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Ein Rubens-Gemälde beschäftigt die Justiz

Marina Jung
10. Dezember 2023

Wem gehört "Tarquinius und Lucretia"? Jedenfalls nicht dem russischen Käufer, der es 1999 erwarb, urteilte jüngst ein Gericht. Das Rubens-Bild war im Krieg als Beutekunst verschollen.

Das Rubens-Gemälde "Tarquinius und Lucretia" zeigt einen erbost dreinblickenden Mann, der es auf eine unbekleidete Frau abgesehen hat. Ihr Schoß wird von einem Tuch bedeckt.
Peter Paul Rubens' "Tarquinius und Lucretia" (1610/1611)Bild: SPSG

Das Gemälde des flämischen Malers Peter Paul Rubens (1577-1640) verschwand nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland. Laut der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) galt das Rubens-Gemälde seitdem "als verschollen. Es gehört zu den gravierendsten Kriegsverlusten unserer Stiftung und war lange über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben".  

Vor etwa 20 Jahren wurde es dann in Russland entdeckt - im Besitz des Kunsthändlers Wladimir Logwinenko. Seitdem sind "Tarquinius und Lucretia" Gegenstand deutsch-russischer Auseinandersetzungen, die um die immer gleiche Frage kreisen: Wer ist rechtmäßiger Eigentümer des millionenschweren und weltbekannten Rubens-Werks ?

Fahrt nahm der Streit noch mal auf, als der russische Staatsbürger Logwinenko versuchte, seine Eigentumsrechte in Deutschland anerkennen zu lassen - wenn auch erfolglos, wie nun ein Potsdamer Gericht im November diesen Jahres beschied. 

Wie kam das Rubens-Gemälde nach Russland?

Laut SPSG gehörte "das um 1610/1611 entstandene Gemälde 'Tarquinius und Lucretia' von Peter Paul Rubens zu dem in der Bildergalerie im Potsdamer Park Sanssouci präsentierten Sammlungsbestand. Wie die übrigen Gemälde aus der Galerie wurde es 1942 zum Schutz vor Kriegsschäden nach Schloss Rheinsberg ausgelagert." Die deutsche Seite behauptet, das Gemälde sei danach im Zuge von Plünderungen in die Sowjetunion gelangt.

Die Bildergalerie im Park Sanssouci in Potsdam Bild: Bernd Settnik/dpa/picture alliance

Nach russischer Darstellung hing das Bild 1945 im Schlafzimmer eines Hauses, in dem ein sowjetischer Offizier untergebracht war. Nach dessen Versetzung soll er den gesamten Hausrat, darunter auch den Rubens, mitgenommen haben. Schließlich habe der Händler Wladimir Logwinenko das Bild im Jahr 1999 erworben und es restaurieren lassen. Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelte, stellte ein Verfahren aber 2006 ein, weil sich ein Anfangsverdacht auf eine Straftat nicht bestätigt hatte. Es ging dabei um Bandenhehlerei. 

Ein langwieriger Konflikt 

Das Rubens-Bild ist also schon lange ein Sorgenkind der deutsch-russischen Beziehungen. Sogar die Staatchefs Gerhard Schröder und Wladimir Putin schalteten sich ein. Hannes Hartung, ein in München ansässiger Rechtsanwalt für Internationales Kunstrecht, schrieb in seiner Dissertation zum Thema "Kunstraub in Krieg und Verfolgung": "Nach Intervention der beiden Staatsoberhäupter Wladimir Putin und Gerhard Schröder im September 2003 und der Beschlagnahme auf Ersuchen der Bundesrepublik Deutschland hatte es lange Zeit noch danach ausgesehen, dass eine positive Präzedenz durch die Restitution eines bedeutenden Exponats geschaffen werden könnte." Im Klartext bedeutet das: Es gab gute Chancen, dass das Gemälde nach Deutschland zurückkehren könnte.

Der Kooperationswille der Russischen Föderation sei danach allerdings erlahmt, weil "der gegenwärtige Besitzer darauf bestand, das Gemälde gutgläubig erworben zu haben und die Bundesrepublik Deutschland zudem nicht lückenlos seine Eigentumsstellung sowie genaue Entzugsumstände einer kriegsbedingten Verlagerung nachzuweisen vermochte", so Hartungs Erläuterung.

Logwinenko laut Gerichtsurteil nicht Eigentümer

Im Jahr 2021 rief Logwinenko dann das Potsdamer Landgericht an, um die Anerkennung seiner Eigentumsrechte an dem Gemälde feststellen zu lassen. Im November 2023 urteilte das Gericht: "Der Kläger ist nicht Eigentümer des Gemäldes."

"Das Haupt der Medusa" von Peter Paul Rubens zählt zu seinen bekanntesten WerkenBild: Erich Lessing/akg-images/picture-alliance

Auf Anfrage der DW erklärte das Potsdamer Gericht allerdings, dass der Rechtsstreit dem russischen Recht unterliege, da sich das Bild zum Zeitpunkt des Erwerbs durch Logwinenko in Russland befunden habe. Dass das Gericht dennoch zu seinem Urteil gelangen konnte, geht auf ein Rechtsgutachten zurück, das eingeholt wurde. Demnach kann das Gericht nun die Ansicht vertreten, "dass der Kläger nach dem maßgeblichen russischen Recht nicht Eigentümer des Gemäldes ist, weil er das Eigentum weder durch rechtsgeschäftlichen noch durch gutgläubigen Erwerb erlangt und auch nicht ersessen hat."

Die Folgen des Potsdamer Urteils

Die aktuelle Gerichtsentscheidung aus Potsdam besagt aber weder, dass die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg Eigentümerin ist, noch dass der Unternehmer aus Russland das Bild zurückgeben muss. Dazu teilte die Stiftung der DW mit: "Eine Herausgabe war nicht Gegenstand des bisherigen Verfahrens. Weitere Schritte werden derzeit geprüft."

Warum wandte sich Logwinenko an ein deutsches Gericht?

Eine Anfrage der DW, wozu die gerichtliche Klärung um die Anerkennung des Eigentums dienen sollte und wieso sie in Deutschland stattfand, blieb von der Rechtsanwaltskanzlei Unger aus Berlin, die Logwinenko vertritt, unbeantwortet.

Hannes Hartung, Experte für Kunstrecht, erläutert: "'Tarquinius und Lucretia' steht nach wie vor in allen Verlustregistern. Es gibt die staatliche Datenbank 'Lost Art'. Es gibt auch private Verlustdatenbanken, wie 'Art Loss'. So ein Bild ist für den russischen Besitzer komplett unverkäuflich, solange es als Beutekunst gesucht wird."

Der Anwalt aus München nimmt an, dass dem russischen Investor geraten worden sei, Klage einzureichen: "Viele Menschen hoffen, man könne auf eine Ersitzung plädieren, also man habe das Bild ersessen im guten Glauben und sei deswegen der Eigentümer geworden", so Hartung. (Unter "Ersitzung" wird der Erwerb eines Rechts durch dessen jahrelanges, ungehindertes Ausüben in gutem Glauben (in der Meinung, man sei dazu berechtigt) bezeichnet, Anm. d. Red)

Wieso die Eigentumsfrage so wichtig ist

Der Gang vor Gericht des russischen Bürgers kann also eigentlich nur eines bedeuten: Er möchte den Rubens verkaufen. "Er braucht so eine Art 'Persilschein', den wird er aber nicht bekommen. Diesen 'Persilschein' kann er nur von dem Eigentümer bekommen (Anm. d. Red.: die SPSG). Der weigert sich aber völlig zu Recht und sagt: 'Ich möchte mein Bild zurück'", erläutert Experte Hannes Hartung, der einst den Kunstsammler Cornelius Gurlitt zivilrechtlich vertreten hat. Der Fall Gurlitt geht auf einen großen Kunstfund zurück, der die Frage aufwarf, ob sich unter vererbten Kunstwerken auch NS-Raubkunst befand.

Die Kosten des Potsdamer Verfahrens hat Logwinenko als Kläger zu tragen. Noch kann er in Berufung gehen. Hartung meint, dass sich der Kunsthändler verspekuliert haben könnte. "Er hat gedacht, dass er das Bild irgendwann mit großem Gewinn weiterverkaufen kann. Das ist mit Beutekunst nicht möglich."

Vor 20 Jahren hatte man noch gehofft, dass eine Einigung möglich wäre und "Tarquinius und Lucretia" zurück nach Deutschland käme. Und jetzt? "Die deutsch-russische Beutekunstdebatte ist eingefroren. Wir hatten um 2006/2007 ein sehr offenes Miteinander. Seit dem Krieg in der Ukraine ist die Tür zu und es finden keine Gespräche zwischen Deutschland und der Russischen Föderation statt", resümiert Hannes Hartung. Demnach spricht aktuell nichts dafür, dass das Gemälde bald wieder in Deutschland ist.

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