Ein Papst der Kontraste und der Superlative
22. Oktober 2003Keine Frage - Johannes Paul II. ist ein Papst der Superlative, einer, der bereits zu Lebzeiten zu recht das Prädikat "historisch" trägt. Der Blick auf nur wenige Fakten belegt dieses Urteil: Er war der erste Papst, der in einer lutherischen Kirche predigte, in einer jüdische Synagoge betete und eine islamische Moschee besuchte. Sein "Mea culpa", sein Schuldeingeständnis und die Bitte um Vergebung für die Grausamkeiten, die namens der katholischen Kirche den Angehörigen anderer Religionen angetan wurden - das ist kirchengeschichtlich ohne Vorbild. Und natürlich das offensichtlichste, das fast sinnbildlich für sein Pontifikat steht: der reisende, der global präsente Papst. 102 Auslandsreisen haben ihn in über 130 Länder geführt, wohl kaum ein Mensch vor ihm hat zu einer solchen Vielzahl von Menschen persönlich gesprochen.
Erster Slawe im Papstamt
Als "historisch" galt bereits seine Wahl vor 25 Jahren: Er war seit nahezu 500 Jahren der erste Nicht-Italiener, der erste Slawe überhaupt im Papstamt. Damals - noch mitten im Kalten Krieg - galt die Wahl des Polen Karol Wojtyla als Ungeheuerlichkeit, als Provokation der Machthaber hinter dem Eisernen Vorhang. Das Kalkül, das 1978 mit seiner Wahl verbunden gewesen sein mag - es ist mehr als aufgegangen: Der Einfluss von Johannes Paul II. auf den Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa ist unbestreitbar. Ronald Reagan und Michail Gorbatschow - und wer könnte es besser wissen? - haben ihm eine entscheidende Rolle in diesem Zusammenhang bescheinigt.
Gegen Konsum-Wahn
Dennoch - Johannes Paul II. hat sich von weltlichen Instanzen nie vereinnahmen lassen. Genau so, wie er totalitäre Regime jeglicher Art gebrandmarkt hat, kritisiert er bis heute die Konsum-Orientierung der freien westlichen Gesellschaften. Und wer immer ihm begeistert applaudierte für seinen Einsatz gegen Kriege und Gewalt - wie beispielsweise im Frühjahr dieses Jahres für seine scharfe Kritik am Irak-Krieg - musste zugleich zur Kenntnis nehmen, dass der Schutz des Lebens für ihn auch das Ungeborene und das nicht mehr als lebenswert Erachtete mit einschließt. Johannes Paul II. ist theologisch konsequent und kompromisslos: Embryonenforschung, Abtreibung und Euthanasie sind für ihn ebenso verwerflich wie das Töten durch Krieg oder Terror - auch wenn die Gesetze vieler Staaten heute anderes festschreiben.
Streitbar
Johannes Paul II. war und ist bis heute ein streitbarer Papst, auch innerhalb seiner Kirche. Mit seinem gleichfalls kompromisslosen Nein zu jeder Form der Geburtenkontrolle, dem Verbot von Kondomen selbst in Ehen, in denen sich ein Partner mit AIDS infiziert hat, dem Frauen-Priestertum und der Praxis der Ökumene mit evangelischen Christen sorgt er selbst unter kirchentreuen Katholiken für Kopfschütteln. Dieser Papst - so die Kritik vor allem aus Europa, weniger laut aber auch aus anderen Weltregionen - habe sich längst von der Lebenswirklichkeit in ihren Gesellschaften verabschiedet.
Blick auf Nachfolge
Die Hoffnung seiner Kritiker ruht auf dem Nachfolger. Denn auch daran besteht kein Zweifel - die Amtszeit des inzwischen krank und gebrechlich gewordenen Papstes neigt sich dem Ende zu, über den Jubiläumsfeiern in Rom liegt ein Schatten von Endzeitstimmung. Doch wenn eines Tages die rund 130 stimmberechtigten Kardinäle zur Wahl seines Nachfolgers zusammenkommen werden, wird ein weiteres Verdienst dieses Papstes sichtbar werden: Das Kardinals-Kollegium, das Johannes Paul II. größtenteils selbst bestimmt hat, ist so international geworden wie nie zuvor. Die römisch-katholische Kirche, die von Europa aus die anderen Kontinente missioniert hat - unter Johannes Paul II. ist sie auch an der Spitze zu einer wirklichen Weltkirche geworden.