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Neues Leitmotiv für Europa

Sabine Kinkartz1. März 2014

Die Wirtschaftskrise hat auch politisch viel zerstört. Von der europäischen Idee ist erschreckend wenig übrig. Jetzt soll es die Kultur richten - so hoffen zumindest Kanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsident Barroso.

Symbolbild Europa Europaflagge mit Wegweiser zu Hauptstädten in Europa
Bild: Fotolia/montebelli

2008 wird im Rückblick wohl immer ein schwarzes Jahr bleiben. Mit der Finanzkrise implodierte eine Entwicklung, die vor allem auf Gewinnoptimierung und die Selbstregulierung der Märkte gesetzt hatte, und riss alles mit sich. Millionen Menschen verloren in der Wirtschaftskrise ihre Arbeit. Vor allem in den südeuropäischen Ländern leiden viele Menschen bis heute unter den Folgen der Krise.

Die Politik reagierte auf den wirtschaftlichen Infarkt, indem sie sich zum Buchhalter machte. Mehr Aufsicht, mehr Regulierung, mehr Vorschriften. Die Begriffe Wirtschaft und Finanzen wurden zum alles überlagernden Leitmotiv. Die Folgen sind verheerend. Wohl nie zuvor haben sich so wenige EU-Bürger als Europäer gefühlt. Ein neuer Nationalismus hat sich breit gemacht, genährt durch längst überwunden geglaubte populistische Vorurteile und das Gefühl, es werde besser laufen, wenn man sich nur auf sich selbst besinnt.

Politiker suchen Beistand

Die Politik ist alarmiert, gleichzeitig wirkt sie in gewisser Weise hilflos. Wie kann wieder mehr Gemeinsamkeit entstehen? Um auf diese Frage eine Antwort zu finden, hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gemeinsam mit dem EU-Parlament vor einem knappen Jahr die Initiative "New Narrative for Europe" ins Leben gerufen, auf deutsch: "Ein neues Leitmotiv für Europa".

Ein Kulturausschuss wurde eingerichtet, in dem 20 prominente Kunst- und Kulturschaffende, Intellektuelle und Wissenschaftler vertreten sind und der so etwas wie eine Zukunftsvision für Europa entwerfen sollte. In Berlin wurde am Samstag (01.03.2014) nun im Beisein von Kommissionspräsident Barroso und Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Abschluss-Erklärung vorgestellt.

Auf der Suche nach einer neuen Vision für Europa: Angela Merkel und José Manuel BarrosoBild: picture-alliance/dpa

Darin wird nicht weniger als ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel gefordert, "eine Art neue Renaissance von der Dimension des geistigen Erwachens im 15. und 16. Jahrhundert." Wie damals, müsse auch jetzt ein Umbruch in Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft erfolgen.

Die Botschaft des Kulturausschusses an die Politik fällt deutlich aus. Sie müsse komplett umdenken: "Wirtschafts- und Finanzvorschriften sind zweifelsohne wichtig – trotzdem müssen die Schwerpunkte in der politischen Physis Europas neu justiert werden." Die Politik müsse von der Kunst lernen, neue und radikale Denkansätze zu wagen. Gefragt seien "mutige, erfindungsreiche und informierte Politikerinnen und Politiker, die die Sprache der neuen politischen Gestalt Europas sprechen und verstehen.“

Die Arbeit beginnt erst

Doch was heißt das alles konkret - und wie sollen die Empfehlungen umgesetzt werden? EU-Kommissionspräsident Barroso betont, dass die Erklärung kein Abschluss sei, sondern einen Aufbruch markiert. Wichtig sei, jetzt möglichst viele Menschen dafür zu gewinnen, die neue Vision von Europa mit Leben zu füllen. Vor allem die junge Generation, die sich weniger mit dem identifiziere, was Europa bisher ausgemacht hat, müsse begeistert werden. "Wie in einem Buch kann man nicht ewig auf den ersten Seiten verweilen, auch wenn sie noch so schön waren."

Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnt allerdings an, bei der Suche nach einem neuen Leitmotiv für Europa die drei Ur-Motive, also das Versprechen auf Frieden, auf Freiheit und auf Wohlstand, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Bundeskanzlerin Merkel zum neuen Leitmotiv für Europa

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"Viele sagen ja, dass der Friedensauftrag nunmehr erfüllt sei, aber wenn wir genau hinschauen, dass ist der letzte Krieg, der auf dem westlichen Balkan, nicht einmal eine Generation her ist und dass wir immer noch zu arbeiten haben, um dort dauerhaften Frieden zu sichern." Nach wie vor gelte es, extremistischen, menschenverachtenden Tendenzen, die es im Europa von heute "leider auch" gebe, immer wieder hartnäckig entgegenzutreten. "Hass, Gewalt, Terrorismus, das Auftreten gegen Minderheiten, all das ist auch in Deutschland und nicht nur hier nach wie vor Realität."

Ist Freiheit zu selbstverständlich geworden?

Die Bundeskanzlerin ist in der DDR aufgewachsen. Als junge Wissenschaftlerin habe sie in Berlin gelebt und die Mauer jeden Tag vor Augen gehabt. Sie habe immer gehofft, aber nie geglaubt, dass sich an der Unfreiheit der DDR etwas ändern würde, dass sie jemals durch das Brandenburger Tor spazieren könnte.

Heute sei es für die junge Generation hingegen selbstverständlich, dass sie als Studenten an anderen Hochschulen in Europa studieren könnten: "Ich finde, das ist etwas wunderbares, was meine Generation so noch nicht hatte." Doch gerade darin liegt für die Kanzlerin auch ein Grund für die Unzufriedenheit, die sich breit macht. "Die Gefahr besteht darin, dass es so selbstverständlich geworden ist, Europa leben zu können, dass man sich gar nicht mehr vor Augen führt, wie es auch noch sein könnte", so Merkel. Vielleicht müsse man ab und zu mal "Schengen außer Kraft setzen und die Menschen überall Ausweise vorzeigen lassen", mahnt sie.

Über Jahrzehnte versperrte die Mauer den Weg durch das Brandenburger TorBild: picture-alliance/dpa

Was kann jeder Einzelne für Europa tun?

Auch Angela Merkel ist allerdings klar, dass Europa seine Bürger nur begeistern kann, wenn es ihnen über die Reisefreiheit hinaus spürbare Vorteile bringt. Wachstum und Wohlstand seien genauso wichtig. "Nur wenn unser europäisches Wirtschafts- und Sozialmodell ökonomisch auch dauerhaft erfolgreich ist, werden wir auch in der Welt andere finden, die sagen, dieses Modell ist lebbar."

Die Bundeskanzlerin, aber auch EU-Kommissionspräsident Barroso hoffen, dass mit der Erklärung zum neuen Leitmotiv für Europa eine Entwicklung angestoßen wird, die wieder mehr Menschen dazu bringt, sich mit dem europäischen Gedanken zu beschäftigen und ihn mit Leben zu füllen. Natürlich stünden auch die Politiker in der Verantwortung, sie müssten zusammenhalten und ihre Entscheidungen verteidigen, meinte Barroso. Darüberhinaus hätten aber auch die Bürger eine Verantwortung: "Frage nicht, was Europa für dich tun kann, sondern frage dich, was du für Europa tun kannst."

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