er bereits 18 Monate in Großbritannien voraus.

Bashar Farahat kommt aus Syrien und unterstützt junge Flüchtlinge in GroßbritannienBild: Oasis

Die Jungen besuchen an drei Tagen in der Woche eine Schule, die von der christlichen Hilfsorganisation Oasis UK geführt wird. Sie bekommen Unterricht in Mathematik, Englisch und Sport und lernen mithilfe von Spielen auf leicht zu verstehendem Englisch. Die Lehrer, die sie unterrichten, tun dies zusätzlich zu ihrem normalen Stundenplan. Muslimische Mitschüler unterhalten sich mit den vieren auf Arabisch.

"Ich bringe ihnen Englisch bei, von dem ich weiß, dass sie es brauchen", sagt Farahat. "Zum Beispiel Vokabeln zum Busfahren und um mit dem Fahrer zu sprechen. Ihr Hörverständnis ist sehr gut, aber mit dem Sprechen haben sie Schwierigkeiten."

Noch ein weiter Weg

Vor drei Monaten ließen Frankreich und Großbritannien das umstrittene Flüchtlingslager räumen und versprachen, einige Bewohner aufzunehmen. Laut des britischen Innenministeriums hat Großbritannien bisher etwa 750 minderjährige Flüchtlinge aufgenommen. Einige von ihnen haben Verwandte in Großbritannien, andere wurden dank einer Gesetzesänderung aufgenommen, die 2016 in Kraft trat.

Im November beschränkte das Innenministerium diese allerdings auf die Aufnahme von Kindern unter 12 Jahren, beziehungsweise unter 15 Jahren für syrische und sudanesische Kinder und unter 18 Jahren für Flüchtlinge mit jüngeren Geschwistern. Hilfsorganisationen nannten den Schritt "willkürlich, grausam und möglicherweise illegal".

Steve Chalke hat die Hilfsorganisation Oasis UK gegründetBild: Oasis/Mark Sherratt

Im vergangenen Monat verklagte eine Gruppe von 36 Kindern, die aus dem "Dschungel von Calais" kamen, die britische Innenministerin Amber Rudd. Die Asylanträge von 28 der Kinder wurden abgelehnt. Sie beschuldigen die britische Regierung, sich nicht an das geänderte Gesetz zu halten.

Minderjährige Flüchtlinge, die nach Großbritannien kommen, werden zunächst in Übergangsunterkünften untergebracht, bevor sie zu Verwandten oder einer Pflegefamilie ziehen. Zudem bat das Innenministerium die Hilfsorganisation Oasis UK, eine Unterbringung für Kinder aufzubauen. Seit Oktober hat die Organisation in diesem "safe house" 40 Jungen aus dem ehemaligen Flüchtlingslager in Calais untergebracht. Die Regierung deckt die Grundkosten, die Hilfsorganisation kommt für Zusätzliches auf. Einige Jungen bleiben nur wenige Tage, andere für ein paar Monate.

Besser als erwartet

Oasis UK-Gründer Steve Chalke sagte der DW, die Jungen seien bei der Ankunft in London schüchtern, aber die Angestellten in der Unterkunft "waren von ihrer Höflichkeit beeindruckt". In einem Programm, das Teamwork und Interaktivität fördern soll, spielen die Jungen Tischtennis, Karten, Billard und Videospiele. Chalke sagt, die jungen Flüchtlinge genossen es bald, einfach nur Spaß zu haben und erinnerten ihn an seine eigenen Söhne. Für die Jungen gibt es außerdem Benimmregeln. Zudem treffen sich Freiwillige mit ihnen, damit sie nicht isoliert leben.

24 Stunden im Leben eines Flüchtlings

05:46

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Chalke betont, dass das Verhalten der Kinder besser sei als erwartet: Es habe zwar einige Wutanfälle gegeben, aber die Polizei musste nicht gerufen werden. Andere Oasis UK-Angestellte berichten zudem von psychischen Problemen, unter anderem "post-traumatischen Belastungsstörungen, Schuldgefühlen, Scham, Depressionen, Angststörungen und Rückzug". Außerdem haben einige der jungen Flüchtlinge Bronchitis, eine Lungenentzündung, Hepatitis B, Syphilis, Würmer, Allergien oder Hautprobleme.

Die Reise der meisten jungen Menschen, die es bis nach Großbritannien geschafft haben, war keine leichte. Auch wenn die wenigsten über ihre Vergangenheit sprechen wollen, öffnen sich hin und wieder einzelne doch. Und so kommt es, dass Steve Chalke auch Geschichten wie diese, zu hören bekommt: "Der Vater einer der Jungen wurde vor seinen Augen ermordet, dann wurde er von der Gang, die seinen Vater getötet hatte, im Menschenhandel verkauft. Er kam ohne Papiere nach Libyen, wurde verhaftet und musste für sechs Monate ins Gefängnis, wo er regelmäßig vergewaltigt wurde. Er konnte fliehen und kam in eine Gruppe von Menschen, von denen er dachte, er würde ihnen etwas bedeuten. Sie gaben ihm Essen und Kleidung - aber dann fand er heraus, dass es Kämpfer des "Islamischen Staates" waren. Er konnte vor ihnen fliehen, verlor dabei aber fast sein Leben. Er bestieg ein Boot nach Europa, das sank und er sah wie die Menschen um ihn herum ertranken. Er schaffte es und lief durch Italien und Frankreich oder fuhr hinten auf Zügen mit. Dabei brach er sich den Arm. Schließlich kam er nach Calais, wo er neun Monate im Schlamm lebte." Jetzt ist der Junge in Großbritannien, sein Horrortrip ist vorbei.

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