Ein unmoralisches Angebot
9. März 2016Allein der Ort der Zusammenkunft war ein Symbol. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat sich mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu in Izmir getroffen, der Stadt in Kleinasien, wo sich Griechen und Türken kurz nach dem Ersten Weltkrieg erbittert bekämpft haben. Doch in der Flüchtlingskrise finden beide Länder zusammen.
Grund dafür ist der jüngste türkische Vorschlag, mit dem Davutoglu die Teilnehmer des EU-Gipfels am Montag in Brüssel überrascht hatte: Die Türkei wäre demnach bereit, Flüchtlinge und Migranten zurückzunehmen, wenn die EU eine gleiche Zahl von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen aus der Türkei aufnimmt. Sie würden ganz legal nach Europa kommen und wären nicht mehr auf Schlepper angewiesen.
Die Ägäis dürfe nicht länger "ein Meer der Trauer und der Hoffnungslosigkeit sein", sagte Davutoglu mit Blick auf die vielen Ertrunkenen. Und Tsipras fügte hinzu, die gefährliche Überfahrt in kaum seetüchtigen Booten sei "eine Schande für unsere Kultur". Doch Tsipras geht es nicht nur um den humanitären Aspekt. Für Griechenland wäre das türkische Angebot eine große Erleichterung. Denn durch die Sperrung der Balkanroute bleibt das Land auf einer immer größeren Zahl von Migranten und Flüchtlingen sitzen, die eigentlich weiter nach Norden wollen.
Braucht man die Türken überhaupt?
Andererseits müssten sich die übrigen EU-Länder bereitfinden, Syrer aus der Türkei tatsächlich umzusiedeln. Aber schon bisherige Versuche der Umverteilung sind kläglich gescheitert. Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka und Ungarns Regierungschef Viktor Orban haben bereits klargestellt, auf sie solle dabei niemand zählen.
Außerdem führen die Balkanländer gerade vor, dass man sich auch ohne türkische Hilfe durchaus gegen Flüchtlinge abschotten kann, wenn auch auf Kosten Griechenlands. Nachdem Slowenien, Serbien, Kroatien und Mazedonien verkündet haben, dass nur noch Menschen mit gültigem Visum eingelassen würden, ist die Balkanroute praktisch geschlossen.
Trotzdem sieht Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre durchaus Chancen, dass eine gemeinsame europäische Lösung mit der Türkei möglich ist: Wenn ein Gesamtpaket glaubwürdig den Eindruck erwecke, dass die Flüchtlingszahlen deutlich gesenkt würden, "werden viele Mitgliedsstaaten bereit sein, nicht nur dem zuzustimmen, sondern sich auch an einer Umverteilung von Flüchtlingen direkt aus der Türkei zu beteiligen."
Zusammenarbeit mit Erdogan ein "moralischer Zusammenbruch"
Doch es gibt auch grundsätzlichen politischen Widerstand gegen eine Zusammenarbeit mit der Türkei, und zwar quer durch alle Parteien im Europaparlament. So mahnte Manfred Weber, der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, die EU dürfe sich nicht von Ankara unter Druck setzen lassen und müsse in der Lage sein, ihre Außengrenzen selbst zu sichern. Philippe Lamberts von den Grünen spricht angesichts der türkischen Menschenrechtslage von einem "moralischen Zusammenbruch" der EU, dass sie mit so einer Regierung zusammenarbeiten wolle. Marine Le Pen, die Vorsitzende des rechtsextremen französischen Front National, sagte im Europaparlament unumwunden: "Erdogan erpresst Sie."
Bedenken haben auch viele bei der Forderung der Türken, die EU-Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen. Dabei dürfe und werde es keinen "Rabatt" geben, meinte der sozialdemokratische Parlamentspräsident Martin Schulz. Überhaupt müsse man die Zusammenarbeit in der Migrationsfrage von den Beitrittsverhandlungen trennen.
Ein Veto hat auch bereits das EU-Mitglied Zypern angedroht. Solange die Türkei Zypern nicht anerkenne, könne es bei den Beitrittsverhandlungen keine Fortschritte geben, so der zyprische Regierungssprecher am Mittwoch. Janis Emmaouilidis glaubt allerdings: "Es geht gar nicht darum, dass die Türkei Mitglied der EU werden soll. Sondern man will weitere Verhandlungskapitel eröffnen. Das ist Erdogan aus innenpolitischen Gründen wichtig."
Und wenn auch der nächste Gipfel scheitert...
In wenigen Wochen hat es jetzt schon zwei Gipfel zum Flüchtlingsthema gegeben, und beide Male musste Bundeskanzlerin Angela Merkel mit leeren Händen zurückkehren. Auch bei den anstehenden drei Landtagswahlen in Deutschland kann sie keine europäische Lösung vorweisen, für die sie nach wie vor kämpft und die vielleicht den politischen Druck etwas verringern könnte. "Manchmal könnte es schneller gehen. Aber ich glaube, insgesamt bewegt sich die Sache in die richtige Richtung", so Merkel am Mittwoch im Südwestrundfunk.
Auch Janis Emmanouilidis ist insgesamt zuversichtlich. Selbst wenn auch der nächste Gipfel scheitere, "dann wird es einen weiteren geben. Denn die Herausforderung ist, dass man ein komplexes Paket, das alle unterschiedlichen Mitgliedsstaaten zufriedenstellt, zusammenschnürt." Das sei schwierig und zeitraubend, aber möglich.