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Ein Stückchen Firma

Matilda Jordanova-Duda
24. Juni 2021

Angestellte an der Firma zu beteiligen - mit einer Gesetzesreform das soll ab Juli einfacher werden. Für Mittelständler ist das eine Chance, wertvolle Fachkräfte an sich zu binden. Kritik kommt von Startups.

Tortenstück
Bild: Andrey Popov/Imago Images

ZERA aus Königswinter ist ein typischer deutscher "Hidden Champion": 100 Jahre alt, weitab der Metropolen angesiedelt - und nach eigenen Angaben Weltmarktführer in seiner Nische. ZERA stellt Mess-, Prüf- und Kalibrierungstechnik für Elektrizitätsversorger her und verkauft sie weltweit.

Untypisch ist: Die Firma befindet sich komplett in Mitarbeiterhand. Die Liberalisierung des Strommarkts in den 1990er Jahren führte zu einem Auftragseinbruch und 1999 in die Insolvenz. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen retteten das an sich gesunde Unternehmen, indem sie es aufkauften.

Heute sind die 120 Beschäftigten, sogar Auszubildende nach dem ersten Jahr, automatisch Miteigentümer: über eine Gesellschaft, die die Anteile an der ZERA GmbH hält. So halten manche 0,01 Prozent, andere bis zu einem Zehntel an der Firma, schildert Geschäftsführer Horst Wächter. Wie viel das konkret ist, misst sich nach dem aktuellen Bilanzwert.

Die Anteile müssen mindestens fünf Jahre gehalten werden. Für die Mehrheit sei das ein zusätzliches Finanzpolster fürs Alter. Auch während der Corona-Delle hätten die meisten Mitarbeiter ihre Anteile gehalten oder, im Vertrauen auf das langfristige Wachstum, sogar zugekauft, sagt der Geschäftsführer. "Die Leute sehen: Was gut für das Unternehmen ist, ist auch gut für die Mitarbeiter - und umgekehrt."

Motivation durch Rendite

Dennoch sind Betriebe, die zumindest zum Teil ihren eigenen Angestellten gehören, rar in Deutschland. Heinrich Beyer, Geschäftsführer des Bundesverbands Mitarbeiterbeteiligung AGP (Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft), schätzt ihre Zahl auf höchstens 4000. Sie wollen einerseits mehr Eigenkapital bilden, andererseits die Beschäftigten durch Renditen motivieren, die an den Unternehmenserfolg gekoppelt sind.

Für Aktiengesellschaften (hier Siemens) ist Mitarbeiterbeteiligung einfacher als für MittelständlerBild: Daniel Karmann/dpa/picture-alliance

Am einfachsten geht das mit Belegschaftsaktien: Rund 700 börsennotierte Konzerne haben nach AGP-Angaben solche Programme. Siemens beispielsweise ermöglicht auch Geringverdienenden, sich Schritt für Schritt einen Aktienpaket zuzulegen.

Mittelständler sind jedoch meistens keine Aktiengesellschaften, sondern Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) oder Personengesellschaften. Die Firmenchefs scheuen den Verwaltungsaufwand wie auch aus ihrer Sicht lähmende Mitspracherechte, die ein Beteiligung mit sich brächte. Die Beschäftigten befürchten ihrerseits, wenn die Firma krankt, nicht nur ihren Job, sondern auch ihr Erspartes zu verlieren.

Wettbewerbsfaktor

Ludwig Erhardt, erster Wirtschaftsminister der Bundesrepublik und Vater der sozialen Marktwirtschaft, wollte einst eine Gesellschaft von Teilhabern schaffen. Seine Nachfolger behandelten diese Idee bisher stiefmütterlich. Anteile, die der Arbeitgeber kostenlos oder vergünstigt überlässt, gelten als geldwerter Vorteil. Die angestellten Mitunternehmer müssen jetzt Steuern und Sozialabgaben zahlen auf etwas, das ihnen erst in Zukunft zur Verfügung steht.

Lange gab es nur einen winzigen Freibetrag von 360 Euro pro Jahr. Ab Juli, mit dem neuen Fondsstandortgesetz, wird er auf 1440 Euro vervierfacht. Das ist im europäischen Vergleich immer noch wenig, Frankreich, Italien, Irland und andere EU-Länder sind weit großzügiger. Beyer vom Bundesverband Mitarbeiterbeteiligung AGP schwärmt trotzdem von der "bedeutendsten Reform der Mitarbeiterbeteiligung in der Geschichte der Bundesrepublik".

"Es werden viel mehr Unternehmen solche Programme auflegen", glaubt er. Je wertvoller das Knowhow der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sei, desto wichtiger werde es, sie langfristig zu binden. "Der Fachkräftemangel wird der Mitarbeiterbeteiligung einen Schub geben."

Ludwig Erhard (hier 1957): der Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler gilt als Vater des Wirtschaftswunders und der sozialen MarktwirtschaftBild: picture-alliance / akg-images

"Was habe ich davon?"

Metecon, ein Dienstleister aus Mannheim, lebt vom Wissen und der Erfahrung seiner 40-köpfigen hochqualifizierten Belegschaft. Die Unternehmensberatung hilft Medizintechnik-Herstellern, die Zulassung für ihre Produkte zu organisieren. Geschäftsführer Alexander Fink suchte nach einer Möglichkeit, über die üblichen Sach- und Geldprämien hinaus erfolgsabhängig zu belohnen. Vor einem Jahr hat er mit AGP-Hilfe eine "stille Beteiligung" eingeführt: ein Modell mit wenig Verwaltungsaufwand und ohne Mitspracherechte.

Ungefähr drei Viertel der Beschäftigten sind stille Gesellschafter geworden und zwacken dafür mindestens 360 Euro, im Mittel 1100 Euro jährlich von ihrem Gehalt ab. Mitmachen dürfen nur diejenigen, die länger als ein Jahr bei Metecon sind. Das Unternehmen schenkt ihnen 360 Euro dazu und will den höheren Steuerfreibetrag nun dafür nutzen, den Arbeitgeber-Zuschuss nach verschiedenen Kriterien zu staffeln.

Einen bestimmten Prozentsatz des Jahresgewinns schüttet Metecon als Dividende aus. Wer am Gewinn und im Zweifelsfall am Verlust partizipiert, interessiert sich auch mehr für die Unternehmenszahlen, so das Kalkül. Stille Gesellschafter dürfen zwar bei unternehmerischen Entscheidungen nicht mitreden, haben aber das Recht auf Information. Geschäftsführer Fink legt seine Zahlen offen und erläutert seine Pläne. Wichtig sei ihm, dass jeder im Unternehmen weiß: "Was habe ich davon, dass das Unternehmen so gut performt?" Wie bei keiner anderen Anlage habe man die Wertentwicklung zumindest teilweise selbst in der Hand.

Kritik der Startups

Startups haben sich am meisten von der Reform der Mitarbeiterbeteiligung erhofft: Denn allein mit ihren Gehältern sind Jungunternehmen nicht konkurrenzfähig im Wettbewerb um die besten Köpfe. Ein Anteil ist jedoch ein Versprechen auf die Zukunft: Wenn das Startup eines Tages verkauft wird oder an die Börse geht, ist das Firmenstückchen im besten Falle Gold wert. Im Silicon Valley entstehen dann auf einen Schlag zig Millionäre, die ihrerseits in Startups investieren.

Facebook-Chef Mark Zuckerberg im Jahr 2007. An die Börse ging das Unternehmen erst 2012, doch schon wenige Monate nach der offiziellen Gründung 2004 war das Unternehmen eine AktiengesellschaftBild: picture-alliance/AP Photo

Allerdings werden Startups in Deutschland, anders als in den USA, in der Regel nicht als Aktiengesellschaft gegründet, sondern als GmbH. Echte GmbH-Anteile zu übertragen hieße, bei jedem Wechsel im Team zum Notar zu gehen. Deshalb geben die deutschen Gründer nur an wenige ausgewählte Fach- und Führungskräfte virtuelle Optionen aus, die erst mit dem Verkaufserlös versilbert werden. Besteuert werden die "Phantom-Anteile" trotzdem wie reales Einkommen.

Das neue Gesetz bringt zwar den höheren Freibetrag, zudem wird die Einkommenssteuer im Startup-Sonderfall erst nach einer Kündigung oder nach zwölf Jahren fällig. Doch zu diesem Zeitpunkt ist manches Startup zwar üppig bewertet, aber es ist noch kein Geld aus einem Exit geflossen, etwa einer Übernahme. Das sei für die meisten Angestellten riskant, moniert der Verband Deutscher Startups. Statt über Nacht Millionäre zu werden, könnten sie plötzlich hohe Schulden beim Finanzamt haben.

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