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Politik

"Ein Versuch, Polen zu unterwerfen"

Magdalena Gwozdz-Pallokat
28. Oktober 2021

Nach dem EuGH-Urteil über Strafzahlungen zeigt sich Warschau empört bis ratlos. Die Opposition nennt die Regierung verantwortungslos, diese zeigt sich weiterhin entschlossen, ihre umstrittene Justizreform fortzuführen.

Polen | Proteste vor Verfassungsgericht in Warschau
Protest mit polnischer und EU-Fahne vor dem Verfassungsgericht in Warschau am 22.09.2021Bild: Attila Husejnow/ZUMAPRESS/picture alliance

Nun ist passiert, was in Polen viele geahnt und einige befürchtet haben: Das von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) regierte Land wird tief in die Tasche greifen müssen, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Zwangsgeld in Höhe von einer Million Euro täglich verhängt hatte. Eine weitere Strafzahlung - 500.000 Euro täglich für den Weiterbetrieb des Tagebaus Turow an der Grenze zu Tschechien - muss das Land schon länger leisten. Weitere Verfahren zur Justizreform sind in Luxemburg anhängig.

"Die PiS ist eine Expertin für die Vergeudung des Geldes der Polen", kritisierte Kamila Gasiuk-Pihowicz von der oppositionellen Bürgerplattform (PO). Die Rechnung aus Luxemburg sei die Quittung für Arroganz und Verantwortungslosigkeit. "Nicht nur, dass sie die Unabhängigkeit der Justiz zerstören, sie machen das auch auf Kosten der Polen", so Gasiuk-Pihowicz.

Justizminister Zbigniew Ziobro dagegen ist überzeugt: Polen sollte keinen Zloty zahlen und zwar weder für "die  unrechtmäßigen Sanktionen gegen Turow" noch wegen der "Änderungen im Justizsystem". Ziobro riet zudem dazu, Ruhe zu bewaren: "Da gibt es ein gewisses Element des Drucks, und nur die Schwachen geben dem Druck nach. Lassen Sie uns unsere Arbeit machen, lassen Sie uns das Justizsystem reformieren und lassen Sie uns um die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union kümmern. Lassen Sie uns auch um die Standards der Europäischen Union kümmern, die verlangen, dass das Recht überall gleich ist und auf die gleiche Weise durchgesetzt wird."

Polens Premierminister Mateusz MorawieckiBild: Wojciech Olkusnik/PAP/picture alliance

Der EuGH verkündete das Strafmaß, während an der umstrittenen und von PiS zusammengesetzten Disziplinarkammer sieben Verfahren anhängig waren und bereits gemaßregelte Richter weiter vom Dienst ausgeschlossen waren. Dabei hatte Premier Mateusz Morawiecki bei seinem jüngsten Auftritt vor dem EU-Parlament wie auch schon zuvor PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski angekündigt, die Disziplinarkammer werde "in ihrer jetzigen Form" verschwinden - zwar nicht wegen des Luxemburger Bescheids, wie Kaczynski unterstrichen hatte, aber doch, weil die Einrichtung ihren Aufgaben nicht gerecht werde. Im September sollten erste Pläne der Reform vorgelegt werden; doch es passierte nichts.

Borys Budka, der ehemalige Chef der Bürgerplattform, interpretierte den EuGH-Spruch denn auch als Ergebnis eines Wortbruchs: "Es gibt keinen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Disziplinarkammer und wir erwarten, ja wir fordern, dass schon morgen im Parlament beraten wird, wie die Disziplinarkammer aufgelöst und sichergestellt wird, dass Polen - das heißt in Wirklichkeit die Polinnen und Polen - diese enorme Strafen für die absurde Hartnäckigkeit von Kaczynski nicht zahlen müssen."

"EuGH-Urteil ignorieren"

Die nötigen Vorlagen für eine Abschaffung der Kammer lägen bereit, versicherte hingegen PiS-Fraktionschef Ryszard Terlecki gegenüber der polnischen Agentur PAP. "Wir sind etwas spät dran." Aber man solle jetzt nicht in Panik geraten, es gehe nur um ein paar Wochen. "Noch haben wir nichts bezahlt", so Terlecki.

Dass das vielleicht nie geschehen werde, suggerierte neben Justizminister Ziobro auch Marcin Romanowski, Vize-Justizminister vom kleineren PiS-Partner Solidarisches Polen (SP), dessen Haltung zur EU als besonders radikal gilt. "Das (Nicht)-Urteil des EuGH bedeutet ein Eingriff in die Kompetenzen der polnischen Regierung und gehört ignoriert", schrieb er auf Twitter. "Vielleicht kann ein Stopp unserer EU-Einzahlungen die Eurokraten zu Verstand bringen?"

Souveränität und nationale Identität

Das aber wäre ein schlechtes Geschäft, denn Polen ist unterm Strich nach wie vor einer der größten Netto-Empfänger der EU. Allein rund 24 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds warten auf die Freigabe aus Brüssel, wo das Geld unter Verweis auf die Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit seit Wochen zurückgehalten wird. Warschau ist empört über dieses "rechtswidrige" Vorgehen. Sollte Polen die EuGH-Strafen nicht zahlen, würde rechtliches Neuland betreten; Rechtsexperten halten eine Art Verrechnung mit Polen zustehenden Mitteln für möglich.

So weit wie Vizeminister Romanowski gingen andere Politiker aus dem Regierungslager nicht - aber einige griffen zu einer Rhetorik, die ein Nachgeben gegenüber Brüssel eigentlich ausschließt. Sebastian Kaleta, ebenfalls Vize-Justizminister, sprach von einem "Versuch, Polen mit Hilfe rechtswidriger Maßnahmen zu unterwerfen und seiner Souveränität zu berauben". Regierungssprecher Piotr Müller unterstrich, dass die Reform der Justiz fortgeführt werde: "Strafen und Erpressung sind der falsche Weg und kein Modell für eine funktionsfähige Union souveräner Staaten." Sein Stellvertreter Radoslaw Fogiel appellierte an den Nationalstolz seiner Landsleute: Man dürfe jetzt nicht denken: "Oh Mann, warum lösen wir das (die Disziplinarkammer) nicht einfach auf, wenn es von uns verlangt wird" - sondern man müsse Souveränität und nationale Identität im Auge behalten.

Rückzug verbaut?

Unabhängig davon, ob in der PiS-Parteizentrale überhaupt ein Weg für einen Rückzug gesucht wird, ist die Frage, ob dieser nicht bereits verbaut ist. Denn mit dem umstrittenen Spruch des Warschauer Verfassungsgerichts über den Vorrang des nationalen Rechts wurden der EU und dem EuGH ausdrücklich jegliche Kompetenzen im Bereich Justizwesen aberkannt. Wer das Urteil ernst nimmt, darf den Richterspruch aus Luxemburg eigentlich nicht befolgen. Auch PiS-Chef Kaczynski hatte unlängst betont, dass die EU in diesem Gebiet schlicht nichts zu sagen habe; der angekündigte Rückzug von der umstrittenen Disziplinarkammer sollte vielmehr zeigen, ob es in Brüssel "wenigstens ein Mindestmaß guten Willens gebe", so Kaczynski.

PiS-Chef Jaroslaw KaczynskiBild: GRZEGORZ JAKUBOUSKI/KPRP/Polish President's Press/AFP

Zu den Spekulationen darüber, warum dieser Rückzug noch immer auf sich warten lässt und die Disziplinarkammer weiterhin unbotmäßige Richter verfolgt, gehört auch die These von einem Machtkampf hinter den Kulissen und einer Blockade des Stopps der Kammer durch Justizminister Zbigniew Ziobro, dem Chef der Partei "Solidarisches Polen". Kaczynski wirkte zuletzt gesundheitlich angeschlagen; bei einer Pressekonferenz zu Sicherheitsfragen nickte er sogar kurz vor laufender Kamera ein.

Der parteilose Senator Wadim Tyszkiewicz sprach angesichts des Kurses seines Landes im Sender TVN von einem "Drama". Die PiS fahre auf eine Wand zu, es drohe ein jäher Aufprall. "Ich komme aus der kommunalen Selbstverwaltung, von daher weiß ich, wie wichtig jeder Zloty ist, der da draußen investiert wird. Dieses viele Geld kann weitreichende Folgen haben. Immer, wenn wir denken, ganz unten angekommen zu sein, zeigt sich: Da ist noch immer kein Boden, wir fallen noch tiefer".

Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen