Ein Team für Gott
3. Mai 2025
Er sitzt mir gegenüber in der S-Bahn. Und grinst mich freundlich an: „Na, zu lange gefeiert?“ Ich war wohl kurz eingenickt, und in der Zwischenzeit hatte er sich mir gegenüber auf den freien Platz gesetzt. Ich muss lachen. Wir kommen ins Gespräch. Er lebt schon lange in Deutschland. Geboren ist er in Simbabwe. Seine Mutter lebt dort. Er hat in Deutschland studiert, macht Filme. Zum Beispiel darüber, wie Weiße auf Schwarze reagieren oder mit ihnen umgehen. Mit sehr viel Humor hält er Weißen wie mir den Spiegel vor.
Auf seinem Smartphone zeigt er mir einen kurzen Film, den er gemacht hat. Ich schlucke, weil ich mich selbst in der Szene wiedererkenne. Gleichzeitig muss ich lachen, weil der Film mir das mit viel Witz serviert. Da fällt es mir leicht zu sagen: „Ok, Petra, erwischt. Da musst du wohl mal was ändern an deinem Denken und Verhalten.“ Wenn der Filmemacher mich nicht in der S-Bahn angesprochen hätte, ich hätte viel verpasst – nicht nur die Filmszene. Sondern auch seine besondere Sicht auf den Glauben an Gott. Aber dazu später mehr.
Ich liebe es, in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein und Alltagsszenen mitzuerleben. Zum Beispiel wie die Mutter dem kleinen Sohn mit Engelsgeduld erklärt, warum der Notfallhammer oben in der Halterung hängen bleiben muss. Wie die Tochter ihrem Vater beruhigend über die Schulter streicht – sie sind auf dem Weg zum Arzt und unterhalten sich darüber. Oder wie die beiden Jungs sich die Kopfhörer teilen und zur gleichen Musik in der U-Bahn den Körper bewegen. Oft komme ich mit jemandem ins Gespräch, den ich sonst nie in meinem üblichen Umfeld getroffen hätte.
So wird es jetzt verstärkt an diesem Wochenende in Hannover sein. Da sind über hunderttausend Menschen aus ganz Deutschland und aller Welt unterwegs in Bussen und Bahnen. Denn dort findet der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag statt. Ein Kennzeichen der Kirchentage ist: Busse und Bahnen sind voll Gesang. Keine Fußballhymnen, sondern Kirchenlieder. Da wird geschunkelt, gesungen, gelacht. Da kommen Leute miteinander in Kontakt, die sich sonst nie begegnet wären.
Sie diskutieren, beten, streiten, singen…. Über Glauben, Klimaschutz, sexualisierte Gewalt in den Kirchen, Rassismus und Antijudaismus, über Gerechtigkeit und Wege zum Frieden. Selbst wenn es mir manchmal stinkt, mit verschwitzten oder nassgeregneten Fremden dicht an dicht in Bus und Bahn oder einer Messehalle zu sitzen – es ist doch das Wichtigste am Kirchentag: Ich treffe andere und erlebe Gemeinschaft. Es gibt eine Verbindung untereinander. Kirchentage sind Treffen von Gutmenschen: von Menschen, die etwas Gutes für die Welt wollen. Jugendliche und Erwachsene aus allen Lebensbereichen, arm und reich, prominent und unbekannt. Aus Deutschland, Europa, Afrika, Asien, Nord- und Lateinamerika.
„Was machst du beruflich?“, fragt mich der Filmemacher in der S-Bahn. „Ich bin evangelische Pfarrerin.“ Da erzählt er mir von seinem Glauben an Gott. Von seiner Mutter, die Predigerin in Simbabwe ist. Sie predigt nicht nur in einer Kirche, sondern in ganz unterschiedlichen christlichen Gotteshäusern: evangelisch-lutherisch, katholisch, in Pfingstkirchen. Auch Voodoo spielt noch eine Rolle in seinem Herkunftsland im Süden Afrikas.
„Wie geht es deiner Kirche?“, will er von mir wissen. Ich erzähle, dass es viel Erschöpfung und dadurch auch Streit gibt. „Das verstehe ich nicht“, sagt er. „Ihr seid doch ein Team für Gott.“
Genau, denke ich. Das ist es, was auf den Kirchentagen oft viel stärker zu spüren ist als im normalen Kirchenalltag: Wir sind ein Team für Gott. Und zwar in der ganzen Welt. Wir stehen füreinander und für andere ein. Mit Glauben, Mut und Herz, mit Geld und Medizin, wo es nötig ist. Wir beten und singen zusammen und machen einander Mut.
Solche Großtreffen sind Teil des Christentums: Evangelische Kirchentage, Katholikentage, internationale Jugendtreffen von Taizé, der ökumenischen Bewegung aus Frankreich. Oder zuletzt bei der Trauerfeier in Rom für Papst Franziskus. Da haben die Jugendlichen den Trauernden Freude verbreitet. Sie waren zahlreich da, weil Papst Franziskus sie zeitlebens gestärkt hat. Er hat sie immer wieder aufgefordert: Habt Träume und lasst eure Stimmen hören.
„Ihr in der Kirche, ihr seid doch ein Team für Gott.“ Ich denke gern an diesen Satz des Filmemachers in der S-Bahn. An diesem Wochenende des Evangelischen Kirchentages in Hannover besonders. Gott, du kannst auf dein Team zählen! Danke, dass du uns zusammen losschickst.
Das Team für Gott – das ist bunt, voller Musik und Bewegung – und sammelt aus all dem Kraft. Damit es ein starkes Team sein kann für das, was die Welt von den christlichen Gemeinden braucht: Gottes Wort als Kompass im Herzen tragen, mutig Frieden suchen, sich stark machen für die Schöpfung und beherzt für Gerechtigkeit eintreten.
Zur Autorin:
Landespfarrerin Petra Schulze, Jahrgang 1965, ist die Evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR und Leiterin des Evangelischen Rundfunkreferates NRW in Düsseldorf. Sie hat Evangelische Theologie, Publizistik und Sozialpsychologie in Bochum studiert. Nach Tätigkeiten beim WDR Hörfunk und WDR Fernsehen waren ihre beruflichen Stationen im Ennepe-Ruhr-Kreis, Dortmund und bis 2011 als Evangelische Senderbeauftragte für das Deutschlandradio und die Deutsche Welle in Berlin.
Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.