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Parlamentswahlen in Portugal

Jochen Faget3. Oktober 2015

Portugals Politiker tingeln im Wahlkampf von Ort zu Ort. Meinungsforscher prophezeien ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen konservativer Regierung und Sozialisten. Aus Lissabon berichtet Jochen Faget.

Regierungskoalition im Wahlkampf (Foto: Faget)
Anhänger der Regierungskoalition "Portugal à Frente" im StraßenwahlkampfBild: DW/J. Faget

Mit bunten Fähnchen steht die Parteijugend ungeduldig am Kreisverkehr vor der Freiwilligen Feuerwehr, aus einem Lautsprecherwagen dröhnt seit fast einer Stunde die Wahlkampfhymne im portugiesischen Disco-Sound: "Wir werden immer mehr –hey!" Wer nichts anderes zu tun hat, steht am Straßenrand und wartet auf Ministerpräsident Pedro Passos Coelho. An einem Werktag um elf Uhr morgens sind das im nordportugiesischen Provinzstädtchen Arcos de Valdevez nicht übermäßig viele. Immerhin, für ein kleines Bad in der Menge reicht es. Vor allem, nachdem der örtliche Wahlkampfmanager die Parteifahnenschwenker aus den Nachwuchsorganisationen die Straße hinauf zum Markt geschickt hat. Der Ministerpräsident ist am anderen Ende der Straße angekommen, die organisierte Begeisterung muss 500 Meter weiter oben stattfinden.

Anhänger der Sozailisten bei einer Wahlkampf-KundgebungBild: DW/J. Faget

Zwei Wochen Rummel

Wahlkampf in Portugal ist zwei Wochen Rummel auf der Straße und in Gasthäusern: Küsschen für Kinder und Seniorinnen im Gedränge, Schwätzchen mit Fischfrauen in Markthallen und redenverlängerte Abendessen mit Parteifreunden und -sympathisanten. Alles massiv von den Medien begleitet und berichtet; da geht es den Politikern vor allem darum, gut rüber zu kommen, nicht etwa um programmatische Aussagen.

Ansonsten betont die rechtsliberale Regierung aus PSD, der größeren, eher in der Mitte stehenden Partei und der stramm rechten, kleineren CDS-PP ihre Erfolge an der Macht: Vor allem, dass sie das EU-Rettungsprogramm erfolgreich beendet hat und Portugal so angeblich aus der Krise geführt habe, betonen ihre Vertreter. Noch sei die Krise nicht völlig vorbei, halten die Sozialisten von der PS, die eigentlich Sozialdemokraten sind, dagegen. Und die Kosten der sehr umstrittenen Austeritätspolitik hätten das Volk viel zu hart getroffen, vor allem der Mittelschicht gehe es jetzt schlechter als vorher.

Wähler nicht begeistert

Begeisterung will in diesem Wahlkampf bei den Bürgern nicht aufkommen. "Ich verdiene nicht einmal 700 Euro im Monat, muss mit jedem Cent rechnen", sagt ein Mann am Straßenrand in Arcos de Valdevez. "Daran wird sich auch mit einem anderen Regierungschef nichts ändern." Denn nicht nur Ministerpräsident Passos Coelho bekennt sich zum Weitersparen. Auch sein Gegenkandidat António Costa und dessen PS stützen den von der EU vorgegebenen Kurs. Auch sie wollen an der Gemeinschaftswährung und der Rückführung des Haushaltsdefizits festhalten. Klar gegen die Sparpolitik und notfalls auch den Euro haben sich nur kleine Linksparteien ausgesprochen, die jedoch keinen Einfluss auf das Wahlergebnis haben dürften.

Der Premier setzt auf internationale Erfahrung: Pedro Passos Coelho bei einem Termin in LondonBild: Reuters/R. Marchante

"Mehr Kaufkraft für die Familien" fordert derweil immer wieder der Sozialist António Costa. Trotz des Sparzwangs sei es möglich, Steuern zu senken, die chronisch niedrigen Einkommen der Portugiesen zu erhöhen. Am Vormittag hat der Kandidat ein Gymnasium und die Musikschule der Industriestadt Águeda besucht und beim Mittagessen gegen das große Haushaltsdefizit gewettert. Nach Zwischenstopps im Provinznest Oliveira de Azemeis und in Porto nennt er jetzt, beim Abendessen in der Sozialistenhochburg Vila do Conde, Ministerpräsident Passos Coelho und dessen Stellvertreter Paulo Portas vom Koalitionspartner CDS-PP Taschenspieler und Lügner. Die Zuhörer, es sind rund tausend, klatschen begeistert und schwenken PS-Fahnen. Danach gibt es Stockfisch.

Sozialisten: Notfalls Minderheitsregierung

Jedes Land habe seine eigenen Probleme, für die es Lösungen finden müsse, erklärt Costa im Interview. Portugal werde natürlich eingegangene Verpflichtungen erfüllen. Aber der Euro müsse als Gemeinschaftswährung auch den Bedürfnissen von wirtschaftlich schwächeren Ländern wie Portugal und Spanien gerecht werden. "Es kann keine Einheitslösung für die Probleme der verschiedenen Länder geben", kritisiert Costa dann doch leicht die Austeritätspolitik. Falls die PS nach der Wahl zwar stärkste Partei wird, die absolute Mehrheit jedoch verfehlt, will Costa eine Minderheitsregierung bilden: "Dann werden wir uns im Parlament eben die Mehrheiten suchen, die die Durchführung unseres Regierungsprogramms ermöglichen."

Herausforderer verspricht Kontinuität: Antonio Costa von der Sozialistischen ParteiBild: DW/J. Faget

Vor dem gleichen Problem könnte auch der Noch-Ministerpräsident Passos Coelho stehen. Die Meinungsumfragen, die in Portugal jedoch oft ebenso unzuverlässig wie in Griechenland sind, versprechen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Regierungskoalition und der PS. Gut möglich, dass beide Gruppierungen die absolute Mehrheit im nächsten Parlament verfehlen. Dann schlüge die Stunde der Linksparteien, denn eine 'große Koalition' haben alle Beteiligten vor der Wahl ausgeschlossen. Die noch immer sehr dogmatischen Kommunisten oder die populistischen Linken vom Bloco da Esquerda allerdings fordern Zugeständnisse, um eine PS-Regierung zu tolerieren, die die Sozialisten kaum machen werden.

Regierungskoalition hofft auf neuen Sieg

Aber es kann ja auch der alte Chef der neue werden: "Ich spüre, das Vertrauen wird von Tag zu Tag größer", freut sich Passos Coelho bei einer Rede im Bilderbuchstädtchen Ponte de Lima in der nordportugiesischen Region Minho. Passos Coelho, den die Meinungsforscher noch vor wenigen Wochen für politisch tot erklärt hatten, trumpft auf: Anders als Griechenland sei Portugal unter seiner Regierung zur Erfolgsstory geworden. Während hier die Arbeitslosigkeit sinke und die Wirtschaft wieder wachse, beginne Griechenland ein drittes Rettungspaket, müsse dort noch mehr gespart werden.

Bauern und Kleinunternehmer sitzen an den Tischen, nicken zustimmend, während sie ihre Fahnen für den Kandidaten schwenken. Der Norden ist streng katholisch und konservativ, hier wird die Regierungskoalition mit Sicherheit viele Stimmen gewinnen. Ob das reicht, um Portugal auch in Zukunft zu regieren, wird sich am Wahltag, dem 4. Oktober, zeigen.

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