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Ein Psalm kann in Krisen helfen

22. November 2014

Diagnose Krebs. Ein schwerer Schock für alle Betroffenen. Halt geben medizinische Betreuung, andere Menschen, aber auch Worte, die innere Freiräume eröffnen. Für die evangelische Kirche beschreibt das Marianne Ludwig.

Passeiertal Tirol Italien
Bild: picture-alliance/Klaus Wanecek/OKAPIA

„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!“ Während der Bestrahlungstherapie ist dieses Psalmgebet für sie zu einem Geländer geworden. An seinen Worten hält sie sich fest. Sie weiß ja: Die Bestrahlungen sollen verhindern, dass der Tumor in ihrer Brust neu wächst. Aber es kostet viel Kraft. Nicht, dass die Strahlenbehandlung schmerzhaft wäre. Aber mit ihren Gedanken ist sie in dieser Zeit ganz allein. Auf der Liege darf sie sich nicht bewegen und Lagerhilfen schränken jede Bewegung ein. Wie gefangen kommt sie sich anfangs vor, auch wenn sich die Therapeuten alle Mühe mit ihr geben.

„Und ob ich schon wanderte durchs finstere Tal, fürchte ich kein Unheil, denn du bist bei mir.“

Während sie sich auf der Liege ausstreckt, dringen Strahlen in ihren Körper ein, die sie weder sieht, hört oder spürt. Sie weiß, dass ihr die Strahlen helfen werden, aber trotzdem ist ihr unheimlich. Also schließt sie die Augen und konzentriert sich auf ihre innere Welt.

„Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.“ Eine Landschaft erscheint vor ihrem inneren Auge, mit sanften Hügeln und grünen Wiesen. Eine Landschaft, die man durchstreift und die dem Himmel nah ist. Ein Ort, der Geborgenheit und Freiheit zugleich verspricht. Der zum Träumen anregt und zur Gelassenheit. Ein Ort, an dem Angst ein Fremdwort ist. A wie Allein, N wie Narbe, G wie Gefahr, S wie Schrecken und T wie Tumor.

In den ersten Tagen nach der Diagnose stand sie neben sich, als ob sie einer Fremden bei dem nun Folgenden zuschauen würde. Das Gespräch mit ihrem Mann und den Kindern war am schwierigsten, aber weinen wollte sie nicht. Sie sah ja den Schrecken in den Augen ihrer Kinder, den wollte sie nicht noch vergrößern. Ihr Mann war genauso schockiert wie sie, aber sie hielten sich an das, was der Arzt gesagt hat: Die Heilungsperspektive wäre sehr gut. Der Tumor könne mit OP, Bestrahlung und Hormontherapie wirksam behandelt werden. Eine Chemotherapie wäre wohl nicht nötig. Nach und nach beruhigt sie sich. Es wird alles gut. Ihr Mann bestärkt sie, verwöhnt sie geradezu mit Aufmerksamkeit. Fast wie früher, als sie sich gerade kennen gelernt hatten.

Die Operation verläuft ohne Probleme. Als sie im Zimmer aufwacht und die Schwester zum ersten Mal nach ihr sieht, hat sie ein ungewöhnliches Kissen dabei. Es ist geformt wie ein Herz, mit einem bunten Stoff bezogen und passt perfekt zwischen Arm und Schulter. „Das ist ein Gruß von einer Frauengruppe, die dasselbe durchgemacht haben wie Sie. Die Gruppe näht diese Kissen für frisch operierte Frauen. Es hat genau die richtige Form, um Ihren Arm zu entlasten.“ Sie ist überrascht, damit hat sie nicht gerechnet. Sie kuschelt sich tiefer in das Kissen hinein; weich ist es und gibt trotzdem guten Halt. Genau das Richtige jetzt. Es tut gut, dass andere so liebevoll für sie da sind.

Das Kissen nimmt sie mit nach Hause. Es liegt immer auf dem Sessel, wenn sie sich nach den Bestrahlungen ausruht. Für den betroffenen Arm braucht sie es zwar nicht mehr, denn die Wunde ist gut verheilt. Aber ihre Seele braucht weiterhin Halt, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hat. Halt, den ihr andere geben, allen voran ihr Mann. So viele sind da für sie – und die Worte der Bibel: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Und ob ich schon wandere im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück. Dein Stecken und Stab trösten mich.“

Pfarrerin Marianne Ludwig, BerlinBild: EDK

Zur Autorin: Marianne Ludwig (Jahrgang 1958) ist seit Februar 2007 Pfarrerin bei der Bundespolizei mit Dienstsitz in der Bundespolizeiabteilung Blumberg. Sie wurde in Bad Berleburg (Nordrhein-Westfalen) geboren und studierte ev. Theologie und Judaistik in Berlin, Göttingen und Jerusalem. Sie wurde nach dem Vikariat 1989 ordiniert und arbeitet seither überwiegend in der Spezialseelsorge (Ev. Familienbildungsstätte, Kinderklinik, allgem. Krankenhaus). Sie hat derzeit einen Predigtauftrag in der JVA Tegel/Berlin. Marianne Ludwig ist verheiratet und hat drei Kinder.

Verantwortlicher Redakteuer: Pfarrer Christian Engels

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